Harburg. Das Marktgeschehen am renovierten Sand ist aus Harburg nicht wegzudenken. Doch es gibt Kritik, oft leere Flächen und Zukunftssorgen.
Schon seit dem Jahr 1612 ist der Harburger Wochenmarkt am traditionellen Marktplatz Sand beheimatet. Und auch 412 Jahre später ist er für viele Harburgerinnen und Harburger nicht wegzudenken. Immerhin ist er mit seiner sechstägigen Beschickung von Montag bis Sonnabend, von 8 bis 13.30 Uhr, der einzige Markt des täglichen Bedarfs in Hamburg, der alle Werktage geöffnet hat. Doch: Hat er in den vergangenen Jahren an Attraktivität verloren? Am Montag und Mittwoch wird ein Aderlass besonders deutlich, nur noch wenige Händler nehmen teil. Wir haben nachgefragt.
Wochenmarkt in Harburg: Zukunftssorgen bei den vielen Marktbeschickern
„Ein Markt lebt von der Vielfalt im Angebot“, sagt Jens Boldin, er ist einer der wenigen Händler, der auch am Mittwoch seine Wurst- und Fleischwaren feilbietet. Am Montag ist auch er nicht mehr dabei. „Wenn ich montags meine Waren anbiete, muss ich bereits am Sonntag den Wagen bestücken und sieben Tage die Woche arbeiten“, so der Fleischer, dazu sei er nicht mehr bereit. Er gönnt sich und seiner Frau eine Auszeit. So wie ihm geht es offenbar vielen Händlern. „Vor einem Jahr waren wir montags noch zwölf Händler, jetzt kommen in der Regel lediglich sechs Stände auf den Harburger Markt“, ergänzt Ulrike Theiß vom Obsthof Feindt aus Jork.
„Mein Ex-Mann hält als Geschäftsführer noch an der sechstägigen Präsenz fest, aber am Montag und Mittwoch, wird es immer schwerer für uns“, so die passionierte Obsthändlerin aus dem Alten Land. „Der Markt hat Zukunftssorgen“, bestätigt Theiß. Zum einen fehlen mittlerweile zahlreiche Anbieter wie ein Blumenladen oder ein Kurzwaren- und Textilienstand. Und wir werden immer älter, es gibt kaum Nachwuchs an Marktbeschickern. Auch bei uns ist Schluss, wenn mein Ex-Mann in den Ruhestand geht“, prognostiziert sie eine dunkle Zukunft für Wochenmärkte insgesamt. Es sei ein hartes Geschäft, mangelnder Nachwuchs, weniger Anbieter, schmaleres Angebot und eine enorme Vor- und Nachbearbeitung, inklusive Anfahrt und gestiegene Kosten, die niemand bezahlen möchte – das seien die Probleme, vor denen alle Händler stehen.
„Letzter Kurzwarenhändler wurde mit Zollstock vertrieben“
Das sieht auch Silvia Muhl von der Marktschlachterei so. „Was wir brauchen, sind Händler. Zum Beispiel einen Räucherfischstand am Anfang der Woche. Hier gab es kürzlich eine entsprechende Bewerbung, aber den habe die Behörde abgelehnt, weil es angeblich keinen Bedarf gebe“, so die Schlachterin. „Ich kann meine Kollegen nur unterstützen, der Markt lebt von Vielfalt. Viele Marktbeschicker sind in den vergangenen Jahren in Rente gegangen, aber es kommt nichts mehr nach. Wenn jemand Neues kommen möchte, ist er herzlich willkommen, der Bedarf ist gerade zum Start der Woche da“, sagt Muhl.
Viele Probleme seien zudem in Harburg hausgemacht. „Es gibt zu wenig Parkplätze, das ganze Umfeld hat sich in den vergangenen Jahren negativ verändert. Außerdem bräuchte es eine Marktaufsicht mit Augenmaß. Die letzte Aufsicht hat die letzten Kurzwarenhändler mit seinem Zollstock vertreiben.“ Selbst von der neuen Randbebauung des Marktplatzes sei sie enttäuscht, man müsse sich mal anschauen, wer dort eingezogen ist: „Leider kein typisches Marktpublikum.“
Bezirkspolitik will Attraktivität des Marktgeschehens in Harburg steigern
Anfang März beschäftigt sich die Bezirkspolitik mit der Attraktivität und Zukunft des Harburger Wochenmarktes. Im September hatte die SPD-Fraktion einen entsprechenden Berichtsantrag in die Bezirksversammlung eingebracht. Am 5. März sollen ab 18 Uhr im Ausschuss für Haushalt, Wirtschaft und Wissenschaft verschiedene Akteure über ihre Zukunftspläne berichten. Eingeladen ist auch ein Vertreter aus dem Bezirk Hamburg-Mitte. Hier wurde vor zwei Jahren das Konzept „Wochenmärkte der Zukunft“ entwickelt. Ein Ergebnis davon ist der Abendmarkt in Hamm, der nun dienstags und freitags bis zum frühen Abend stattfindet. Weitere Ideen wie Musik auf dem Markt, ein Leihsystem für Lastenräder am Markttag oder Automaten, die von den Händlern und Händlerinnen mit ihren Produkten bestückt werden, wurden dort ebenfalls entwickelt.
