Hamburg. Der Gaffelschoner „Amphitrite“ liegt im Harburger Binnenhafen – die ehrenamtliche Crew ist verrückt nach der alten Lady.
Wer den traditionellen Stil pflegen will, muss Hand anlegen. Weil ein maritimes Schmuckstück wie die „Amphitrite“ ihre Eleganz und ihre Würde nur mit enormem Einsatz und Herzblut bewahren kann – seit 135 Jahren. Es ist ein Segen für die Seefahrt, dass im gemeinnützigen Verein Clipper eine Crew leidenschaftlicher Seglerinnen keine Mühe scheut, Tradition am Leben zu halten. Zu Hause ist die Gemeinschaft aus fast 3000 Mitgliedern im Harburger Binnenhafen.
Nicht weit vom Hauptdeich, dem Dampfschiffsweg und dem Kommissariat 3 der Wasserschutzpolizei wird Segelgeschichte kultiviert. An einem Anleger Am Überwinterungshafen, so die offizielle Adresse, haben zwei historische Schönheiten vis-à-vis festgemacht: Die „Seute Deern“, ein früheres Frachtsegelschiff, und eben die „Amphitrite“, von Kennern als „Grand Old Lady“ des Hamburger Hafens und der Ostsee eingestuft. Der dreimastige Gaffelschoner wurde anno 1887 auf einer Werft in der Grafschaft Hampshire im Süden Englands gebaut. Auftraggeber war ein gut betuchter Adeliger. Aktuell gilt das grazile Schiff als eine der ältesten, noch seegehenden Holzyachten Europas.
"Amphitrite" ist als schnittige Rennyacht vom Stapel gelaufen
Vor dem Gang an Bord heißt Stephanie Dagen die Landratten im Vereinsheim auf dem Ponton willkommen. Wo sich einst ein Eingangstor zu Blohm + Voss befand, steht den Mitgliedern ein Gebäude mit Werkstätten, Schlafmöglichkeiten, einem gemütlichen Clubraum und geräumiger Kombüse zur Verfügung. Dort nehmen wir an diesem sonnigen Frühlingsmorgen Platz. Das Du ergibt sich in diesem schnörkellosen Umfeld praktisch von selbst. Steffi serviert einen Pott Kaffee und hausgebackenen Butterkuchen. Hauptberuflich als Kinderkrankenschwester für Intensivmedizin am Uni-Klinikum Lübeck im Einsatz, widmet die 45-Jährige Freizeit und Urlaub der „Amphitrite“. „Und zwar mit Herz und Seele“, sagt Steffi. Seit 2005 hat sich die taffe Niedersächsin zur Schiffsverantwortlichen und Steuerfrau entwickelt. Sie ist auf gutem Weg zur Kapitänin.
Im Sauseschritt eilen wir durch turbulente Jahrzehnte. In der altgriechischen Mythologie wurde Amphitrite als couragierte Schönheit und Beherrscherin der Meere verehrt. Ursprünglich als schnittige Rennyacht aus Teakholz und Eiche vom Stapel gelaufen, diente der nach ihr benannte Dreimaster mit schmalem Rumpf und langgezogenem Heck im Zweiten Weltkrieg als Ballonsperre der britischen Marine. Er bestritt Regatten, zum Beispiel gegen die „Meteor“ von Kaiser Wilhelm II., war später Hausboot und Filmkulisse. Hans Joachim Kulenkampff schauspielerte an Bord in „Das Geheimnis der Marie Celeste“. Auch die 26-teilige Serie über den Kommandanten Felix Graf von Luckner war mit dem Traditionssegler verbunden.
Der Gaffelschoner präsentiert sich in formidablem Zustand
Das passt. Aus der Clipper-Kombüse sind es nur ein paar Schritte auf den Steg und über die Gangway. „Willkommen auf der ,Amphitrite‘“, sagt Stephanie Dagen. Von einer Schutzplane abgeschirmt, präsentiert sich der 44,33 Meter lange und 5,72 Meter breite Gaffelschoner in formidablem Zustand. Der höchste der drei Masten misst 28 Meter. Sind sämtliche zehn Segel gesetzt, ergeben sich 540 Quadratmeter Segelfläche. Kein Wunder, dass die Holzyacht auf Elbe und Ostsee Blicke anzieht. Die „Amphitrite“ ist Stammgast beim Hafengeburtstag in Hamburg, bei der Kieler Woche und weiteren maritimen Großveranstaltungen.
