Harburg. Gericht sieht logische Lücken in der Strafanzeige wegen Plakatbeschädigung. Hausdurchsuchung hätte nicht stattfinden dürfen.
Im hart ausgetragenen Parteizoff innerhalb der Harburger SPD gibt es eine Wendung: Mittlerweile sind mindestens drei der sechs Hausdurchsuchungen, die bei SPD-Mitgliedern stattgefunden haben, vom Landgericht für unrechtmäßig erklärt worden. Die Entscheidungen über die weiteren drei stehen noch aus. Da jeder Betroffene individuell Rechtsbeschwerde eingelegt hat, wird jede Beschwerde separat behandelt. Die ersten drei Entscheidungen lassen jedoch die Vermutung zu, dass die weiteren ähnlich ausfallen.
Der Vorwurf in der SPD Harburg: Anstiftung zur Sachbeschädigung
Damit wird es wahrscheinlich, dass die Bürgerschaftskandidatenaufstellung der SPD im Wahlkreis 16 (Harburg) wiederholt werden muss, weil Benizar Gündoğdu, die aufgrund der Ermittlungen gegen sie nicht kandidieren durfte, sie anfechten wird. Die Aufstellung im Wahlkreis 17 (Süderelbe) wo das Kandidaturverbot Mehmet Kizil betraf, muss aufgrund eines Zählfehlers ohnehin wiederholt werden (wir berichteten).
Gündoğdu war von der Staatsanwaltschaft Hamburg vorgeworfen worden, gemeinsam mit Kizil in einem nächtlichen Telefonat zwei junge Männer zu einer Beschädigung von Stellschildern ihrer Parteigenossin Natalia Sahling angestiftet zu haben. Gündoğdu galt deshalb aus Sicht der Staatsanwaltschaft rechtlich als Mittäterin.
Wer nach der Tat mit Tätern spricht, kann sie nicht mehr anstiften
Augenzeugen hatten die Plakatbeschädigung aus ihrem Auto heraus beobachtet. Sie beobachteten ebenfalls, wie die Jugendlichen telefonierten und behaupten auch, aus dem Auto heraus mitbekommen zu haben, mit wem die beiden sprachen.
Den Vorwurf gegen Gündoğdu verwarf das Landgericht Hamburg mit einer nachvollziehbaren Feststellung: Zwar gab es zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich einen Videochat, zu dessen sechs Teilnehmern auch Gündoğdu gehörte. Allerdings sei erstens über den Inhalt des Gespräches nichts bekannt und vor allem habe das Gespräch erst nach der bei der Polizei angezeigten Sachbeschädigung stattgefunden. Eine Anstiftungshandlung sei deshalb nicht anzunehmen. Sowohl die bei Gündoğdu erfolgte Hausdurchsuchung als auch die Beschlagnahme ihres Mobiltelefons seien rechtswidrig gewesen.
„Nachdem die Hausdurchsuchungen für rechtswidrig erklärt wurden, gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen meine Mandanten komplett einstellt“
Gündoğdu und Kizil galten in ihren jeweiligen Wahlkreisen Harburg und Süderelbe als aussichtsreiche Bewerber für eine Kandidatur zur Hamburger Bürgerschaftswahl im kommenden Jahr. Nachdem die Ermittlungsverfahren bekannt geworden waren, hatten drei Harburger SPD-Distrikte beim SPD-Landesvorstand ein Parteiordnungsverfahren gegen die beiden angestrengt. Der Vorwurf: parteischädigendes Verhalten. Die Konsequenz: Drei Monate Funktionsverbot.
Praktischerweise, jedenfalls aus Sicht der parteikonservativen SPD-internen Gegner der zwei, schloss dies die Wahlkreiskandidatenaufstellung mit ein. Dies hätte ungefährdete Kandidaturen für Sören Schumacher (Harburg) und Mathias Czech (Süderelbe) bedeutet, hätten nicht überraschend noch andere Kandidaten ihre Hüte in die Ringe geworfen.
Hamburger Senat veröffentlichte Details aus den Ermittlungen
Pikanterweise waren kurz nach den Hausdurchsuchungen Details aus der Ermittlungsakte an die Öffentlichkeit gelangt. In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator (CDU) legte der Senat die Vorwürfe gegen Gündoğdu und Kizil detailliert dar. „Üblich ist das bei laufenden Ermittlungen nicht“, sagt der Anwalt der beiden, Matthias Frommann.
Zumal es zu dem Zeitpunkt auch noch um Briefwahlunterlagen ging, die Mehmet Kizil für deren Adressaten, zwei Bekannte, mit deren Kenntnis und Einverständnis verwahrte, bis er sie ihnen übergeben konnte. Die Staatsanwaltschaft verdächtigte ihn deshalb kurzzeitig der versuchten Wahlmanipulation, was jedoch schnell wieder verworfen wurde. Durch die detaillierte Senatsantwort war das Auffinden der Unterlagen bei der Untersuchung allerdings öffentlich geworden und wirft bis heute ein unvorteilhaftes Licht auf die zwei Politiker, auch wenn in der Senatsdrucksache kein Name erwähnt wird..
Gündoğdu hat Berufung eingelegt und zivilrechtlich Klage erhoben
„Nachdem die Hausdurchsuchungen für rechtswidrig erklärt wurden, gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen meine Mandanten komplett einstellt“, sagt Anwalt Frommann
Benizar Gündoğdu meint, dass damit auch die Ordnungsstrafe des Landesvorstands gegen sie und Kizil vom Tisch sein müsste. Sie hat gegen das Funktionsverbot sowohl parteiintern Berufung, als auch zivilrechtlich Klage erhoben. Das Schiedsgericht der SPD entscheidet am 14., das Kammergericht Berlin am 15. Oktober darüber.
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Allerdings bezog sich der Vorwurf des parteischädigenden Verhaltens, der Grundlage des Ordnungsverfahrens war, nicht nur auf die Ermittlungen, sondern darauf, dass Gündoğdu und Kizil den Vorgang an die Öffentlichkeit brachten. Der SPD ist das peinlich.
Benizar Gündoğdu ist dennoch zuversichtlich: „Ich gehe davon aus, dass das Funktionsverbot für rechtswidrig erklärt wird“, sagt sie, „und damit wäre die Kandidatenaufstellung ebenfalls unrechtmäßig und ich werde die Wiederholung verlangen!“