Harburg. Weil sie Wahlplakate einer Genossin zerstört haben sollen, kommt es zu Polizeiaktionen bei Parteimitgliedern. Handys beschlagnahmt.

Es geht offiziell um acht Wahlplakate. Diese sollen vier junge Sozialdemokraten am Abend des 31. Mai, neun Tage vor der Bezirkswahl, an der Cuxhavener Straße von den Laternenmasten gelöst haben, an denen sie befestigt waren. Erstaunlich: Es waren die Plakate einer SPD-Kandidatin. Auch die Strafanzeige gegen die Genossen der Genossin stammte von einem Genossen. Bemerkenswert: Die Anzeige führte zu sechs Hausdurchsuchungen, drei davon Betroffene sind minderjährig, drei Mitglieder des Harburger Kreisvorstandes der SPD, zwei Bezirksabgeordnete. Alle weisen die Vorwürfe von sich.

Zoff in Harburg: Anwalt sieht den Versuch, türkischstämmige Sozis zu diskreditieren

Alle sechs sind Sozialdemokraten mit Migrationshintergrund. Die Geschädigte ist deutschstämmig, ebenso, wie der Anzeigende. Die Konflikte in der Harburger SPD haben damit einen neuen Höhepunkt erreicht. Rechtsanwalt Matthias Frommann vertritt einen der Angeklagten. Er sieht in den Strafanzeigen den Versuch eines – größtenteils deutschstämmigen – Parteilagers, das andere, dem viele Migranten angehören, zu diskreditieren und zu kriminalisieren, bevor die Kandidaten zur Bürgerschaftswahl aufgestellt werden. „Hier möchte offenbar jemand verhindern, dass türkischstämmige erfolgversprechende Mitglieder der SPD Harburg auf gute Listenplätze kommen“, sagt er.

Dass Wahlplakate beschädigt werden, ist traurige Normalität geworden. Dass dies sogar innerparteilich geschieht, ist auch nicht ganz neu. Das neue Hamburger Persönlichkeitswahlrecht verleitet manche Kandidaten dazu, sehr viele eigene Plakate aufzustellen oder aufstellen zu wollen. Intern regelt jede Partei wer wo wieviel plakatieren soll und darf, diese Absprachen werden aber gerne mal gebrochen. Dann kommt es gelegentlich zu Plakateklau unter Kandidaten derselben Partei. Dass man sich gegenseitig anzeigt, kam bislang allerdings nicht vor.

„Hände hoch!“ am frühen Morgen: Polizei durchsucht Wohnung der Familie eines Jugendlichen

Auch die Heftigkeit der Ermittlungen ist ungewöhnlich: „Bei dem einen Jungen sind ein halbes Dutzend Polizisten zur frühen Morgenstunde in die Wohnung der Eltern des Jugendlichen eingedrungen und forderten ihn dazu auf, die Hände im Bett zu heben“, sagt Anwalt Frommann.

Frommann hat Beschwerde gegen die Durchsuchungen angelegt, bei denen es hauptsächlich darum ging, die Smartphones der Beschuldigten sicherzustellen und auszuwerten. Die Durchsuchungen bei den Jugendlichen fanden zwei Tage vor der Bezirks- und Europawahl statt, die bei den Vorstandsmitgliedern und Abgeordneten am 10. Juli.

FDP-Abgeordneter zieht Parallelen zur Grote-Affäre

Ginge es tatsächlich nur um acht Wahlplakate, wäre so ein Eingriff in grundgesetzliche Freiheitsrechte nur schwer als verhältnismäßig darzustellen. Das findet auch der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Sami Musa, selbst Ex-Sozi, und zieht einen Vergleich zur „Pimmelgate“-Affäre um Innensenator Andy Grote, bei der ein satirischer Aufkleber ebenfalls zu einer Hausdurchsuchung führte. Musa hat eine schriftliche Anfrage an den Senat eingereicht, in der er wissen möchte, ob die Innenbehörde Druck gemacht hätte, um die Durchsuchungsbefehle zu bekommen.