Die Crew umfasst 30 ehrenamtliche Enthusiasten, davon etwa die Hälfte Frauen. Als Heimathafen steht Bremen am Heck. Die Stammwerft befindet sich in Svendborg in Dänemark. Während der Wintersaison liegt die Meeresgrazie meist in Harburg. Wenn die Helfer nicht von Corona ausgebremst werden, legen sie im Wochenendrhythmus Hand an. Und zwar kräftig. Mühe und Leidenschaft ohne Sold. Bei Kinderkrankenschwester Steffi ging die Begeisterung für ihre „Amphi“ so weit, dass sie vor drei Jahren aus Düsseldorf nach Lübeck zog. Nah ans Meer, näher an „ihren“ Dreimaster. Zuvor hatte sie alle möglichen Segelscheine geschafft, einen davon mit Traditionsschiffereintrag.
"Das Schiff ist ein eigener Kosmos"
Im 1973 gegründeten Verein Clipper DJS, der auf vier Traditionsschiffen vor allem Jugendlichen das traditionelle Segeln schmackhaft machen möchte, gibt es mehrere ihrer Art: Frauen und Männer, die nicht auf die Uhr gucken. Die mehr machen, als sie sollten, viel mehr. „Uns fasziniert altes Handwerk, das dauerhaft perfekt funktioniert“, sagt sie. Stabile Knoten, Flaschenzüge, robuste Takelage. Ganz gleich, welchem Beruf man an Land nachgehe: „An Bord ist jeder gleich“. In Arbeitsklamotten, oft im Blaumann. Steuerfrau Dagen ist sich nicht zu schade, stundenlang Rost zu klopfen, Holz zu schleifen, Fußböden zu bearbeiten, zu lacken oder zu labsalben. Letzteres bedeutet das Einfetten der Takelage mit einer Mixtur aus Rindertalg, Wurzelteer und Leinöl. Gab’s immer schon, wirkt besser als jede Chemie.
Für die Crew sind Einsatzfreude und handfestes Anpacken ebenso wichtig wie Geselligkeit und Kameradschaft. „Das Schiff ist ein eigener Kosmos, der die Welt rundum in den Hintergrund drängt“, meint Monika Mönnekes. Die diplomierte Verwaltungswirtin leitet das Sozialamt in Höxter. Jedes zweite Wochenende fährt sie in den Norden. Bei Clipper ist sie seit 1990 im Verein.
In der Sommersaison stehen 20 Törns auf dem Programm
Während der Sommersaison stehen 20 einwöchige Törns auf dem Programm. Clipper stellt die sechsköpfige Stammcrew mit Kapitän, Steuerleuten, Maschinist und Smutje. 23 Mitsegler können mit an Bord kommen und in einer der 29 Kojen unter Deck übernachten. Dieser „Aktivurlaub mit Anfassen“, bei dem im Schichtbetrieb Einsatzfreu-de dazugehört, kostet pro Törn 600 Euro. Kost inklusive. Schulklassen und andere Jugendliche zahlen die Hälfte.
„Eine solche Reise vergisst du nie im Leben“, sagt Anke Pilzner aus Niendorf. „Man pustet sich den Kopf frei. Und man redet Klartext.“ Die Chemieingenieurin aus der Schwäbischen Alb arbeitet als Managerin bei Beiersdorf. 1999 habe sie sich in die „Amphitrite“ verliebt. Dabei blieb es nicht. Gleich beim ersten Törn lernte sie Olaf kennen. Heute ist er ihr Ehemann. Während der Winterarbeit mischt er kräftig mit. Und er fotografiert. Aus den besten Motiven entstanden Bildkalender.
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"Amphitrite" – alles liebevoll erhalten seit 1887
Gucken ist gut, ein Besuch an Bord intensiver. Auf und unter Deck riecht es nach Holz, Maschinenöl, Geschichte. Die Deckshäuser, Salons, Messe und Kombüse sind aus Mahagoni geschaffen. Die Spanten bestehen aus Eiche, der äußere Rumpf aus Teak. Wohlgemerkt alles von 1887. Das Material überstand Witterung und jedwede Turbulenzen – mit reichlich Pflege.
Zum Schluss geht’s hinein ins Allerheiligste. Der Sekretär, an dem schon vor mehr als 130 Jahren der Kapitän vor seinen Seekarten saß, ist ebenso liebevoll erhalten wie der schwere Tisch und die grün gepolsterten Sitzbänke. Für einen stillen Moment scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Bis Steffi dezent zum Fortschritt mahnt. Mit Stationen an den Steuerrädern und dem Salon navigieren wir Maschinenraum, Messe sowie Kapitänskammer an. Es gibt noch eine Menge zu staunen an Bord der „Amphitrite“.