Harburg. Nächsten Freitag bringt die „Avontuur“ wieder Fairtrade-Kaffee, Kakao und Rum nach Harburg. Entladen wird im Binnenhafen – per Hand.
Am kommenden Freitag ist es so weit: Die „Avontuur“ läuft mal wieder in Harburg ein. Dass gut erhaltene Traditionssegler im Harburger Binnenhafen festmachen, ist nichts Ungewöhnliches: Das Ambiente stimmt und die Liegegebühren wirken nicht wie von Apothekern und Astronomen berechnet.
Die „Avontuur“ aber ist etwas Besonderes: Der knapp über 100 Jahre alte Gaffelschoner mit seinem Stahlrumpf ist nicht nur äußerlich erhalten worden, sondern auch in seiner Funktion als Frachtschiff. Wenn die „Avontuur“ irgendwo anlegt, liegt auch immer Hafenarbeit an: nach alter Schule von Hand be- und entladen.
Hafen Hamburg: Traditionssegler bringt Fairtrade Kaffee nach Harburg
Seit 2016 verwirklichen Enthusiasten mit der „Avontuur“ zwei Träume gleichzeitig: nostalgisches Hochseesegeln und Welthandel zu fairen Bedingungen. Die „Avontuur“ bringt Genussmittel aus der Karibik sowie vom süd- und zentralamerikanischen Festland – Kaffee, Rum, Kakao. Zur Stammbesatzung stoßen dabei stets etappenweise gut betuchte Teilzeitaussteiger, die viel bezahlen, um an Bord hart arbeiten zu dürfen.
Die 13. Reise führte von Cadiz in Spanien über den Atlantik auf die Antillen, in die Dominikanische Republik, von dort nach Kolumbien, Costa Rica, Belize und Mexiko, wieder auf den Atlantik und über die Azoren, die Biscaya und den Ärmelkanal in die Nordsee. Gerade ist das Schiff noch in IJmuiden, dem neuen Seehafen von Amsterdam. Dann geht es, mit Zwischenstopp auf Föhr, nach Harburg.
Löschen der Ladung ist immer ein großes Spektakel und ein kleines Volksfest
Die „Avontuur“ ist angeschlagen: Bei einer Halse rissen beide Gaffelsegel – das sind die großen hinter den Masten – ein. Eines ist völlig hinüber, das andere kann noch zum Teil gesetzt werden. In Harburg wartet die Segelmacherei Raap schon auf ihren Lieblingskunden.
Wenn die „Avontuur“ dann da ist, warten nicht nur die Segelmacher. Das Löschen der Ladung ist immer ein großes Spektakel und ein kleines Volksfest. Kaffeehändler, Fair-Trade-Enthusiasten und Freunde der Segelnostalgie haben sich angemeldet, um zu helfen. Bezahlen müssen sie dafür zwar nicht, aber den Tag geben sie dafür drein. Viele wohl auch den nächsten, wenn sie ihren Muskelkater pflegen.
So lief der Harburger Entladetag im vergangenen Jahr ab
Weniger anstrengend, aber garantiert auch spannend, ist das Kaikantenevent für die reinen Zuschauer. Die können dabei auch mehr Kaffee trinken als die Helfer.
Im vergangenen Jahr war die „Avontuur“ pünktlich. Das ist bei Schiffen nicht selbstverständlich, erst recht nicht bei Seglern. Aber um 12.30 Uhr passiert der Zweimaster die Kattwykbrücke, Punkt 13 Uhr die Binnenhafenschleuse, 13.25 Uhr legt sie am Lotsekai an, und Punkt 13.30 Uhr ist sie fertig festgemacht – auf die Minute so wie angekündigt.
