Harburg/Landkreis. Bei vielen Händlern türmt sich die Ware. Kunden kaufen zögerlich. Der Corona-Boom im Fahrradhandel ist vorbei. Aber nicht überall.

Überstunden und hohe Verkaufszahlen: Während der Corona-Pandemie ab 2020 erlebte der Fahrradhandel einen echten Boom. Lockdowns führten zu Einschränkungen der Freizeitangebote und Urlaubspläne. Kein Wunder, dass manch einer das alte Fahrrad aus dem Keller hervorholte – oder sich ein neues zulegte. Die Nachfrage übertraf das Angebot bei weitem. Trotz der Lieferengpässe profitierten auch Verkäufer in Bezirk und Landkreis Harburg davon. Heute ist die Situation eine völlig andere.

„Die Leute sind blank“: Großes Angebot bei geringer Nachfrage

„Während Corona waren wir froh, wenn hier überhaupt ein, zwei Fahrräder im Laden standen. Wir wussten gar nicht, wie wir die hohe Nachfrage bedienen sollten. Heute sind unsere Regale aber prall gefüllt“, bedauert eine Mitarbeiterin des Harburger Fahrradladens Kitendo/Bakkie. Grund für das Bestandshoch sei die überwiegend gesättigte Nachfrage nach neuen Rädern, da sich viele Interessenten eben erst in den letzten Jahren ein Exemplar zugelegt haben. Außerdem betont die Mitarbeiterin: „Die Leute sind blank.“

Verkaufsleiter Christian Pahl im Fahrradcenter Harburg (Archivfoto)
Verkaufsleiter Christian Pahl im Fahrradcenter Harburg (Archivfoto) © HA | Andre Lenthe Fotografie

Die Inflation trage ebenso zur schmalen Nachfrage bei, da das Budget oft nicht mehr für eine größere Investition ausreiche. Eine zögerliche Kundschaft kauft eben nicht verlässlich. Händlern, die zu Zeiten der Pandemie eine spekulative, aber verbindliche Vororder getätigt haben, wird dies nun zum Verhängnis. Überfüllte Lager sind die Konsequenz dieser Vorbestellungen, da sie jetzt weit über Bedarf und Kaufkraft hinausgehen – das Angebot ist plötzlich groß, die Nachfrage plötzlich gering.

Mehr Bastelarbeit: Inhaber beobachtet höheren Bedarf an Reparaturleistungen

Trotz der vermeintlich kleineren Nachfrage kann von ausbleibender Kundschaft nicht zwangsläufig die Rede sein – zumindest nicht in allen Bereichen des Fahrradhandels. Jan Hoffmann, Inhaber des Geschäfts Fahrrad-Hoffmann (Seevetal), beobachtet auch eine Verschiebung des Kundenbedarfs. So verzeichnet er einen höheren Andrang in seiner Werkstatt als vor der Pandemie: „Seit Corona nutzen mehr Menschen ein Fahrrad – da ist es klar, dass wir im Reparaturservice auch mehr zu tun haben.“ Dies ist nur einer von vielen Gründen, der ihn zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt. Aber wie rosig sind die Aussichten für Kunden?

Teils billigere Produkte wegen Überbestands – eine „Herausforderung“

Durch die Inflation seien die Einkaufspreise für Händler angestiegen, stellt Verkäufer Bastian Klein (VON.KLEIN) aus Jesteburg fest. Parallel dazu würde das große Angebot mittlerweile aber auch dafür sorgen, dass Kunden Fahrräder teilweise günstiger erwerben können. Eben insbesondere in Fällen, bei denen Händler ihren Bestand dringend verkleinern wollen. Er spricht daher von einer „Herausforderung für die Fahrradindustrie“.

Diese wirtschaftliche Problematik erlebt er mit seinem eigenen Geschäft, obwohl er von einem zu großen Bestand nicht direkt betroffen ist. Ausschlaggebend sei seine rechtzeitige Anpassung der Warenausrichtung gewesen: Um den direkten Wettbewerb mit „Mainstream-Discountern“ zu vermeiden, konzentriert sich Klein vorwiegend auf spezialisierte und exklusive Angebote.

Individuelle Produkte erweisen sich als Schlüssel – viel günstiger werden sie nicht

Eine ähnliche Herangehensweise verfolgt Stephan Dirks, Geschäftsführer des Fahrrad & E-Bike Center Hamburg in Harburg. Seit knapp 40 Jahren existiert sein Geschäft – und trotzt dabei auch Pandemie und Inflation. Warum? Dirks erklärt: „Unsere Erfahrung und Besonnenheit hat uns während der Pandemie vor etwaigen Panikkäufen geschützt.“ Ein weiterer Vorteil sei gewesen, dass das Center als Direktvertrieb agiere. Damit meint er seine Eigenmarke TRENGA DE, die ihm durch zahlreiche Konfigurationsmöglichkeiten eine „besondere Marktposition“ verschaffe. Überbestände habe er nicht, die Bilanzen seien weitestgehend stabil. Eine signifikante Preisanpassung wurde daher nicht vorgenommen, so der Geschäftsführer.

Günstige Massenangebote oder exklusive Anfertigung – der Kunde ist König

Gegen externe und günstige Angebote, die vorwiegend aus Überbestanden resultieren, könne man sich durch die Eigenproduktion recht gut behaupten – als Schlüssel für den Erfolg nennt Dirks die Individualisierung seiner Produkte. Stammkunden seien nach wie vor treu. Sie schätzen das, was günstige Massenangebote nur schwer leisten können: die Wunschanfertigung. Ob dies den höheren Preis rechtfertigt, muss der Kunde entscheiden. Trotz des „Löwenvorteils“ der Exklusivität bestätigt der Geschäftsführer allerdings: „Auch an uns gehen Pandemie und Inflation natürlich nicht spurlos vorbei – jeder spürt das.“

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Zugleich kritisiert er die Reaktionen mancher Marktakteure auf den damaligen Fahrradboom: „Auf einmal wollten alle Fahrräder verkaufen.“ Als Beispiel nennt er das Unternehmen ATU, das sich mit Kraftfahrzeugen beschäftigt – eigentlich. Während der Pandemie habe der Konzern versucht, zusätzlich in den Fahrradmarkt einzusteigen.

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Dirks betont, mit einer „fachfremden Unwissenheit“ sei der Branche nicht geholfen, vielmehr würde das Gegenteil bewirkt und dem Markt weiter geschadet werden. Bis Letzterer sich wieder regeneriert, müsse man ohnehin mittelfristig in die Zukunft blicken: „Mit einem Jahr wird es nicht getan sein. Zwei oder drei Jahre kann das schon dauern.“