Harburg. Chaos um Wahlzettel: Die Kür der Bürgerschafts-Kandidaten für Süderelbe muss wiederholt werden. Wahl in Harburg wird wohl angefochten.
Eigentlich gab es in der Harburger SPD nach der Wahl des neuen Kreisvorstandes kurzzeitig die Hoffnung, dass die Grabenkämpfe nun vorbei seien. Doch bei der Bürgerschafts-Kandidatenaufstellung für den Wahlkreis 17 (Süderelbe) am Freitag und 16 (Harburg) am Sonnabend wurde klar: Hier ist noch nichts ausgestanden.
Volker Muras und Ahmed Aba: Überraschungs-Gegenkandidaten für Platzhirsch
In Süderelbe sah sich Sitzinhaber Matthias Czech zwischenzeitlich mit gleich zwei überraschenden Gegenkandidaten konfrontiert und nach Unstimmigkeiten bei der Auszählung musste die Wahl abgebrochen werden. In Harburg durfte Benizar Gündoğdu wegen einer parteiinternen Strafe nicht gegen Sören Schumacher antreten. Sie hat angekündigt, erst die Strafe und bei Erfolg dann die Kandidatenkür anzufechten.
Die Wahlversammlung für den Wahlkreis 17, der außer der Region Süderelbe auch noch die gutbürgerlichen Teile von Eißendorf und Heimfeld einschließt, wurde spannend, nachdem der gegenwärtige Wahlkreisabgeordnete Matthias Czech vorgeschlagen worden war: Überraschend kandidierte auch der Heimfelder Volker Muras. Ob das an Muras‘ eigenen Ambitionen lag oder ob der Distrikt Heimfeld damit Czech, der im Harburger SPD-Lagerkampf bislang eine eindeutige Positionierung vermied, abstrafen wollte, ist bis heute unklar. Nachdem Muras kandidierte, warf auch Ahmet Aba aus dem Distrikt Neugraben seinen Hut in den Ring.
Stimmen des parteikonservativen Lagers hätten sich verteilt
Der Bauarbeiter Aba, Ende 50 und seit 15 Jahren SPD-Mitglied, gehört zwar dem Distrikt Neugraben-Fischbek an, welcher wiederum Teil des parteikonservativen Lagers um die Heimfelder Frank Richter und Claudia Loss ist, wird aber eher dem ehemaligen Torsten-Fuß-Lager um Benizar Gündoğdu (Wilstorf) und Mehmet Kizil (Hausbruch) zugerechnet. Aba ist außerdem Vorstandsmitglied im SPD-Arbeitskreis für Bildungsfragen.
Wären tatsächlich alle drei Kandidaten angetreten, hätte das Gündoğdu-Lager seine Stimmen auf Aba konzentrieren können, während die Parteikonservativen Gefahr gelaufen wären, ihre Stimmen zu verteilen. Volker Muras zog daraufhin seine Kandidatur wieder zurück. Es folgte eine lange Kandidatenaussprache.
Musterstimmzettel führten die Wahl ins Chaos und zum Versammlungsabbruch
Da im Versammlungslokal, dem Bürger- und Gemeinschaftszentrum Süderelbe (BGZ) kein Drucker zur Verfügung stand, mussten die Wählenden – wahlberechtigt war jedes SPD-Mitglied, das im Wahlkreis wohnt – die Namen beider Kandidierenden handschriftlich auf dem Wahlzettelformular eintragen und dann einen ankreuzen. Damit nichts schiefging, gab es Musterstimmzettel. Scheinbar führte aber genau diese Maßnahme ins Verderben.
Erst war der Musterstimmzettel verschwunden und wurde ersetzt. Dann, bei der Auszählung, waren zwei Stimmzettel zu viel in der Urne. Nimmt man wohlwollend an, dass niemand Stimmzettel gefälscht und doppelt abgegeben hat, muss man davon ausgehen, dass aus Versehen die beiden Musterstimmzettel mit in die Zählung gelangt waren.
„Eine Wiederholung ist dann erst nach dem Landesparteitag, bei dem die Landesliste aufgestellt wird, möglich“
Vernachlässigen konnte man diesen Umstand nicht, denn das Ergebnis war mit 45 zu 44 für Aba bei zusammen neun Enthaltungen und ungültigen Stimmen denkbar knapp. Es hätte einen zweiten Wahlgang geben müssen, allerdings war es bereits 22 Uhr und damit das Ende der Mietzeit für den Saal erreicht. In Begleitung eines Eißendorfer Genossen erschien dann auch eine Mitarbeiterin des BGZ und bat darum, die Versammlung zu beenden.
Eine neue Wahlversammlung wird wegen der Einladungsfristen und der Herbstferien erst nach Mitte Oktober stattfinden können. Matthias Czech weiß, warum das misslich ist: „Das ist dann erst nach dem Landesparteitag, bei dem die Landesliste aufgestellt wird“, sagt er.
Auf der Landesliste haben Harburger Kandidaten zumeist wenig Chancen
Was bedeutet, dass Bürgerschaftsaspiranten, die nicht über eine aussichtsreiche Wahlkreiskandidatur verfügen, sich nicht über eine Kandidatur für die Landesliste absichern können. Ohnehin wäre diese Möglichkeit höchstens theoretisch, weil, mit Ausnahme der Landesvorsitzenden Melanie Leonhard, Harburger Kandidaten bei der SPD-Landesliste ohnehin wenig Chancen auf vordere Plätze haben.
Tags darauf in Harburg setzte sich Sören Schumacher vom Lager der alten SPD-Garde scheinbar souverän mit 50 zu 28 Stimmen gegen Arne Thomsen durch. Eigentlich aber hatte Benizar Gündoğdu gegen Schumacher antreten wollen. Die hat aber von der Landespartei ein dreimonatiges „Funktionsverbot“ als Strafe in einem Parteiordnungsverfahren erhalten und durfte nicht kandidieren.
Hausdurchsuchung bei möglicher Gegenkandidatin für Schumacher war unrechtmäßig
Drei Harburger SPD-Distrikte hatten das Ordnungsverfahren gegen sie beantragt, nachdem es bei Gündoğdu und ihrem Lebensgefährten Mehmet Kizil zu Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts der Beschädigung von Wahlplakaten gekommen war und die Debatte darüber als parteischädigend empfunden wurde.
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Gündoğdu hat parteiintern beim Schiedsgericht der SPD Widerspruch und zivilrechtlich beim Kammergericht Berlin Klage gegen das Funktionsverbot eingereicht. „Das Schiedsgericht tagt am 14. Oktober, das Kammergericht am 16. Oktober“, sagt Gündoğdu. „Ich gehe davon aus, dass ich Recht bekomme. Dann werde ich eine Wiederholung der Wahl verlangen.“
Die Hausdurchsuchung bei Benizar Gündoğdu wurde am Freitag vom Landgericht Hamburg für unrechtmäßig erklärt. Die Staatsanwaltschaft habe nicht genügend Anhaltspunkte für einen Verdacht gegen Gündoğdu gehabt, um eine so schwerwiegende Maßnahme zu rechtfertigen.