Harburg. Ob Bank, Apotheke, Hausarzt oder Supermarkt: Angebot dünnt merklich aus. Wie es dazu gekommen ist und wo es Hoffnungsschimmer gibt.

  • Besonders für Menschen ohne Auto sind Nahversorgungszentren von großer Bedeutung
  • Sie erledigen Einkäufe im Supermarkt oder Discounter meist zu Fuß
  • Wenn immer mehr dieser Einrichtungen schließen, wird das zum Problem

Knapp 30.000 Menschen leben im Harburger Osten, in den Stadtteilen Wilstorf,Rönneburg, Langenbek und Sinstorf. Auf dem Land reicht diese Bevölkerungszahl schon für eine Kreisstadt; mit Rathaus, einer kleinen Klinik, mehreren Einkaufszentren und einem vielfältigen gastronomischen Angebot. Am Rande des Randes einer Millionenstadt bedeutet es vor allem: lange Wege. Ob Post, Bank, Arztpraxen oder Supermärkte: Das Angebot hat sich über die vergangenen Jahre merklich ausgedünnt.

Harburg: Bundesweite Entwicklungen werden hier besonders sichtbar

Grund dafür sind Entwicklungen, die zwar ganz Deutschland betreffen, im Harburger Osten aber besonders sichtbar werden, wie etwa der Rückzug der Post aus dem Kundenkontakt im Zuge der Privatisierungsbestrebungen. Kleine Postämter wurden geschlossen, große in „Filialen“ umgetauft, Postdienstleistungen an private Geschäftsleute „outgesourced“.

Für die Region heißt das: Es gibt eine Poststelle in Rönneburg, meist ohne Parkplätze und immer ohne Busanbindung, und eine im Supermarkt an der Gordonstraße, die aber nur sehr eingeschränkte Dienstleistungszeiten hat. Auch in Rönneburg sind die Öffnungszeiten eng bemessen. Berufstätigen bleibt nur der Sonnabendvormittag.

Stillstand beim Bauprojekt „Wilstorf 37“: Wie soll es hier weitergehen?

Ein anderes Beispiel ist die Schlecker-Pleite: Gleich vier Filialen der Drogeriekette schlossen 2012, allein drei in Wilstorf. Eine weitere in Langenbek. Andere Drogeriemärkte gab es nicht und es sollte zehn Jahre dauern, bis wenigstens einer wieder eröffnete. Bei mindestens zwei ehemaligen Schlecker-Märkten führte die Schließung dazu, dass auch kleine Geschäfte daneben wegen der gesunkenen Kundenfrequenz aufgaben.

Das Gebiet „Wilstorf 37“ noch mit Tankstelle und Rewe-Markt
Das Gebiet „Wilstorf 37“ noch mit Tankstelle und Rewe-Markt © xl | Lars Hansen

Aktuell besonders bemerkbar macht sich der Stillstand beim Bauprojekt „Wilstorf 37“ an der Winsener Straße. Hier sollen 300 Wohnungen entstehen, der Rewe-Markt soll neu gebaut und durch weitere Geschäfte, unter anderem einen Discounter, flankiert werden. Die Fläche ist weitestgehend geräumt, der REWE-Markt bereits geschlossen, aber jetzt steckt der Entwickler in finanziellen Nöten.

Wie es dort weitergeht, ist unklar, und das wird auch einige Zeit so bleiben. Was dort ebenfalls verschwunden ist, ist die einzige durchgehend geöffnete Tankstelle zwischen Hannoverscher Straße und Autobahn A7.

Elektroauto laden? Auch das geht nur noch in der Harburger Innenstadt

Selbst moderne Entwicklungen scheitern an der zunehmenden Verödung des Ostens. „Die Rewe-Schließung bedeutet nämlich auch, dass die einzige Möglichkeit, im Harburger Osten ein Elektroauto zu laden, verschwunden ist“, sagt die Wilstorfer Bezirksabgeordnete Benizar Gündogdu (SPD). „Es ist schon krass, dass wir Elektromobilität bewerben, aber Besitzer von Elektroautos hier entweder einen eigenen Anschluss brauchen oder in die Harburger Innenstadt fahren müssen!“

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Wer am Sonnabendnachmittag aus dem Harburger Osten in die Innenstadt fährt, um sein E-Auto zu laden, kann auch gleich seine Apothekenbesorgungen mit erledigen. Die drei Pharmazien in Wilstorf und Langenbek schließen sonnabends nämlich bereits mittags. In Rönneburg und Sinstorf gibt es erst gar keine. In Rönneburg gibt es eigentlich auch keinen Hausarzt. Obwohl im Stadtteil viele Ärzte wohnen, praktiziert hier keiner. Die „Rönneburger“ Hausarztpraxis liegt jenseits der Stadtteilgrenze, in Wilstorf.

„Viele müssen mit ihren schweren Einkäufen weite Fußwege gehen!“

Das Nahversorgungszentrum Trelder Weg sehen die RISE-Planer in ihrer Gebietsanalyse als „entwicklungsfähig“ an.
Das Nahversorgungszentrum Trelder Weg sehen die RISE-Planer in ihrer Gebietsanalyse als „entwicklungsfähig“ an. © xl | Lars Hansen

Jetzt wird auch der Penny-Markt in Wilstorf für mehrere Monate geschlossen. „Damit bleibt im ganzen Gebiet nur ein kleines Areal zwischen Rönneburger Straße und Trelder Weg, auf dem sich drei Discounter, ein türkischer Supermarkt und ein Drogeriemarkt drängeln“, sagt Benizar Gündogdu.

„Dabei ist ein ebenso weiträumiges wie engmaschiges Netz an Geschäften für die Nahversorgung viel besser als so eine Anhäufung. Für Menschen ohne Auto ist auch nur der Discounter am Trelder Weg bequem zu erreichen. Viele müssen mit ihren schweren Einkäufen weite Fußwege gehen!“

Wenigstens der Penny-Markt soll in einiger Zeit wieder öffnen

Wilstorf, der Kern des Harburger Ostens ist ein sogenanntes RISE-Gebiet, in dem mit einiger Manpower und ein wenig Geld die Stadtteilentwicklung positiv beeinflusst werden soll. Benizar Gündogdu appelliert an die Gebietsentwickler, auch die Nahversorgung im Auge zu haben, „zum Beispiel, indem man Anreize für junge Gründer setzt, hier kleine Geschäfte zu eröffnen“, sagt sie.

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Die RISE-Projektmanager in Bezirksamt und Stadtteilbüro haben die Problematik durchaus auf dem Schirm. Die Insolvenz der Aurelis Real Estate, die „Wilstorf 37“ plante, traf die Stadtteilentwickler überraschend. Das Baurecht besteht, eigentlich rechneten alle mit dem Baubeginn und setzten große Hoffnungen in das Projekt.

Jetzt können sie nur abwarten. Den Bewohnern des Harburger Ostens bleiben die langen Wege wohl noch lange erhalten. Wenigstens der Penny-Markt soll in einiger Zeit wieder öffnen. Allzu lang wird er aber nicht geöffnet bleiben. Auch hier sollen Wohnungen entstehen. Wenn die neuen Gebäude fertig sind, zieht zwar auch der Markt wieder ein, aber in der Zwischenzeit wird er fehlen.