Hamburg. Umbau zur Fahrradstraße dauerte monatelang. Geschäftsleute: „Wir haben nicht geahnt, was auf uns zukommt.“ Ihre Kritikpunkte.
Die Gertigstraße ist eine beliebte Einkaufsstraße und wichtige Lebensader von Winterhude. Hier gibt es einen bunten Mix aus Gewerbe und Gastronomie. Doch glaubt man Bernd Kroll von der IG Mühlenkamp, in der auch Gewerbetreibende der umliegenden Straßen vertreten sind, könnte bald ein Ladensterben in der beliebten Einkaufsstraße einsetzen.
Grund ist der Umbau zur Fahrradstraße, der zunächst aus Rücksicht auf die Gewerbetreibenden verschoben worden war. Sie sollten Zeit bekommen, sich von den Folgen der Corona-Pandemie zu erholen. Doch im Februar 2022 ging es los. Acht Monate lang wurde gebaut.
Winterhude: Gertigstraße – Geschäftsleute kritisieren Umbau zur Fahrradstraße
Nach den damit verbundenen Einschränkungen setzen vielen Geschäftsleuten jetzt die Folgen des Umbaus zu. In dessen Rahmen wurden die Radwege auf den Bürgersteigen zurückgebaut, was mehr Platz für Fußgänger bedeutet, 87 neue Fahrradbügel aufgestellt und zwölf Parkzonen geschaffen – wofür insgesamt 30 Parkplätze weggefallen sind.
„Die Erwartung, dass die Radfahrer in der Straße anhalten, hier einkaufen und einkehren, hat sich nicht erfüllt“, sagt Kroll. Vielmehr wirkten sich die vielen Fahrradbügel und die fehlenden Parkplätze geschäftsschädigend aus.
Claudia Sinios vom japanischen Einrichtungsladen Sharoshi Design etwa beklagt, dass unmittelbar vor ihrem Laden eine Reihe von Fahrradbügeln montiert wurden. „So sind wir von der Ladezone auf der anderen Straßenseite abgeschnitten und müssen, um sie zu erreichen, umständliche Umwege machen.“
Fahrradbügel an Gertigstraße versperren Zugänge zu Geschäften
Und das ist nicht ihr einziges Problem. Die Front des Ladengeschäfts springt in der Reihe der Geschäfte ein Stück vor. Wenn Lieferanten Paletten vor der Tür abstellen, bildet sich durch die Fahrradbügel – insbesondere, wenn alle besetzt sind – ein echter Engpass. „Da kommt dann kein Kinderwagen mehr vorbei“, betont die Geschäftsfrau.
Auf diese Situation habe sie die Behörde gleich nach dem Aufstellen der Fahrradbügel aufmerksam gemacht. „Doch man hat mir sehr bestimmt mitgeteilt, dass das jetzt so ist und bleibt.“ Sie habe sich gewünscht, fügt sie hinzu, dass die Planer die einzelnen Umgestaltungsmaßnahmen mit den Geschäftsleuten vor Ort besprochen hätten.
Gertigstraße in Winterhude: Absurd – nur wenige Fahrradbügel vor Budni
Vor einem Neubau in der Nähe stehen die Fahrradbügel in einer besonders langen Reihe. Nur vereinzelt sind hier Räder angeschlossen. „Die Bügel werden von den Anwohnern gar nicht benötigt, weil es in der Tiefgarage 60 Fahrradstellplätze gibt“, weiß Keyvan Taheri vom Möbelgeschäft Rothaus.
Als genauso absurd empfindet er es, dass dort, wo Bedarf und Platz vorhanden sind – nämlich vor Budnikowsky und dem Biomarkt Tjaden’s – nur wenige Fahrradbügel stehen. Und zwar am Fahrbahnrand, auf ehemaligen Parkplätzen, neben den roten Leihrädern einer StadtRad-Station.
Winterhude: Gertigstraße – „Es wurde an Geschäftsleuten vorbeigeplant“
Auch vor Taheris Geschäft wurden mehrere Parkplätze mit Fahrradbügeln bestückt. Der Bezirksabgeordnete und ehemalige Chef der Linksfraktion hatte den Umbau der Gertigstraße zunächst ausdrücklich begrüßt. „Doch das, was da auf uns zukommt“, sagt er, „haben wir nicht geahnt.“
Er ist selber Radfahrer, hat vor seinem Laden Kundenparkplätze und könnte insofern von der Fahrradstraße profitieren. Aber ihm geht es ums Prinzip. „In der Gertigstraße wurde an Kunden und Geschäftsleuten vorbeigeplant.“ Man hätte Ladezonen und Fahrradbügel sinnvoller anordnen und mehr Parkplätze erhalten müssen. „Jetzt zeigt sich, dass Einkaufsstraßen nicht zu Fahrradstraßen umgebaut werden dürfen. Das verträgt sich nicht.“
Behörde: Umbau der Gertigstraße wird überwiegend positiv bewertet
Taheri wünscht sich, dass auch andere Bezirkspolitiker ein Einsehen haben – und dafür sorgen, dass die vielen Fahrradbügel zurückgebaut und Parkplätze wiederhergestellt werden. „Wenn es stattdessen heißt: Friss oder stirb!, demotivieren wir die Bürger, politische Entscheidungen wie den Bau einer Fahrradstraße oder auch das Anwohnerparken mitzutragen.“
Die Verkehrsbehörde verweist darauf, dass der Umbau der Gertigstraße von den meisten Anwohnenden und Gewerbetreibenden positiv bewertet werde. Es habe zuvor keine legalen Fahrradbügel, sondern lediglich knapp 90 Schutzbügel gegen widerrechtliches Parken gegeben. Diese seien jetzt durch die größeren, höheren Fahrradbügel ersetzt worden.
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Winterhude: Gertigstraße – ADFC begrüßt Umbau zur Fahrradstraße
Hinsichtlich der „vermeintlichen Anlieferschwierigkeiten“ durch die Fahrradbügel betont Sprecher Dennis Krämer, dass das Halten auf der Gertigstraße früher im absoluten Halteverbot stattgefunden habe – und es dafür jetzt regelkonforme Ladezonen gebe.
Und was sagen die Radfahrer? Der ADFC begrüßt den Umbau zur Fahrradstraße, durch den ein weiteres „Puzzlestück“ der Veloroute 13 fertiggestellt worden sei. Ihm zufolge konnte der Autoverkehr reduziert werden. Zudem biete die Straße jetzt durch einen neuen Belag, die vielen Fahrradbügel und die Vorfahrtsregelungen an den drei einmündenden Straßen viele Verbesserungen für Radler. Kritik übt der Fahrrad-Club daran, dass die Ladezonen oft von Falschparkern belegt sind und der Lieferverkehr dann auf der Straße halten muss.