Harburg. Hier spielten die Toten Hosen – seit 2013 bildet die Musikschule in Jazz und Rock aus. Auch am Klavier, an dem wohl Udo Lindenberg saß.
In diesem Saal spielten einst „Geier Sturzflug“, die „Erste Allgemeine Verunsicherung“ und die „Toten Hosen“ – mittlerweile allesamt Bands, die der Künstlersozialkassenrente immer näher kommen. Jetzt gehört er den Nachwuchshoffnungen. Bereits vor zehn Jahren übernahm die Musikschule „Klangfabrik“ das Gebäude des ehemaligen Freizeitzentrums Nöldekestraße von der Stadt.
Zuvor hatte das Haus mehrere Jahre lang leergestanden. Der Einzug in die Nöldekestraße war zugleich die Gründung der Musikschule. Das wird am Sonnabend gefeiert.
Tote-Hosen-Sänger Campino schrie vor fast 40 Jahren in Harburg ins Mikrofon
Nur wenige Meter von der Stelle entfernt, auf der Tote-Hosen-Sänger Campino vor fast 40 Jahren Songs, wie „Wehende Fahnen“ ins Mikrofon schrie, steht jetzt Mia Rudnik und miaut, Das gehört zum Aufwärmen der Stimme vor der Gesangsstunde: gleitende Tonhöhenmodulation.
Gesangslehrer Michael Wins gibt dabei Anweisungen zur Körperhaltung, denn gesungen wird mit weitaus mehr, als nur Hals und Mund. Danach geht es an die Stücke, die sich die beiden für die nächste halbe Stunde vorgenommen haben. Mia ist eine von 300 Schülerinnen und Schülern der Klangfabrik. Gleichzeitig da sind sie nie – außer vielleicht am Sonnabend.
Klavierübungen auf einem ehemaligen Bar-Piano des Hotels „Atlantic“
Aber auf dem Flur lässt sich die ganze Vielfalt der Schule erahnen, wenn aus der einen Tür leise das dahinter sehr laute Schlagzeug hörbar ist und aus dem oberen Stock der Basslauf von Phil Collins’ „You Can’t Hurry Love“, sowie Klavierübungen auf einem ehemaligen Bar-Piano des Hotels „Atlantic“.
Die Klangfabrik feiert ihr zehnjähriges Bestehen mit einem großen Tag der offenen Tür und lässt dafür – und das ist ungewöhnlich für eine Musikschule – sogar Musiker kommen, die mit der Schule nichts zu tun haben, weder als Lehrer, noch als Schüler.
„Wir sind schon stolz auf unsere Eigengewächse“
„Wir sind schon stolz auf unsere Eigengewächse und natürlich gibt es auch ein Schülerkonzert, aber es gibt eben auch ein Konzert für Kinder und dafür haben wir mit dem Duo Deniz und Ove zwei absolute Spezialisten engagiert“, sagt Schulgründer und -leiter Andreas Maecker, „die beiden haben den Indie-Sound in Musik für Kinder eingeführt. Mit lässigen Texten und erstklassiger Musik würdigen sie kindliche Themen und Emotionen mit witziger Alltagspoesie.“
Ein Haus, wie ein Dornröschenschloss
Musikalische Früherziehung für die Zielgruppe von Deniz und Ove ist ein Angebot der Klangfabrik. Der Schwerpunkt allerdings liegt auf der Kompetenzvermittlung für Rock-, Pop- und Jazzmusik an Schüler zwischen 6 und 66. „Deshalb sehen wir uns auch nicht in Konkurrenz zu anderen Harburger Musikschulen“, sagt Andreas Maecker, „sondern als Ergänzung.“
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Dass die „Klangfabrik“ überhaupt nach Hamburg kam, ist Zufall. Andreas Meckert und seine damalige Partnerin – mittlerweile Ehefrau – Julia Pfitzmann hatten bis dahin in Lübeck unterrichtet und waren in ganz Norddeutschland auf der Suche nach Räumen, um sich selbstständig zu machen. Die Nöldekestraße 19, ihre jetzige Adresse, hatten sie dabei gar nicht im Blick, sondern das Nachbarhaus, die ehemalige Polizeiwache. „Dann sahen wir dieses zugewucherte Haus daneben, wie ein Dornröschenschloss, das aus dem Schlaf erweckt werden wollte“, sagt Andreas Maecker.
