Wilhelmsburg. Ein Projekt der Reiherstieg-Kirchengemeinde lädt Wohnungslose ins Gemeindehaus. Warum das Angebot im Hamburger Süden so wichtig ist.

Draußen bäumt sich der Winter gerade noch einmal auf und treibt Schneeflocken durch Wilhelmsburg. Drinnen, im Gemeindehaus der Reiherstieg-Kirchengemeinde, links neben der Emmaus-Kirche, ist es allerdings wohlig warm, und nicht nur das: Durch den Gemeindesaal zieht der Duft von dicker Linsensuppe und frischem Brot – es riecht herzhaft.

„Herzhaft“ ist ab jetzt auch das Motto der Montage im Wochenablauf der Gemeinde. Die Suppe gehört dazu: Sie soll Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger, alt und jung, Wenighaber und Wohlhabende, Wohnungslose und Behütete zusammenführen – Gemeinde schaffen.

Schwerpunkt ist die Solidarität mit den Allerbedürftigsten – den Obdachlosen

Das Angebot richtet sich an alle Bewohner des Stadtteils. Ein spezieller Schwerpunkt der Einladung ist allerdings die Solidarität mit den Allerbedürftigsten, den Obdachlosen. Ursprünglich sei die Idee im Winter entstanden, sagt Gemeindereferent Lars Meyer: „Da haben wir uns Sorgen um die Menschen gemacht, die kein warmes Zuhause haben. Unser erster Gedanke war, ein Wärmezelt aufzubauen“

Es folgten Gespräche mit der Hamburger Diakonie, die in Harburg eine Beratungsstelle für Wohnungslose hat, von wo aus sie den ganzen alten Bezirk Harburg betreut, inklusive Wilhelmsburg. Die dortigen Experten hielten die Idee mit dem Wärmezelt für nett gemeint, aber an den Bedürfnissen vorbei gedacht. „Die allermeisten Obdachlosen aus dem Hamburger Süden sind im Winter nördlich der Elbe im Winternotprogramm untergekommen“, sagt Ricard Luther, Straßensozialarbeiter der Diakonie. „Aber wenn das Notprogramm am kommenden Wochenende ausläuft, werden wir wieder viele Zelte im wilden Wald und an anderen Orten sehen.“

Außerdem soll im Keller des Gemeindehauses eine Kleiderkammer entstehen

Die Reiherstieg-Gemeinde ging deshalb noch einmal in sich und passte das Angebot an die Bedürfnisse an. Etwas zu Essen ist immer gut und wichtig, offene Arme ebenfalls – jedenfalls für den größten Teil der Obdachlosen, die nicht mit der Menschheit gebrochen haben. Die Möglichkeit der hygienischen Versorgung, die es im Winternotprogramm gegeben hatte, ist im Sommer ebenso wichtig. Vor dem Gemeindehaus soll deshalb noch ein Duschcontainer aufgebaut werden. Man wartet auf die Handwerker. Außerdem soll im Keller des Gemeindehauses eine Kleiderkammer eingerichtet werden, die sich an alle Bedürftigen richtet.

Damit würde die Wilhelmsburger Kleiderkammer an ihrem Ursprungsort neu gegründet. Anfang der 1990er-Jahre hatte die Emmaus-Kirche die Einrichtung aus der Taufe gehoben. Hier fanden arbeitslose Wilhelmsburgerinnen Beschäftigung in der Näherei, bedürftige Familien konnten mit abgelegten, ausgezeichnet aufbereiteten Kleidungsstücken versorgt werden. Diese „Kleiderkammer Wilhelmsburg“ ist aber längst im kirchlichen Beschäftigungsträger „Passage“ aufgegangen.

Die katholische Pfarrei St. Maximilian Kolbe unterstützt und berät

Der Neustart bei „Herzhaft“ wäre wieder eine reine Veranstaltung der Gemeinde – fast, denn eine andere Gemeinde hilft der evangelischen Reiherstieg-Gemeinde beim Start in das soziale Projekt: Die katholische Pfarrei St. Maximilian Kolbe, die in Harburg bereits eine Suppenküche und in Wilhelmsburg eine Kleiderkammer betreibt. Deren Diakonin Milena Stojanovic hilft „Herzhaft“ mit Ratschlägen aus dem eigenen Erfahrungsschatz sowie zum Start Kleidungsstücken aus dem eigenen Fundus.

Die erste Schicht am „Herzhaft“-Tresen haben Hertha Avikainen, Margit Schulze und Luca von Boden. Der junge Mann leistet ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Gemeinde, die beiden Damen kommen aus dem Seniorenkreis. „Als wir von dem Projekt hörten, haben wir uns sofort dafür gemeldet“, sagt Margit Schulz. „Jetzt werden wir im Seniorenkreis noch einmal dafür werben, mitzumachen.“

Werben müsste man wohl auch noch einmal bei den Wohnungslosen. Die beehrten den Eröffnungstag nicht – aber noch sind die meisten ja auch nördlich der Elbe. „So ein Angebot muss sich herumsprechen“, weiß Richard Luther, „aber das geht schnell, wenn es erstmal anfängt. Wir Straßensozialarbeiter werden hier montags einen festen Anlaufpunkt bieten. Bislang hatten wir den nur in Harburg.