„Dass ein parteiinterner Streit so eskaliert, dass es zu Polizeieinsätzen in Privatwohnungen kommt, beschädigt unsere Demokratie“, sagt Musa. „Für eine Regierungspartei wie die SPD ist das einfach unwürdig. Alle demokratischen Kräfte müssen zusammenarbeiten, um mehr Menschen für die Politik zu gewinnen. Gerade Menschen mit Migrationshintergrund sollten in Parteien willkommen sein.“

Laut Staatsanwaltschaftssprecherin Liddy Oechterding geht es aber um mehr, als nur acht Plakate und auch nicht nur darum, dass ein paar Jungs sie entfernt haben: „In dem Verfahren geht es unter anderem um den Vorwurf, der Beschuldigte K. habe unter Beteiligung weiterer Personen vier jugendliche Beschuldigte angeworben, um mindestens acht, eventuell jedoch erheblich mehr, Wahlplakate der Geschädigten S. abzureißen und zu entsorgen“, schreibt sie.

Geht es um Plakate, um Migration oder um gewachsene Machtstrukturen?

In der Gerüchteküche ist zudem die Rede von 40 Euro pro Plakat und von dem Plan, entlang der gesamten B73 von Plakate der anderen Kandidatin zu entfernen. Mit „K.“ dürfte der Hausbrucher SPD-Distriktsvorsitzende und Bezirksabgeordnete Mehmet Kizil, mit „S.“ die Bezirkslistenkandidatin Natalia Sahling gemeint sein. Die B73 ist lang. Bei 40 Euro pro Plakat wäre das äußerst teuer geworden.

Sahlings SPD-Distrikt Neugraben und Kizils Distrikt Hausbruch gehören unterschiedlichen Lagern in der Harburger SPD an. Der Anteil von Genossinnen und Genossen mit Migrationshintergrund ist dabei nur ein äußerliches Unterscheidungsmerkmal. Es geht um gewachsene Machtstrukturen in der Partei und darum, ob man sich damit arrangiert oder sie infrage stellt.

Der Kampf wird zuweilen mit harten Bandagen ausgefochten. Die Animositäten gehen so weit, dass stellenweise kein gemeinsamer Wahlkampf möglich ist: Im Mai verscheuchten Neugrabener Sozis ihre Hausbrucher Genossen sogar unter Androhung der Polizei vom Info-Stand in der örtlichen Fußgängerzone.

Landesvorstand der Hamburger SPD hält sich heraus – offiziell

Der Hamburger SPD-Landesvorstand hält sich offiziell aus den Querelen heraus. „Wir wissen von den Vorwürfen, äußern uns dazu aber nicht“, sagt SPD-Landespressesprecher Manuel Preuten.

Allerdings wurde Parteimitgliedern der rebellischen Seite –diese stellt derzeit den Kreisvorstand – bereits in der Vergangenheit mit Parteiordnungsverfahren gedroht. Auch aktuell waren solche Verfahren in Vorbereitung.

Gegen den Vorwurf, in der SPD würden Mitglieder mit Migrationshintergrund diskriminiert, verwahrt sich Preuten: „Da ist überhaupt nichts dran.“

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Der Landesvorstand soll auch versucht haben, eiligst prominente Genossinnen mit Migrationshintergrund zu einem Statement zu bewegen, das diese Aussage bestätigt. Bislang, so die Information, ohne Erfolg.

Sehr wohl äußert sich der Kreisvorstand der SPD Harburg: „Wir nehmen mit Bestürzung zur Kenntnis, dass gegen sechs junge, türkischstämmige Harburger SPD Mitglieder Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt wurden“, schreibt die stellvertretende Kreisvorsitzende Benizar Gündogdu. Weiter: „Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe kategorisch zurück. Sie sehen sich durch die Denunziation eines deutschstämmigen SPD-Mitgliedes aus Harburg zu Unrecht der Strafverfolgung ausgesetzt. Der Kreisvorstand der SPD Harburg hält das Vorgehen der Ermittlungsbehörden für unverhältnismäßig und daher mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar.“