Harburg. Natalia Sahling verwahrt sich gegen den Eindruck, sie wolle parteiinternen Gegnern gezielt schaden. Wie die Polizei auf Jugendliche kam.
Die Wellen schlugen hoch: Weil sie Wahlplakate einer eigenen Genossin an der Cuxhavener Straße zerstört haben sollen, hat es Hausdurchsuchungen bei mehreren minderjährigen SPD-Mitgliedern gegeben, später weitere Hausdurchsuchungen bei anderen SPD-Genossen. War dies ein fieser Winkelzug in den parteiinternen Grabenkämpfen der Harburger SPD?
Wahlplakate verschwunden: Die Anzeige richtete sich gegen „Unbekannt“
Die Geschädigte der Plakatfrevel ist die Neugrabener Bezirksabgeordnete Natalia Sahling. Ihr ist es unangenehm, wie sich die Sache entwickelt hat und dass es letztlich zu Razzien bei Minderjährigen kam. Sie betont, niemanden persönlich angezeigt zu haben und erst recht keine Hausdurchsuchungen gefordert zu haben.
„Ich habe wegen rund 200 beschädigter und gestohlener Plakate Anzeige gegen Unbekannt erstattet“, sagt sie. „Ich bin betroffen, dass die Ermittlungen nun offenbar gegen Genossen laufen und auch noch Minderjährige da hineingezogen wurden.“
Die Bezirks-Kandidaten in Harburg müssen ihre Plakate selbst bezahlen
Natalia Sahling, deren Wählerstimmen der Plakatefrevel keinen Abbruch tat und die in der neuen Bezirksversammlung die SPD-Fraktion in einer Doppelspitze mit Frank Richter anführt, hatte ihre Plakate selbst bezahlt. Der Kreisvorstand der Harburger SPD hatte beschlossen, aus dem Wahlkampfetat lediglich die Plakate des Spitzenkandidaten Richter zu finanzieren. Alle anderen Kandidaten auf der Bezirksliste mussten ihre Wahlkampfkosten selbst tragen – auch Sahling.
Für die junge Akademikerin war die Zerstörung der Plakate daher eine finanzielle Belastung. Aus diesem Grund stellte sie im Laufe des Wahlkampfs gleich fünfmal Strafanzeige – gegen Unbekannt, wie sie betont.
War der Beschluss, einzig und allein die Plakate von Frank Richter zu finanzieren, eine Retourkutsche des Kreisvorstandes gegen Richters parteiinternes Lager? Die Bezirksliste war von vorne bis hinten mit Richter-Kandidaten besetzt. Kandidaten des Kreisvorstandes wurden bei der Listenaufstellung durchweg abgelehnt. Sogar den ausgewiesenen Verkehrsexperten Frank Wiesner hatte das getroffen. In den einzelnen Wahlkreisen hingegen wurden immer mindestens zwei Kandidaten finanziell unterstützt. Dort hatte das Lager des Kreisvorstands viele Kandidaten durchsetzen können.
„Fairnessregeln“ der SPD erlauben unter Umständen sogar das Abräumen von Genossen-Plakaten
Dieser Eindruck täuscht jedoch: Sämtliche Wahlkampfregularien, die die Harburger SPD 2024 anwandte, waren bereits 2019, also im Wahlkampf zuvor, beschlossen worden. Kreisvorsitzender und Spitzenkandidat war seinerzeit Frank Richter. Lediglich eine alte Bestimmung wurde 2024 gekippt: Bis dahin durften Kandidaten der hinteren Bezirkslistenplätze auch auf eigene Kosten nicht plakatieren.
Allerdings, so besagen es die „Fairnessregeln“, muss dies mit den Parteidistrikten, in denen die Plakate stehen, abgestimmt sein. Plakate eines anderen Distrikts oder eines Bezirkslistenkandidaten können ansonsten gemäß dieser Regeln abgeräumt und durch eigene ersetzt werden
„Ich bin betroffen, dass die Ermittlungen nun offenbar gegen Genossen laufen und auch noch Minderjährige hineingezogen wurde.“
Solche „Revierkämpfe“ kommen immer wieder vor, nicht nur zwischen verschiedenen Lagern innerhalb einer Partei, sondern auch zwischen Kandidaten gleicher Flügel. So sollen im Wahlkampf 2024 auch die Heimfelder Genossen Alf Bas und Michael Dohse über ihre Plakat-Zonengrenze aneinandergeraten sein.
Auch wenn die Fairnessregeln das Abräumen unter gewissen Umständen billigen: Legal ist es nicht unbedingt. Vor allem wird es dann knifflig, wenn die Plakate nicht Eigentum von Parteigliederungen sind, sondern den jeweiligen Kandidaten gehören. Dann könnte selbst das Abnehmen der Plakate ohne Beschädigung schnell als Diebstahl gewertet werden. Und zwar auch dann, wenn die Schilder später dem Eigentümer zurückgegeben werden. Parteiregeln stehen nicht über Bundesgesetzen und der öffentliche Raum kann auch nicht durch Parteien zoniert werden.
Acht Sahling-Plakate in Neugraben zerstört: Augenzeuge gab den Hinweis
Wenn Natalia Sahling aber niemanden persönlich angezeigt hat, wie kam es dann zu sechs Hausdurchsuchungen und der Ausforschung der Telekommunikationsdaten der Betroffenen? Ein SPD-Mitglied aus Eißendorf, das anscheinend zufällig in Neugraben war, um die angenehme Ruhe an der B73 zu genießen, hatte der Polizei den Hinweis gegeben, dass zwei der Beschuldigten gerade acht Plakate zerstört und danach telefoniert hätten.
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Die Polizei griff die beiden Jugendlichen wenig später auf. Einige Tage darauf folgten die Hausdurchsuchungen. Alle Beschuldigten streiten die Vorwürfe nach wie vor ab.
Betroffene Abgeordnete: „Entwicklung könnte die Grabenkämpfe wieder befeuern“
Was Natalia Sahling besonders ärgert: „Wie sich das jetzt entwickelt, das könnte die Grabenkämpfe wieder befeuern“, sagt sie. „Dabei müssen wir sie überwinden. Einige Genossinnen und Genossen im anderen Lager sehen das auch so. Und jetzt dies. Das ist nicht gut.“