Fotostrecke: Wenn hundert Hände Hafenarbeit machen
Gelernte Hafenarbeiter sind die 50 Helferinnen und Helfer allesamt nicht
Gut 50 Helfer warten bereits auf den Frachtsegler. Doch sie müssen sich trotz aller Pünktlichkeit gedulden: An Deck muss zunächst der Laderaum geöffnet werden, und das Luk ist seefest abgedichtet: Eine Persenning, über Holzbohlen verspannt, mit Holzstücken verkeilt – all das muss die Seglercrew erst abbauen.
Hafenarbeiter sind die 50 Helfer allesamt nicht: Jutta ist Redakteurin, Lutz Ingenieur, Colin ist Lehrer. Einige sind Kaffeeröster und -händler, die hier dazu beitragen wollen, dass ihre Ware nach fairem Handel und klimapositivem Transport per Segelschiff auch nachhaltig entladen wird. Hamburger Schnack hört man wenig, dafür bestimmen viel Englisch und diverse süddeutsche Akzente das Idiom der Hobby-Hafenarbeiter.
Vollgeladen ist die „Avontuur“ nicht mehr. Sie hat auf dem Rückweg von Lateinamerika bereits in Plymouth 2,5 Tonnen Kaffee gelöscht und in IJmuiden einige hundert Liter karibischen Rum. Die Nacht vor dem Einlaufen in Hamburg hat das Schiff vor Helgoland geankert.
An Land koordiniert Cornelius Bockermann die Leute. Er ist Reeder und Kapitän der „Avontuur“ zugleich. Diesen Törn ist er aber nicht gefahren. Kapitän an Bord war – und ist – Joachim Ebel, der deshalb auch die Crew und später die Helfergangs an Deck koordiniert.
Sackgut und Stahl sind des Hafenarbeiters Tod
Die Luke ist jetzt offen. Zunächst einmal kommt Stückgut von Bord: Kartons mit bereits geröstetem und abgepacktem Kaffee werden per Menschenkette auf die Kaikante gebracht und dort auf Paletten gestapelt.
Dann geht es an das, was früher jeden Hafenlöwen fluchen ließ: die Säcke. „Sackgut und Stahl sind des Hafenarbeiters Tod“, hieß es einst. Bevor die 69 Kilogramm schweren Kaffeesäcke an die Reihe kommen, macht man sich mit Kakao warm. Der wiegt nur 55 Kilo pro Sack.
Entladen mit Talje und Flaschenzug
Eigentlich sollte der Harburger Museumshafen mit seinem gelben Kran bei der Entladung helfen, aber der darf gerade nichts Schweres heben, sondern nur gut aussehen. Da sind die Vorschriften streng und die Beamten ungern flexibel.
Das bedeutet, dass das bordeigene Hebezeug zum Einsatz kommt: Die Talje – eine Bockrolle, die mit zwei Leinen zwischen den Masten gespannt ist. An einer Seite zieht ein Flaschenzug. Spannt sich das Seil, geht die Talje nach oben. Damit es sich spannt, ziehen an Deck sechs Männer und Frauen die Leine durch den Flaschenzug: „Zu-Gleich – Zu-Gleich.“
Der mühseligste Job ist in der Luke
Angehoben wird damit eine Netzbrooke. Das ist ein flaches, meist rechteckiges Netz mit langen, beschlauften Tampen an jedem Ende, das man flach auf den Boden legen und mit Ware vollstellen kann, das sich dann aber, wenn es von Kran oder Talje gehoben wird, zu einem Beutel zusammenzieht.
Die Brooke liegt im Laderaum. Jeweils zwei Helfer legen einen Sack darauf. Fünf werden es pro Hieve. Die Säcke aufzunehmen, um sie in die Brooke zu legen, ist der mühseligste Job im Sackgut: Während der Fahrt haben sich die Säcke schön fest ineinandergekuschelt.
