Hamburg. Nach dem Amoklauf in Alsterdorf durchsucht die Staatsanwaltschaft Hamburg zehn Objekte. Auch Mitglieder eines Schießclubs sind im Visier.
Nach dem Amoklauf in einem Gotteshaus der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf mit acht Toten hat die Staatsanwaltschaft Hamburg schwere Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde erhoben und zehn Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Es gebe zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der fahrlässigen Tötung in sechs Fällen sowie der fahrlässigen Körperverletzung im Amt in 14 Fällen, teilte die Ermittlungsbehörde am Donnerstag mit.
Der Mitarbeiter soll Warnungen vor dem Amoktäter Philipp F. nicht weitergeleitet haben. So habe er ein Schreiben aus dem familiären Umfeld des Amokläufers, das am 24. Januar bei der Behörde eingegangen war, nicht ordnungsgemäß bearbeitet.
Amoklauf in Hamburg: Beamter der Waffenbehörde im Visier der Staatsanwaltschaft
Dadurch habe es der zuständige Sachgebietsleiter versäumt, weitere Informationen einzuholen und Philipp F.s Schusswaffe nebst Munition sicherzustellen. Stattdessen habe er lediglich eine „unangekündigte Aufbewahrungskontrolle“ der Schusswaffe angeordnet.
Die Polizei Hamburg, zu der die Waffenbehörde gehört, hatte zuvor gegen den Beamten ermittelt und ein Disziplinarverfahren eröffnet. Der Mitarbeiter sei am 11. April darüber informiert und umgehend aus der Waffenbehörde „auf eine noch mit der Personalabteilung abzustimmende Funktion“ versetzt worden.
Amoklauf in Hamburg: Auch Mitglieder des Schießclub-Prüfungsausschusses im Visier
Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen drei Mitglieder eines Prüfungsausschusses im Hanseatic Gun Club, bei dem Philipp F. Mitglied war. Unter Beteiligung des Dezernats Interne Ermittlungen (DIE) seien am Donnerstag zehn Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Hamburg vollstreckt worden.
Die Durchsuchungen betrafen die Wohnanschriften der vier Beschuldigten, den Arbeitsplatz des Mitarbeiters der Waffenbehörde sowie Räumlichkeiten des Hanseatic Gun Clubs.
Gegen die drei Mitglieder des Prüfungsausschusses wird wegen des Anfangsverdachts der Falschbeurkundung im Amt ermittelt. Der Prüfungsausschuss hatte Philipp F. „blanko“ ein auf den 28. April 2022 datiertes Sachkundezeugnis ausgestellt.
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Tatsächlich soll Philipp F. die praktische Sachkundeprüfung am 28. April jedoch nicht bestanden haben. Brisant in diesem Zusammenhang: Der unter Verdacht stehende Mitarbeiter der Waffenbehörde war offenbar selbst ein Mitarbeiter des Sportschützenvereins.
Polizeisprecherin Sandra Levgrün sagte, die Staatsanwaltschaft habe die Polizei nicht über die Durchsuchungen informiert. Die Disziplinarmaßnahmen gegen den verdächtigen Beamten seien mit der DIE abgestimmt gewesen. Diese wiederum stehe in engem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft.
CDU: Grote hat eigene Behörde „nicht im Griff“
Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sieht Innensenator Andy Grote in der politischen Verantwortung. Die Ermittlungen zeigten schon jetzt, dass der SPD-Politiker „seine eigene Behörde nicht im Griff“ habe: „Hier ist es zu grundlegenden Fehlern im Umgang mit Erkenntnissen und Informationen über den späteren Amokschützen gekommen.“ Sollten sich die Verdachtsfälle bewahrheiten, müsse es „selbstverständlich entsprechende Konsequenzen geben“.
Die Linksfraktion sprach von Behördenversagen und forderte, „mögliche Verflechtungen“ der Waffenbehörde mit dem Hanseatic Gun Club aufzuklären. „Angesichts der erneuten schwerwiegenden Vorwürfe sehen wir uns in unserer Auffassung bestärkt: Der Innensenator und der Polizeipräsident müssen die politische Verantwortung für die schweren Verfehlungen ihrer Behörde übernehmen und zurücktreten“, sagte der innenpolitische Sprecher Deniz Celik.
Zeugen Jehovas: Erkenntnisse für Angehörige „sehr bedrückend“
Die Zeugen Jehovas reagierten „überrascht“ auf die Entwicklungen. Sie seien „vor allem für die Betroffenen und ihre Angehörigen sehr bedrückend“, sagte Sprecher Michael Tsifidaris. „Was uns natürlich auch sehr wichtig bei der Aufklärung ist: Wie konnte sich der Täter in den vergangenen zwölf Monaten so radikalisieren? In welchem Umfeld oder welcher Echokammer hat er sich bewegt? Auch hier hoffen wir auf Erkenntnisse der ermittelnden Behörden.“
Philipp F. hatte am Abend des 9. März 2023 bei einem Gottesdienst mit einer halbautomatischen Pistole zwei Frauen und vier Männer sowie ein ungeborenes Kind getötet und anschließend sich selbst erschossen. Der Amoktäter hatte zuvor der Gemeinde angehört.