Das Zimmer der Macht ist überraschend klein, weiß getüncht und betont nüchtern eingerichtet: ein Schreibtisch mit einer kleinen Konferenzecke, ein Laptop, kaum Papier. Einziger Wandschmuck ist ein Kalender mit maritimen Motiven. Hier, im Büro des SPD-Landesvorsitzenden, empfängt der designierte Erste Bürgermeister Olaf Scholz seine Parteifreunde zu Vier-Augen-Gesprächen. Es geht um Posten und Positionen im SPD-Senat, kurz um die Architektur der Macht der neuen Administration im Rathaus.
Zwischen 20 und 30 dieser vertraulichen Unterredungen hat Scholz seit der Bürgerschaftswahl, die seiner Partei die absolute Mehrheit beschert hat, vor zwei Wochen geführt. Kreisvorsitzende, Mitglieder des Landesvorstandes und des Fraktionsvorstandes sowie weitere Funktionäre kamen zur Audienz. Wer von Scholz eingeladen wird, darf sich freuen: Er oder sie zählt etwas in der SPD, Scholz hört sich seine oder ihre Meinung an. Ob aus ihm oder ihr im Scholz-Kabinett etwas wird, ob deren Vorschläge aufgegriffen werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Es soll aber schon Sozialdemokraten gegeben haben, die mit hängenden Schultern das kleine Chef-Büro in der zweiten Etage der Parteizentrale in St. Georg verlassen haben.
Die SPD ist eine Partei in einem merkwürdigen Zwischenzustand: Eigentlich müsste das Wahlergebnis die Genossen in eine Art Siegestaumel versetzt haben. Doch viel ist davon nicht zu spüren. Verbreitet ist eher das Gefühl einer gespannten Erwartung. Das liegt sicher am Vorbild Scholz, der sich selbst jeden Überschwang verkneift. Emotionen zu zeigen liegt dem Altonaer Rechtsanwalt nicht besonders.
Normalerweise stehen die Bittsteller und Interessenten mit ihren Initiativbewerbungen um Pöstchen Schlange bei einer Partei, die plötzlich viel zu verteilen hat. Das Gegenteil ist der Fall. Scholz hat der Partei, seit er vor gut einem Jahr erneut Landesvorsitzender wurde, Disziplin verordnet. Und wundersamerweise halten sich die traditionell aufmüpfigen Genossen daran.
Kaum ein Ministerpräsident oder Bürgermeister dürfte je so viel Macht in seinen Händen gehalten haben wie jetzt Scholz: Ihm in erster Linie wird der Wahlsieg angerechnet, der die SPD zurück auf die politische Bühne nach fast zehn Jahren Opposition in der Bürgerschaft gebracht hat.
"Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch", hatte er bei Amtsantritt Ende 2009 gesagt. Das mag noch mancher als frommen Spruch angesehen haben, inzwischen wissen alle: Der meint es ernst. Konsequent hat Scholz die Grabenkämpfe um den früheren Parteichef Mathias Petersen beendet und dessen durch "Parteifreunde" erlittenes Unrecht beim Namen genannt. Seinen früheren politischen Ziehsohn Bülent Ciftlik - einst Parteisprecher und Hoffnungsträger-, der wegen Anstiftung einer Scheinehe verurteilt ist, hat Scholz mit harter Hand aus der Partei gedrängt. Zu hart, wie einige Parteifreunde finden.
Alles zusammen hat dazu geführt, dass Scholz unumschränkte Autorität in der SPD genießt. Der künftige Bürgermeister verbindet das mit der Aura der Unnahbarkeit und Distanziertheit. "An den kommt keiner richtig ran", sagt einer, der es wissen muss. Und niemand weiß eben so genau, woran er bei dem großen Steuermann wirklich ist.
Zum System Scholz gehört, dass er eine Methode der Senatsbildung gewählt hat, die wiederum höchste Disziplin bei seinen Parteifreunden gewährleistet. Erst nach seiner Wahl zum Bürgermeister am Montag werden die ausstehenden Personalentscheidungen fallen. Die Folge der großen Ungewissheit: Niemand kann als ein bei der Senatsbildung zu kurz Gekommener Denkzettel bei der Bürgermeisterwahl verteilen.
"Es gibt keine Zusagen", sagt einer, der es wissen muss. Scholz hat mehrere Varianten für die meisten Posten im Kopf, aber welche davon am Ende realisiert wird, bleibt offen. Offensichtlich stuft er auch sehr genau ab, wem er wie viel erzählt. Scholz gehört der Hamburger SPD seit 36 Jahren an, kennt die meisten Akteure und ihre unterschiedlich ausgeprägte Neigung zur Redseligkeit genau. Es gilt das Prinzip des abgestuften Vertrauens.
Am meisten vertraut Scholz ohnehin sich selbst. Eine kleine, auserwählte Schar von Beratern sucht man vergebens. "Es gibt kein Küchenkabinett", sagt Scholz, und Parteifreunde bestätigen das. "Ich sehe mich in der Lage, alle einzubinden", urteilt der künftige Bürgermeister selbstbewusst über sich selbst. Bis dahin gilt: Die ganze Wahrheit ist nur in einem Kopf, seinem. Sicher, seine Frau Britta Ernst ist zugleich auch seine enge politische Weggefährtin. Mit ihr bespricht er sich. "Aber sein wirklicher Berater ist der Spiegel in seinem Bad", sagt ein Sozialdemokrat.
Wenn Scholz am Montag zum 13. Ersten Bürgermeister seit 1946 gewählt worden ist, wird sich das Machtzentrum ins Rathaus verlagern. Das Bürgermeister-Büro ist größer als das Zimmer des SPD-Chefs, aber ähnlich nüchtern. Es wird Scholz liegen. Aus dem Amt heraus und unter Einbeziehung der Behördenapparate will er dann entscheiden, wie die Behörden geschnitten werden und wer sie führen soll.
Knapp zwei Wochen hat der Regierungschef dann Zeit, um seine Kabinettsliste zu erstellen. Am 20. März entscheidet ein SPD-Parteitag, ob Scholz alle Parteifreunde eingebunden hat.