Neuenfelde. Wasserrohrbruch führt zu Vollsperrung im Stadtteil. Kinder bleiben im Homeschooling, Senioren fahren per Anhalter zum Supermarkt.
Begonnen hat der Ärger zwei Tage vor Heiligabend, was womöglich der Grund dafür ist, dass diese Geschichte bislang ein wenig untergegangen ist. Denn der gesamte Hamburger Süden hatte in jenen Tagen zu kämpfen, mit den Folgen der Sturmflut und des wochenlangen Dauerregens, der die Alte Süderelbe hatte volllaufen lassen.
In der Straße Vierzigstücken in Neuenfelde führte die schwierige Wetterlage auf Höhe der Hausnummer 82 zu einem Wasserrohrbruch und damit schließlich zu einer Vollsperrung ausgerechnet jener Strecke, die den Stadtteil über mehrere Kilometer bis nach Francop zweispurig durchzieht. Eine Ausweichroute gibt es nicht – auf der einen Seite stehen Wohnhäuser, auf der anderen Seite der Deich zur Alten Süderelbe.
Vollsperrung in Neuenfelde: Zehn Stationen werden nicht mehr angefahren
Neuenfelde ist ein ländlicher Stadtteil im Bezirk Harburg, die Menschen hier sind weite Wege gewohnt, um ihren Alltag zu meistern. Wer kein Auto hat, ist auf den HVV angewiesen beziehungsweise die KVG und die Buslinie 257, die zwischen Jork im Alten Land und der S-Bahn-Station Neugraben pendelt.
Doch wegen des Wasserrohrbruchs können nun schon seit drei Wochen insgesamt zehn Stationen nicht mehr bedient werden – auf einer Strecke von insgesamt rund 4,5 Kilometern. Das trifft nicht nur Familien mit schulpflichtigen Kindern hart, die sonst mit dem Linienbus zur Schule fahren. Sondern auch Gastronomen, deren Betrieb an der Strecke liegt und denen nun der Umsatz wegbricht. Und nicht zuletzt Menschen, die ihr Leben in dem ländlichen Hamburger Stadtteil ohne Auto bestreiten (müssen) und nicht wissen, wie sie es nun zur Arztpraxis oder zum Sanitätshaus schaffen sollen.
Die Eltern wurden gebeten, die Kinder bitte selbst zur Schule zu bringen
„Am 22. Dezember gab es einen Wasserrohrbruch in der Straße Vierzigstücken, die Straße wurde daraufhin aufgerissen, war aber immerhin noch einspurig befahrbar“, erzählt Simone Beuth. Sie ist Anwohnerin und eine von neun Frauen, die an diesem Morgen zum Ortstermin mit dem Abendblatt gekommen sind, um ihrer Verärgerung Luft zu machen. „Wenig später wurde die Straße dann ganz gesperrt, auch für den Busverkehr, was für uns jetzt nicht ganz so schlimm war, weil ja noch Ferien waren und die Kinder nicht zur Schule mussten.“
Das Ende der Vollsperrung wurde für den 12. Januar angekündigt – fünf Tage nach Ende der Ferien. Eine Schulwoche ohne Busanbindung hätte man schon irgendwie gewuppt, sagt Simone Beuth. Ihre Tochter besucht das Gymnasium Finkenwerder. Dort sei gleich gefragt worden, ob die betroffenen Eltern Fahrgemeinschaften bilden könnten, um die Kinder selbst zur Schule zu bringen – was von allen verneint worden sei, auch von ihr. „Also ist meine Tochter im Homeschooling geblieben, weil ich berufstätig bin und das nicht leisten kann.“
Zwei Kilometer in der Dunkelheit zu Fuß, bei vereisten Bürgersteigen
Und so wird es nun weitergehen – voraussichtlich bis zum 28. Januar. So lange werden die Arbeiten noch dauern. Zwar wurde vom HVV inzwischen ein Bus-Shuttle organisiert, der die Kinder um 7.20 Uhr an der Haltestelle Hohenwisch (Kehre) einsammelt und zu den Schulen in Finkenwerder fährt. Auch der KVG kündigte für die kommende Woche einen Bustransfer für Schulkinder nach Neugraben an.