Haus war einst Wohnheim für ledige Arbeiterinnen der nahen Jutefabrik
Das Haus hat eine lange und wechselhafte Geschichte: Ursprünglich vor fast 120 Jahren als Wohnheim für ledige Arbeiterinnen der nahen Jutefabrik gebaut, wurde es bald zu einem Kinderheim – was auch mit den jungen ledigen Arbeiterinnen zu tun hatte. Aus diesem Heim entstand die Organisation „Margaretenhort“, bis heute einer der größten Träger von Kinder- und Jugendschutzwohnungen im Bezirk Harburg. Ende der 1970er-Jahre zog der Margaretenhort aus und der Verein Freizeitzentrum Harburg ein. Aus diesen selbstverwalteten Jugendzentrum „FZ Nöldekestraße“ entstand später das Kulturzentrum Rieckhof. Dorthin gingen aber nicht alle Hausnutzer mit, sodass ein neuer Verein das Freizeitzentrum in abgewandelter Form weiterführte.
Dann traten als Spätfolge des Stadtautobahn-Baus Gebäudeschäden auf. Das neue Freizeitzentrum musste sich eine neue Bleibe suchen und zog ins Phoenix-Viertel. Das alte Haus begann zu verfallen, bis Julia Pfitzmann und Andreas Maecker es in ihr Herz schlossen und der städtischen Sprinkenhof-AG für eine ordentliche Miete abschnackten. „Ursprünglich wollten wir auch noch die Baracke daneben mieten, aber wir kamen mit unseren Anfragen nie weiter. Jetzt wird sie abgerissen und ein städtisches Regenwasserbecken dort hingebaut.“
Nicht jeder Instrumentalunterricht lässt sich eins zu eins ins Digitale übertragen
Auch die Schule hat schon ruppige Zeiten hinter sich: Corona war ein tiefer Einschnitt. „Bezeichnenderweise hatten wir im Lockdown weniger Kündigungen im Jahresschnitt, als vorher“, sagt Andreas Maecker, „aber wir mussten den Unterricht radikal umstellen. Nicht jeder Instrumentalunterricht lässt sich eins zu eins ins Digitale übertragen. Ich als Schlagzeuglehrer spiele normalerweise oft synchron mit meinen Schülern. Das funktioniert digital nicht, weil es durch die Übertragung auch immer eine kleine Zeitverzögerung gibt.“
War der digitale Unterricht für die Schüler eine willkommene Abwechslung und Herausforderung im öden Corona-Alltag, war er für die Lehrer die Rettung: Die zwei Dutzend Lehrenden der Klangfabrik sind Berufsmusiker, die einen Teil ihres Einkommens aus Stunden erzielen, die sie an verschiedenen Schulen geben, und den anderen Teil aus Konzerten. Dieser Teil entfiel mit dem Lockdown. Noch heute liegt die Zahl der Konzerte deutlich unter dem Niveau der Jahre vor der Pandemie.
Maecker und seine Frau Julia Pfitzmann unterrichten nur noch selten selbst
Jetzt, nach der Pandemie ist der Unterricht wieder im direkten Austausch möglich und die meisten Schüler genießen das. „Aber dann und wann kommt schon mal eine Anfrage, ob man eine einzelne Stunde nicht digital abhalten könnte, weil es gerade besser passt“, sagt Andreas Maecker, „und weil wir darin ja mittlerweile gut eingeübt sind, geht auch das.“
Maecker und seine Frau Julia Pfitzmann unterrichten nur noch selten selbst. Die Verwaltung der Schule nimmt sie voll in Anspruch. Dazu kommt, dass sie mittlerweile Kinder haben. Deshalb sieht man sie derzeit nur selten zu zweit in der Klangfabrik. Sie wechseln sich mit Kontor und Kindern ab. Am Sonnabend feiern sie mal wieder gemeinsam. Für das Kinderprogramm haben sie ja vorgesorgt.