Kreis Harburg. Viele Patienten müssen auch bei Fachärzten monatelang auf Termine warten. Es fehlt derzeit ein Hebel, um die Lage zu ändern.
Im Landkreis Harburg fehlen Hausärzte und bei Fachärzten müssen Patienten wochenlang auf einen Termin warten. Allein 25 Stellen von Hausärzten sind derzeit nicht besetzt. Gleichzeitig dürfte sich als Facharzt allenfalls ein weiterer Kinder- und Jugendpsychiater im Kreis niederlassen.
Für alle anderen Spezialisten herrscht eine Zugangssperre. „Die Bürger verweisen dagegen immer wieder auf lange Wartezeiten für Termine und fühlen sich unterversorgt“, sagt der CDU-Kreistagsabgeordnete Jan Bauer. Die Partei hat sich die Situation in einer breit gefächerten Anfrage von der Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen erläutern lassen. Im Mai soll das Thema im Kreis-Sozialausschuss diskutiert werden.
Doch auf kommunaler Ebene fehlt schlichtweg ein Hebel, um die Lage zu ändern. Denn seit 1990 gilt eine Richtlinie für die Bedarfsplanung für niedergelassene Ärzte. Sie legt fest, wie viele Haus- und Fachärzte in den Regionen arbeiten können, welche Ober- und Untergrenzen bei Stellen gelten und wann eine Zulassungssperre für weitere Ärzte gilt.
Verantwortlich dafür ist der Gemeinsame Bundesausschuss mit 21 Mitgliedern. Neun von ihnen kommen von den Krankenkassen. Damit haben sie einen starken Einfluss, befinden sich aber im Zwiespalt: Mehr Ärzte würden die Versorgung verbessern aber zu höheren Kosten führen.
Die 1990 festgelegten Grenzen jedoch stimmen für Kreis-Sozialdezernent Reiner Kaminski schon längst nicht mehr. Dafür nennt er Gründe. „Die Ansprüche der Patienten haben sich verändert, die Medizin macht Fortschritte und die Demografie lässt den Bedarf weiter wachsen“, sagt Kaminski. Zudem gelte die einst kanalisierend wirkende Überweisungspflicht von Haus- zu Fachärzten nicht mehr.
Nicht eingerechnet bei den Hausärzten ist etwa, dass sich vier von ihnen im Kreis vor allem mit Diabetes-Kranken befassen. Ebenso dürfte sich auswirken, dass 50 der gut 140 Hausärzte 60 Jahre und älter sind – 29 von ihnen sogar über 65. Eine gute Versorgung sieht Kaminski bei maximal 1600 Patienten je Arzt. Durchschnitt im Kreis sind 1755 (siehe Tabelle). Sein Fazit über die Richtlinie: „Bei ihr handelt es sich um keine Versorgungs-, sondern um eine gedeckelte Bedarfsplanung.“
Termin beim Hautarzt? In vier bis sieben Monaten
Tatsächlich liegt die Spanne für einen Termin bei einem Hautarzt abgesehen von akuten Fällen nach Informationen der Kreisverwaltung bei vier bis sieben Monaten. Derzeit arbeiten sieben Hautärzte im Kreis. Das entspricht einen Versorgungsgrad von 117,9 Prozent und führt zu einer Zulassungssperre. Da die Untergrenze auf 50 Prozent festgelegt wurde, müssten sich die Bürger aber auch mit weniger Ärzten in diesem Bereich zufrieden geben.
Wie hoch der Bedarf an Terminen bei den Hausärzten ist, zeigt sich am Beispiel der Hausarztpraxis Kaja Selig in Hittfeld, die erst im August eröffnet wurde. „Wir haben gut zu tun, die Zahl der Patienten steigt, auch wenn noch Kapazität frei ist“, sagt die Chefin. Nach Hittfeld kommen inzwischen auch Patienten aus dem Bezirk Harburg oder angrenzenden Landkreisen.
Um mit eigenen Mitteln zumindest frei werdende Plätze wieder zu besetzen, wirbt Kaminski seit 2012 mit der Initiative StadtLandPraxis um neue Ärzte für den Landkreis. Die Unterstützung für Interessenten reicht dabei von der Vermittlung von Stellen und Partnern für eine Niederlassung über die Weiterbildung im Verbund mit den Kreiskrankenhäusern bis hin zur Hilfe bei der Kinderbetreuung und bei Anträgen auf Landesförderung.
Als Ergebnis hat der Sozialdezernent nach der aktuellen Auswertung seit 2012 insgesamt 46 Ärzte in den kreis geholt. Allein 2018 meldeten sich 43 Interessenten. In diesem Jahr sind es nach eineinhalb Monaten sieben, für die der Landkreis als Betätigungsfeld in Frage kommt. „Durch die Initiative hat sich die Lage verbessert. Sie ist aber noch nicht beruhigend“, sagt Bauer.
Der CDU-Politiker würde für die Diskussion gern die lokalen Bundestagsabgeordneten mit ins Boot holen. Das wären Michael Grosse-Brömer (CDU) und Svenja Stadler (SPD).
Ohnehin hat das Ärzte-Thema landesweit Brisanz. So gab es bei einer Umfrage der Medizinischen Hochschule in Hannover bei 411 Bürgermeistern und 38 Landräten (Beteiligung 72 Prozent) 2015 ein deutliches Ergebnis. Danach schätzten 30 Prozent die hausärztliche Versorgung als ungenügend ein, bei der fachärztlichen Versorgung waren es 71 Prozent. Zwei Drittel sahen Probleme bei der Nachbesetzung von Praxen. „Die Richtlinie zur Bedarfsplanung“, sagt der Sozialdezernent, „muss neu geschrieben werden.“