Das Tom-Sawyer-Prinzip – harte Arbeit als bereichernde Selbsterfahrung
Warum nehmen Leute solche Mühe auf sich? Ist es das Tom-Sawyer-Prinzip – harte Arbeit als bereichernde Selbsterfahrung? Zumindest die Segelcrew hat bezahlt, um dabei sein zu dürfen. Die Ehrenamts-Kaiarbeiter nicht, aber sie opfern einen Tag. „Es ist ja nur zweimal im Jahr, dass der Kaffee ankommt“, sagt Jutta „und bei diesem Nachhaltigkeitskonzept helfen zu können, ist ein schönes Gefühl!“
155 Säcke fairer Kakao müssen von Bord, bevor der Kaffee drankommt. 155 Säcke à 55 Kilo. 50 Kilo war früher die Grenze, bis zu der einem Hafenarbeiter zugetraut wurde, einen Sack alleine zu heben. Erst ab 50 Kilo – und viele Schuppenviezen sahen diese Grenze flexibel – hob man die Säcke zu zweit. Der Kollege, mit dem man zusammen hob und schmiss, hieß „Sackschwester“. Die Ambiguität war Teil des Schauerleutehumors. Viele wohnten auf St. Pauli.
„Wegen die sechs Säcke machen die hier so ein Spektakel?“
Sechs Säcke im Netz, wird die Brooke abgehoben. Damit schwebt sie jetzt erst einmal nur über dem Deck. In Richtung Kai muss sie mit Muskelkraft gezogen werden. Eine Leine am Kranhaken wird von sechs Leuten gezogen, weitere sechs greifen die Brooke, sobald sie nahe genug ist. Auf den Pflastersteinen werden die Säcke schnell aus dem Netz genommen und auf Paletten gestapelt – ebenfalls von Hand. Je zwei Sackschwestern pro Einheit, sechs Säcke pro Palette
Und auf einmal hört man doch Hamburger Schnack: Zaungast Hannes ist ein Hafenveteran: „Wegen die sechs Säcke machen die hier so ein Spektakel?“, fragt er. Währenddessen fährt schon wieder die nächste Brooke an der Talje hoch.
Bis zum Abend brauchen die Helfer, um den Segler zu entladen. Schuld ist auch das Wetter. Bei Regen wird unterbrochen. Nicht, dass der Kaffee nass wird.
Wenn die „Avontuur“ am kommenden Freitag einläuft, ist dabei übrigens eine Ladungspremiere. Erstmals segelt der Schoner diesmal auch Inlandsfracht: nachhaltigen friesischen Farmwhisky von der Insel Föhr. Bauer und Brenner Jan Robert Hinrichsen möchte die Nachhaltigkeit seines Produkts nicht schmälern, indem er es per Fähre und LKW nach Hamburg bringt. Die „Avontuur“ ist da genau sein Transportmittel. Und da Whisky mit der Zeit immer besser wird, macht es dabei gar nichts, dass man mal ein paar Monate warten muss, bis das Schiff beim nächsten Törn vorbeikommt.
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Apropos, nächster Törn: Etwa einen Monat lang bleibt die „Avontuur“ in Hamburg. Dann geht es an für Hamburger unvorstellbare Gestade: nach Bremen. Dort präsentiert sich das Schiff auf den maritimen Tagen von Bremerhaven. Von dort geht es nach Teneriffa, wo Anfang 2025, wenn die guten Winde für Transatlantiksegler einsetzen, die 15. Reise startet.
Wer beim Löschen der Ladung gerne mithelfen möchte: Die Kaffeerösterei „El Rojito“ und der Fairtrade-Kakao-Händler Zotter suchen für Freitag noch Freiwillige. Treffen ist um 9 Uhr am Kanalplatz, wo die „Avontuur“ diesmal anlegt. Die Aktion dauert bis 15 Uhr inklusive Feierabendfeier. Helme, Handschuhe und helle Westen sind vorhanden, feste Schuhe muss man selbst anhaben. Für die Planung ist es nett, sich unter info@solnocturno.org kurz per E-Mail anzumelden