Hamburg. Für die noch verbliebene Reparaturwerkstatt ist die Ladenfläche zu groß, und die Mietkosten lassen sich nicht mehr erwirtschaften.

Seit über 114 Jahren kaufen Harburgerinnen und Harburger ihre Fahrräder an der Wilstorfer Straße. Zuerst nur bei Fahrrad-Eickhoff; bis vor 92 Jahren direkt gegenüber Ernst Brinkmann sein erstes Geschäft eröffnete. Ernsthaft gegenseitig geschadet haben sich die beiden Geschäfte nie, eher im Gegenteil. Eickhoff gab den Betrieb allerdings vor vier Jahren auf – und das nicht etwa mangels Kundschaft, sondern mangels Personals. Ende November schließt an der Wilstorfer Straße nun auch Brinkmann.

Damit wird das letzte traditionelle Fahrradgeschäft in der Harburger Innenstadt verschwinden. Den Schlüssel umdrehen wird Jürgen Arndt. Der 45-jährige ist der letzte verbliebene Mitarbeiter. Er will das Geschäft weiterführen. Nur wo, weiß er noch nicht. Arndt sucht dringend bezahlbare Räume.

Darin liegt nämlich die Crux: Das Haus hat den Besitzer gewechselt und der neue Besitzer die Miete erhöht. Der neue Betrag ist gemessen an Lage und Ladengröße zwar nicht unverschämt zu nennen aber doch deutlich höher als das Geschäft erwirtschaften kann – zumal die Geschäftsräume derzeit deutlich zu groß für den Betrieb sind. „Ein Laden oder eine kleine Werkstatt ab 50 Quadratmeter würde ausreichen“, sagt Jürgen Arndt.

Brinkmann ist aus Handel ausgestiegen

Viel Verkaufsfläche wird nicht mehr benötigt. Aus dem Handel mit neuen Fahrrädern ist Brinkmann nämlich längst ausgestiegen. Mit den Preisen in Bau- und Supermärkten sowie im Internet kann ein spezialisierter Einzelhändler nicht mithalten. Was schlecht für den Verkauf ist, lässt allerdings das Reparaturgeschäft boomen. „So gut wie jedes billig gekaufte Fahrrad landet über kurz oder lang bei uns“, sagt Arndt. Derzeit ist er allein, sein letzter Kollege hat vor einigen Tagen aufgehört. „Ich arbeite hier noch die Reparatur-Aufträge ab“, sagt Arndt. „Danach verpacke ich die Werkzeuge.“

Das Fahrradhaus Brinkmann an der Wilstorfer Straße in Harburg, wie es noch viele kennen.
Das Fahrradhaus Brinkmann an der Wilstorfer Straße in Harburg, wie es noch viele kennen. © André Zand-Vakili | Zand-Vakili

1929 hatte der Werkzeughändler Ernst Brinkmann an der Wilstorfer Straße sein erstes Ladengeschäft eröffnet. Er verkaufte hier Spielzeug, Fahrräder, elektrische Geräte und Radio-Empfänger. Aus diesem Geschäft sollte später die berühmte Warenhauskette entstehen, auch wenn der Laden im Phoenix-Viertel nicht mehr dazugehörte. 1944 wurde Brinkmanns Geschäft in Harburg ausgebombt. 1947 eröffneten Ernst Brinkmann und sein damaliger Kompagnon Willi Wiegmann neu – an der Spitalerstraße in Hamburg. Erst später wurde das Geschäft in Harburg wieder aufgebaut.

Als es zweimal Brinkmann in Harburg gab

Ende der 1950er trennten sich Brinkmann und Wiegmann. Wiegmann behielt das Harburger Geschäft, Brinkmann blieb in Hamburg, bis er in ganz Deutschland expandierte. Und so gab es um die Jahrtausendwende zwei Brinkmann-Geschäfte in Harburg: Das Stammhaus, das nicht mehr zum Konzern gehörte, und ein Technikkaufhaus der Brinkmann-Kette, die 2001 Insolvenz anmeldete und 2002 abgewickelt wurde. Quittungsblöcke mit dem bekannten Hamburger Brinkmann-Logo waren allerdings auch an der Wilstorfer Straße noch lange in Gebrauch.

Wer das Geschäft durch die Ecktür betrat, stand zunächst in der Fahrradabteilung. Nach dem Weg zum Spielzeug musste man fragen, wenn man ihn nicht kannte: Ein unscheinbarer Durchgang zwischen Fahrrad-Kassentresen und einem Regal mit Ersatzteilen. Dahinter öffnete sich ein Paradies für Spielzeugnostalgiker. Plastik hätte man hier vergebens gesucht. Auch nach einem schweren Brand im Jahr 2013 füllten die damaligen Inhaber, das Ehepaar Sievers – Marianne Sievers war Willi Wiegmanns Tochter – den Spielzeugladen noch einmal mit hochwertigen Holzspielzeugen auf. Die Miete musste die Sievers nicht kümmern: Das Haus gehörte seit den 1970er-Jahren ihnen.

Das Haus ist inzwischen verkauft

Mittlerweile sind sie verstorben. Das Haus gehört jemand anderem, die ehemalige Spielzeugabteilung steht leer und trägt zur Mietbelastung bei. Jürgen Arndt sitzt hier alleine mit noch einer Menge Arbeit und viel teurer Leerfläche. „Ich wollte bei Brinkmann arbeiten, seit ich 15 war“, sagt der gelernte Werkzeugmechaniker. „Vor zehn Jahren habe ich mich endlich mal getraut, zu fragen und 14 Tage später fing ich an. Jetzt bin ich der letzte.“

Aufgeben will er nicht: „Ich liebe Fahrräder und ich habe die Kundschaft liebgewonnen“, sagt Arndt. „Harburg braucht ein Fahrradgeschäft, wohin man ein kaputtes Rad zur Not auch noch zu Fuß schieben kann! Wenn ich nichts finde, schraube ich erstmal in meinem Keller weiter. Das muss doch gehen. Viele Firmen haben in Kellern und Garagen angefangen.“ Wer Räume für ihn haben sollte, ruft an unter 0157/307 61 963.