Harburg. Uwe Böttger verkauft seit 60 Jahren Blumen auf dem Harburger Sand. Anfangs wärmte er sich an heißen Kohlen.

Der Harburger Wochenmarkt hat eine lange Geschichte. Mehr als 400 Jahre gibt es ihn schon – meistens auf dem Sand, dem zur Zeit seiner Benennung unbefestigten Platz zwischen Rathaus und Kirche. Mit einigen Umzügen wegen Marktplatzsanierung – so wie jetzt gerade – ist der Markt die einzige der drei Institutionen, die standorttreu geblieben ist. Das Rathaus zog schon vor 130 Jahren in seinen Neubau und das Gotteshaus lässt die fusionierte Gemeinde ungenutzt, weil die Kirche zu viele Kirchen hat.

Mehr als ein halbes Jahrhundert der Markttradition hat Uwe Böttger erlebt: Der schmucke Blumenmann kann das 60-jährige Bestehen seines Verkaufsstandes feiern. Den führt zwar mittlerweile seine Tochter Simone, aber der erfahrene Uwe ist immer noch dabei mitzumachen und mitzureden.

Mehr als drei Viertel seines Lebens hat der heute 79-Jährige an seinem Marktstand verbracht. „Eigentlich ist der Jahrestag ja erst Sonntag“, sagt er, „aber da hat der Markt ja Ruhetag. Deshalb feiere ich schon vorher.“ Am kommenden Freitag und Sonnabend lädt er Kunden und Kollegen ein, mit ihm an „Simones Blumenstand“ zu feiern.

Uwe Böttgers Familie stammt aus den Vierlanden

Auf dem Markt zu stehen, hat in Uwe Böttgers Familie Tradition. Er kommt aus Kirchwerder in den Vierlanden. Das Gebiet ist seit dem Mittelalter quasi der Nutzgarten Hamburgs, das von hier mit Gemüse und Blumen versorgt wurde. „Es gibt alte Fotos von meiner Großmutter, wie sie in Vierländer Tracht auf einem Ewer in einem der Hamburger Fleete steht und Gemüse verkauft“, sagt Uwe Böttger, „damals fuhren die Bauern noch auf der Elbe in die Stadt.“

Aus dieser Zeit stammt übrigens auch das Hamburger Wort „Quittje“ für Nicht-Hamburger. Denn auch das westliche Pendant der Vierländer, die Altländer, bauten hauptsächlich Obst – auch Quitten – an, kamen mit dem Boot nach Hamburg und fielen mit der Tracht, die sie als echte Bauern auswies, auf.

Mit Trachten hatte Uwe Böttger, Jahrgang 1940, schon nichts mehr am Hut. Er wuchs auf dem Hof der Familie auf und hatte es gut, wenn auch nicht immer leicht. „Meine Mutter hatte neu geheiratet, nachdem mein Vater im Krieg geblieben ist“, sagt Böttger. „Ich hatte zwar einen Stiefvater, aber mein wirklicher Ziehvater war mein Onkel.“ Wie es damals üblich und nötig war, half der Sohn schon früh auf dem Hof mit. Das war zum Teil auch ein großes Abenteuer für den Kleinen, beispielsweise den Motorpflug durch die Furchen zu steuern. In der Freizeit, die neben Mitarbeit und Schule blieb, spielte er Fußball beim TSV Kirchwerder.

Mit 19 Jahren eröffnete er seinen eigenen Marktstand

Auch beim Verkauf half Uwe Böttger bald mit. Die Familie hatte Marktstände in Hamburg und Lüneburg. Trotzdem drängte es ihn dazu, sein eigenes Glück zu versuchen. Und so stand er 1959 mit noch nicht einmal 20 Jahren, auf dem Harburger Sand und verkaufte auf eigene Rechnung Gemüse.

„Das waren noch ganz andere Zeiten damals“, sagt er. „Im Winter stand hinter dem Stand ein Blecheimer mit Holzkohle. Die haben wir mit Spiritus angezündet. Das war unsere Heizung.“ Das hätte ihn beinahe sein Betriebsfahrzeug gekostet. „Einmal kam ich zu meinem Lieferwagen und wunderte mich, warum der auf einmal getönte Scheiben hatte“, erzählt er. „Da hatte der Petroleumofen, den ich darin hatte, damit die Ware nicht einfriert, angefangen zu rußen. Ich musste richtig lange putzen.“

Anfangs verkaufte er Gemüse. Die Wende zu den Blumen kam beim Tanzen. Uwe Böttger war mit Freunden zum Tanzsaal gefahren. „Un dor weer denn so’n Deern, de weer heel alleen“, erinnert er sich. Das war Brigitte. Als gelernte Floristin wusste sie, wie man auch als Mauerblümchen gut aussieht, und Uwe, der Gärtner, wusste, wie man ein Mauerblümchen zum Blühen bringt.

Die Liebe brachte ihn zu den Blumen

Die beiden wurden ein Paar und aus dem Gemüsestand ein Blumenstand. „Damals waren wir noch mit 20 Blumenständen auf dem Markt“, sagt Uwe Böttger. „Die Blumenhändler hatten eine eigene Fläche.“ Wie man es schafft, nach 60 Jahren Arbeit noch so gut auszusehen, verrät er gern: „Die frische Luft und die netten Kunden halten einen jung.“

 Mittlerweile führt seine Tochter Simone Micheel den Stand. Uwe Böttger macht und redet trotzdem noch gern mit.
Mittlerweile führt seine Tochter Simone Micheel den Stand. Uwe Böttger macht und redet trotzdem noch gern mit. © xl | Lars Hansen

Mittlerweile führt seine Tochter Simone Micheel den Stand. Selbst Angebautes gibt es noch immer „Aber wir haben nur noch 1,2 Hektar“, sagt Uwe Böttger. „Wir kaufen viel von unseren Nachbarn dazu. Was Saison hat, ist bei uns also immer regional.“ Ans Aufhören denkt er nicht. Im Gegenteil: Gerade hat er sich ein neues landwirtschaftliches Hobby zugelegt. „Ich habe jetzt Hühner“, sagt er. „Das macht richtig Spaß!“

Die Vierlande waren einst vier Inseln

Kirchwerder, Uwe Böttgers Heimatort, gehört zu den Vierlanden am rechten Elbufer im Osten Hamburgs.

Die Vierlande waren ursprünglich vier Inseln zwischen Nebenarmen der Elbe: Altengamme, Curslack, Kirchwerder und Neuengamme. Teile Kirchwerders gehörten bis 1938 zum Landkreis Harburg.

Seit dem Mittelalter waren die Vierlande ansonsten im gemeinsamen Besitz der Hansestädte Lübeck und Hamburg. Die ursprünglichen Besitzer, die Herzöge von Lauenburg, hatten die Inseln für ein Darlehen verpfändet, die Schulden aber nicht bezahlt.

Fetter, feuchter Marschboden macht die Vierlande zum Blumen- und Gemüsegarten Hamburgs. Mittlerweile gehören die vier, aus den Inseln hervorgegangenen, Dörfer als Stadtteile zum Bezirk Bergedorf.