Doch die angebotenen Zeiten sind für die meisten Kinder alles andere als optimal. Genau wie der Abfahrtspunkt des Shuttles, der mehrere Kilometer entfernt vom Wohnort der Kinder liegt. So wie bei Simone Beuth, die ihrem Kind diesen Fußmarsch nicht allein zumuten möchte. „Es ist dunkel und kalt, die Gehwege und Straßen sind in Teilen nicht geräumt. Und ich sitze ab 7 Uhr im Home Office, ich kann sie nicht bringen.“
Auch andere Mütter berichten von Schwierigkeiten, ihre Kinder zur Schule zu bringen und abzuholen. Die Rede ist von Fehlzeiten bei der Arbeit und Schulwegen, die nun mit dem Fahrrad bestritten werden, über nicht-gestreute Radwege und vereiste Abkürzungen, um es doch irgendwie in den Unterricht zu schaffen. Viele Schulen verhielten sich nicht kooperativ, vereinzelt sei Eltern bereits mit einem Bußgeld gedroht worden – schließlich gelte in Deutschland die Schulpflicht.
Per Anhalter zum Einkaufen gefahren – mit 82 Jahren
Mit der Geduld der Neuenfelder scheint es nun endgültig vorbei. „Ja, natürlich gilt in Deutschland die Schulpflicht“, sagt Yvonne Petrich. „Aber warum schafft man es von Seiten der Stadt nicht, uns drei kleine Busse zur Verfügung zu stellen, die für die Zeit der Vollsperrung unsere Kinder morgens vor der Haustür einsammeln und am Nachmittag zurückbringen?“
Auch Frauen ohne Kinder sind an diesem Morgen zur Hohenwischer Kehre gekommen. Weil auch sie betroffen sind von der Vollsperrung und darüber berichten möchten. Sie erzählen von Nachbarn ohne Auto, deren Weg zur Arbeit sich um mehrere Stunden verlängert habe und von älteren Menschen, die Arzttermine absagen müssen, weil kein Bus mehr fährt. Eine Frau erzählt von ihrer Nachbarin, die Anfang der Woche per Anhalter zum Einkaufen gefahren sei – mit 82 Jahren.
Eine Gastronomin sammelt ihre Mitarbeiter mit dem eigenen Auto ein
Auch für handwerkliche Betriebe, Landwirte und Gastronomen hat die Vollsperrung Folgen. „Ich bin jeden Morgen unterwegs, um meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Auto einzusammeln und fahre sie anschließend noch nach Hause“, sagt Tanja Freudenthal. Sie ist Inhaberin des Deutschen Hauses in Francop. „Wenn mich Gäste anrufen und fragen, wie viel Zeit sie für den Fußmarsch zwischen Bushaltestelle und ihrem Gasthaus einplanen sollen, dann lautet die Antwort: „Eine Stunde.“
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Niemand in Neuenfelde rechnet damit, dass die Vollsperrung tatsächlich am 28. Januar aufgehoben wird. Gesprochen hat mit den betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern ohnehin niemand – von der Verlängerung haben sie vom Baustellenschild erfahren, das auf Höhe der Haltestelle Hohenwisch (Kehre) aufgestellt wurde, um Autofahrer über die Vollsperrung zu informieren.
Allerdings mit kleinen Schönheitsfehlern. Zum einen beim Namen der betroffenen Straße, die Vierzigstücken heißt und nicht, wie auf dem Schild vermerkt, Vierziegstücken. Und auch das gelbe Rechteck mit dem schwarzen Umleitungspfeil sorgt in Neuenfelde und Francop für Erheiterung. Denn der ausgeschilderte Weg mündet nach viereinhalb Kilometern in der Vollsperrung. Eine Umleitung? Gibt es nicht.