Harburg. Bezirkswahl 2024 wirbelt Machtverhältnisse in der Harburger Bezirksversammlung durcheinander. Wer gewinnt, wer verliert? Eine Analyse.
Lange Gesichter bei Grünen, FDP und Linken; Jubel bei CDU, Volt und AfD; Erleichterung bei der SPD: Das Ergebnis der Bezirkswahl 2024 wird im Harburger Rathaus für einiges Stühlerücken sorgen und die Mehrheitsverhältnisse verschieben. Wer am Ende mit wem paktiert, oder ob es gar „Bergedorfer Verhältnisse“, also eine Politik mit wechselnden Mehrheiten gibt, ist noch völlig unklar.
Stärkste Partei und damit Wahlsieger ist die Harburger SPD. Als bereits 155 der 157 Wahlbezirke ausgezählt waren, lag sie mit 28,4 Prozent an erster Stelle und hatte sich gegenüber der letzten Bezirkswahl um 1,3 Prozent gesteigert. „Nach dem starken Einbruch bei den Europawahl-Stimmen ist das sehr beruhigend“, sagt Spitzenkandidat Frank Richter. „Das ist auch ein Zeichen, dass wir in der Bezirkspolitik einiges richtig gemacht haben. Das wollen wir gerne weiter tun. Mit wem, müssen wir sehen.“
Zweitplatzierter bei der Harburger Bezirkswahl: Die CDU
Zweitplatziert ist und ein möglicher Koalitionspartner wäre die CDU. Bei der gibt es Jubelgründe: 23 Prozent der Wählerstimmen machen im Vergleich zu den 19,4 Prozent der Wahlperiode davor zwar nur einen Zugewinn von 3,6 Prozentpunkten aus – aber eine Steigerung von fast 20 Prozent. „Wir haben mit kritischer Oppositionsarbeit, gerade bei den Verkehrsthemen gepunktet“, analysiert Spitzenkandidat Rainer Bliefernicht.
„Wir müssen uns jetzt erst einmal als neue und größere Fraktion finden und besprechen, und dann liegt der Ball bei der SPD. Eine Koalition mit uns wäre die einzig mögliche Zweiparteien-Koalition.“
Grüne üben Selbstkritik beim Thema Verkehr im Bezirk Harburg
Bisheriger Koalitionspartner der SPD waren die Grünen. Zuletzt waren sie in der Koalition sogar die stärkere Fraktion. Nach dieser Wahl garantiert nicht mehr. Von stolzen 25,8 Prozent stürzen sie um 10 Prozentpunkte auf 15,8 ab und verlieren im Verhältnis zur vorigen Wahl fast 40 Prozent.
Spitzenkandidatin Bianca Blomenkamp macht zum einen den bundesweiten Trend dafür verantwortlich, sieht aber auch Gründe im Bezirk. „Vor allem mit unserer Verkehrspolitik haben wir viel Gegenwind geerntet“, sagt sie, „und dass am Wahlsonntag mit der Sperrung von Elbtunnel und S-Bahn in Harburg das reinste Verkehrschaos herrschte, hat den Wählern dieses Thema besonders ins Bewusstsein gebracht.“
Größter Dazugewinner ist im Bezirk Harburg die AfD
Den größten Zugewinn der „Altparteien“ hat mit gut 38 Prozent oder 4,1 Prozentpunkten von 10,2 auf 14,3 Prozent der Wählerstimmen die AfD gemacht. Ihre absoluten Hochburgen waren die Wohnviertel mit hohem Russlanddeutschen-Anteil im Westen der Süderelbe-Region.
Hier ist die AfD die stärkste Partei. In einem Wahllokal in Fischbek erreichte sie 40 Prozent. Aber auch in der weiten Fläche des Bezirks gewannen die Rechtspopulisten hinzu. Im Wahlkreis 1 (Harburg-Zentrum, Neuland, Gut Moor) holte AfD-Spitzenkandidat Helge Ritscher die meisten Stimmen aller Kandidaten.
„Das ist ein starkes Ergebnis“, sagt Ritscher. „Wir bedanken uns bei unseren Wählern und Wahlkämpfern. Angesichts des Gegenwinds war dieser Erfolg nicht selbstverständlich. Die AfD wird in der Bezirksversammlung Harburg ordentlich Dampf machen und Akzente setzen!“
Die Linke: Nach Europaklatsche im Bezirk mit blauem Auge davongekommen
Die Linken sind im Vergleich zur Klatsche bei der Europawahl im Bezirk mit einem blauen Auge davon gekommen, verlieren ungefähr ein Zehntel und liegen bei 8,1 Prozent. Das liegt unter anderem daran, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht, auf anderen Ebenen ein Linkenstimmen-Räuber, im Bezirk (noch) nicht antrat.
„Wir werden uns weiter für soziale Politik einsetzen“, sagt Spitzenkandidat Jörn Lohmann. „Ob wir eine Koalition mit der SPD und einer anderen Partei eingehen würden, wissen wir noch nicht. Ich persönlich halte wechselnde Mehrheiten für eine gute und spannende Option.“
Überrschungserfolg von Volt: Kandidatin ist in Harburg keine Unbekannte
Den verhältnismäßig größten Sprung, weil sie nämlich von null startete, machte die neue Softöko-Partei Volt. Sie kam aus dem Stand auf 5,4 Prozent. Zumindest eine Abgeordnete der fliederfarbenen Partei kennt man in der Bezirksversammlung bereits: Isabel Wiest saß schon für die Grünen und für die Neuen Liberalen im Harburger Rathaus.
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Mit 4,8 Prozent und damit zwei Abgeordneten verliert die FDP ihren Fraktionsstatus. Man darf gespannt sein, was ihr ausgeloster Spitzenkandidat Dirk Kannengießer als Abgeordneter auf die Kette bekommt. Viel Erfahrung vor Ort hat er bislang nicht.
Realistische Koalitionsmöglichkeiten gibt es eigentlich nur zwei: Eine GroKo unter SPD-Führung oder Rot-Grün-Rot. Dann wäre da natürlich auch noch das Modell der wechselnden Mehrheiten, das im Bezirk Bergedorf bis 2019 lange und im Bezirk Harburg nach dem Bruch der letzten Rot-Schwarzen GroKo für einige Monate praktiziert wurde. Die nächsten Wochen werden spannend.