„Ganzheitlich gefloppt“: Abendmarkt stößt bei Harburger Beschickern auf Ablehnung
„Einen Abendmarkt gab es vor etwa zehn Jahren schon einmal, der ist ganzheitlich gefloppt“, erklärt Silvia Muhl und bleibt dabei: „Was helfen würde sind neue, verbindliche Händler. Ein Abendmarkt würde in Harburg nicht angenommen.“ Das beschäftigt auch Jens Boldin: „Vielleicht würde eine Präsenzpflicht für Händler helfen, damit es an den unattraktiveren Tagen nicht auch noch ein unattraktives Angebot gibt.“ Der Wochenmarkt sei in Harburg ein Stück Tradition, die es noch sehr lange geben wird, sind die Händler unisono überzeugt. Die Frage sei nur, in welcher Form und an welchen Tagen.
„Das Bezirksamt betrachtet den Wochenmarkt auf dem Sand als Harburger Institution und sieht diesen als wesentlichen Faktor für eine attraktive, lebenswerte Innenstadt. Es wurden erhebliche Mittel in die Neugestaltung der Marktfläche aufgewendet, gleichzeitig wurden damit moderne Versorgungsmöglichkeiten für die Marktstände geschaffen“, stellt Sandra Stolle, Pressesprecherin des Bezirksamtes auf Anfrage klar.
Bezirksamt Harburg verspricht: Parkplatzsituation am Markt soll sich endlich verbessern
Durch die mittlerweile fast abgeschlossenen Baumaßnahmen im Umfeld, insbesondere am Westrand, kam es zwischenzeitlich zu deutlichen Belastungen und Einschränkungen bei der Parkplatzsituation. Diese Situation werde sich aber in absehbarer Zeit entspannen, zeigt sich das Bezirksamt optimistisch. „Dem Abschluss der Baumaßnahme und der anstehenden gastronomischen Nutzung der auf Ebene des Marktes gelegenen Fläche blicken wir mit Optimismus entgegen. Das Bezirksamt hat sich hier für eine gerade auch mit dem Wochenmarkt gut verträgliche Nutzung der entsprechenden Flächen des privaten Investors eingesetzt“, weißt Sandra Stolle, die Kritik einiger Marktbeschicker zum Umfeld des Marktes zurück. Wie das Abendblatt exklusiv berichtete, wird im Untergeschoss der Seniorenresidenz eine „Osteria“-Filiale eröffnen.
Austausch mit anderen Bezirken: Welche Ideen könnten auch in Harburg umgesetzt werden?
„Wir bemühen uns den Wochenmarkt attraktiv zu halten und sind mit den Beschickern beziehungsweise deren Marktobleuten und mit Harburg Marketing regelmäßig im Gespräch. Auch ein Austausch mit den Kollegen, die in den anderen Hamburger Bezirken die städtischen Wochenmärkte veranstalten, findet statt. Zudem wurden auch bereits Gespräche mit dem Landesverband des ambulanten Gewerbes geführt. Wir versuchen auf verschiedenen Wegen zusätzliche Beschicker für die schwach besetzten Markttage zu gewinnen und auf einen ansprechenden Branchenmix zu achten“, erklärt das Bezirksamt die Bemühungen, den Wochenmarkt attraktiv zu gestalten und zu erhalten. Aber, so räumt auch das Bezirksamt ein, „am Ende sind wir auf die Bereitschaft der privaten Händler angewiesen.“
Schilder, Stadtplan und Semesterstart-Aktion sollen Bekanntheit des Marktes in Harburg steigern
Wie sehr die Harburgensie Wochenmarkt den Akteuren im Bezirk am Herzen liegt, zeigt das Engagement des Harburg Marketings. „Wir gestalten in diesem Jahr einen neuen Stadtplan mit besonderem Fokus auf den Markt, außerdem binden wir unseren bei unserer Studistart-Aktion in diesem Jahr den Markt wieder ein und bieten den Marktbeschickern so die Möglichkeit, sich bei der jungen Zielgruppe vorzustellen“, sagt Citymanagerin Antonia Marmon.
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Außerdem hätte man den Markttreibenden angeboten als Werbegemeinschaft Mitglied im Harburg Marketing zu werden, damit hätte dieses ein Budget, um über diverse Marktingkanäle eine Story zu entwickeln und regelmäßig über den Markt zu berichten. „Das kommt aber aufgrund der geringen Beteiligung der Marktbeschicker leider nicht zu Stande.“, erklärt Marmon. Man sei aber offen für neue Aktionen und arbeite daran, dass der Wochenmarkt durch eine Beschilderung in der Öffentlichkeit wahrnehmbarer wird.