Harburg. Nach 37 Jahren gibt Verein Freizeitzentrum Harburg Trägerschaft fürs Kulturzentrum ab. Wut und Wehmut bei Gästen.
„Time to say Goodbye“ hieß es am Sonnabend im Rieckhof und über den Tag verteilt kamen tausende Harburgerinnen und Harburger zusammen, um sich von „ihrem“ Rieckhof zu verabschieden. Das Kulturzentrum wird saniert, umgebaut und erhält einen neuen Betreiber.
Im kommenden Jahr sollen sich die Türen wieder öffnen. Das Haus, das sich die Harburger einst erstritten hatten, wird es so nicht mehr geben. Bei den Besuchern schwangen daher Wut und Wehmut mit.
Rieckhof: Woodstock-Legende Alvin Lee spielte zur Eröffnung
Eröffnet wurde der Rieckhof vor nicht ganz 38 Jahren, im November 1984 „Woodstock-Legende Alvin Lee spielte und wir waren alle begeistert“, erinnert sich Besucherin Heike am Sonnabend. „Seit damals bin ich regelmäßige Rieckhof-Besucherin. Nicht mehr unbedingt wegen der Konzerte, sondern in letzter Zeit hauptsächlich wegen der Kabarett- und Comedy-Veranstaltungen, die mein Mann und ich gerne besuchen. Es ist ein Trauerspiel, was hier passiert.“
Die Geschichte des Rieckhofs beginnt allerdings lange vor seiner Eröffnung: Mitte der 70er-Jahre begehrten Harburgs Jugendliche auf: Sie waren es leid, ständig „nach Hamburg“ fahren zu müssen, wenn sie etwas erleben wollten. Abends mit dem Nahverkehrszug hin, nachts mit der Straßenbahn und vielen Umstiegen zurück.
„Wir wollen ein Jugendzentrum!“ riefen sie auf Demonstrationen und sprühten sie auf Häuserwände. Sie bekamen es 1978 mit dem „Freizeitzentrum Nöldekestraße“ (FZ) im ehemaligen Arbeiterinnenwohnheim der Jutefabrik neben der Polizeiwache. Wer das Sagen in der Selbstverwaltung haben sollte, war hart umstritten zwischen radikalen „Spontis“ – so hießen Linksautonome damals – und gemäßigten Jusos. Beide Fraktionen mobilisierten weit über Harburg hinaus zu Kampfabstimmungen. Letztendlich setzten sich die Jusos durch. Deren Wortführer in dieser Angelegenheit war der junge Jörn Hansen, damals Student der Sozialpädagogik, seit 1984 Geschäftsführer des Rieckhof. Es heißt, das Gewinnen der Abstimmung habe die Weichen für diese Karriere gestellt.
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Nachdem entschieden war, dass Harburgs Jugendliche nicht mehr mit dem Nahverkehrszug nach Hamburg fahren müssen, weil es erstens das FZ gab und zweitens eine S-Bahn gebaut würde, wurde auch entschieden, dass der Bezirk Harburg im Sanierungsgebiet an der S-Bahn-Baustelle ein Kulturzentrum und in Wilhelmsburg ein Bürgerhaus bekommen würde. Der Verein Freizeitzentrum Harburg, der sich an der Nöldekestraße erfolgreich bewies, sollte Träger des Kulturzentrums werden. Das FZ sollte von der Nöldekestraße in den Rieckhof umziehen. Bis dahin gab es im FZ regelmäßige Kreativitätsangebote mit Werkstätten, Fotolabor und viel beachteten Konzerten, bis hin zum ersten Auftritt der „Toten Hosen“ in Harburg.
Musiker und Schauspieler Wolfgang Jensen erinnert sich
Der Musiker und Schauspieler Wolfgang Jensen erinnert sich noch gut an das FZ: „Dort habe ich erste Bühnenerfahrungen als Teil des Comedy-Duos Tenement Funsters gemacht. Auch mit der Band Clowns und Helden spielte ich im FZ und später oft im Rieckhof.“
Bei der Eröffnung des Rieckhofs war das Nebengebäude, das die Kreativ-Werkstätten aufnehmen sollte, noch nicht fertig. Mehr noch: Bald stellte sich heraus, dass es ganz eingespart werden sollte. Die Töpfer, Schrauber und Fotografen blieben im alten FZ und gründeten dort einen neuen Trägerverein.
Der Rieckhof wurde zum Veranstaltungszentrum und Treffpunkt für Stadtteilgruppen. Gebäude und Gehälter zahlte der Bezirk. Einen Kulturetat, wie es ihn für das Freizeitzentrum noch gegeben hatte, gab es für den Rieckhof bald nicht mehr. Damit sei klar gewesen, dass der Rieckhof nur noch veranstalten konnte, was sicher den Saal füllte. Trotzdem gingen beinahe 7000 Veranstaltungen über die Rieckhof-Bühne: Konzerte, Tanzkurse, Tanzabende und viel Theater. Harburgs große Amateurtheaterszene hatte hier ihren Mittelpunkt.
Rieckhof schließt: Jugendlichen aus den 70ern sind mittlerweile ergraut
Die Jugendlichen aus den 1970er Jahren sind mittlerweile ergraut. Zum Abschied des Rieckhofs waren sie trotzdem in Scharen gekommen. Dass der Rieckhof hauptsächlich von Älteren genutzt wird, war eines der wenigen konkreten Argumente des Bezirksamts für die Neuausschreibung, die den de-facto Hinauswurf des alten Trägervereins bedeutete. Anders als in den 1970ern hatte es aber keine Demonstrationen und Graffiti für Veränderungen gegeben.
Letztes Konzert: Am 25. Juni gibt es noch ein Corona-Nachholkonzert von Gerrit Hesemann, alias Lotto King Karl. Karten kosten 29 Euro im Vorverkauf.