Hamburg. Nur sehr selten stehen Menschen vor den Grabplatten. Vor den eingemauerten Toten brauchen sie jedoch keine Angst zu haben.
Im Schein des Handylichts leuchtet die goldene Grabinschrift: „Hier ruhet unsere liebe Tochter Sophie Riedemann, geb. 31. October 1874 - gest. 28. Mai 1891.“ Die Gruft liegt in der Krypta des Mausoleums Riedemann auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg.
Den kirchenähnlichen Kreuzbau ließ „Tanker-König“ Wilhelm Anton Riedemann (1832-1920), 1905/6 im neoromanischen Stil errichten, zum Gedenken an seine Tochter. Die dunkle und kühle Gruftkammer umfasst 35 Grabstellen. Insgesamt sieben Verstorbene der Familie Riedemann seien hier beigesetzt worden, sagt Friedhof-Sprecher Lutz Rehkopf. Doch die Gräber seien nun alle leer.
Lost Places in Hamburg: Grabplatte in Krypta zerbrochen
„Den ihr suchet, der ist auferstanden, er ist nicht hier“, steht über einer marmornen Osterskulptur auf dem Altar im Obergeschoss. Und tatsächlich ist eine Grabplatte in der Krypta zerbrochen, allerdings nur, um die Wiederauferstehung zu symbolisieren, wie Rehkopf sagt.
Das Thema zieht sich durch die Gestaltung der privaten Kirche. Die Decke der Krypta ist mit Sternen verziert. „Die Sterne weisen den Toten den Weg in den Himmel“, erklärt Rehkopf. Dass die Riedemann-Toten aus ihren Gräbern verschwunden sind, hat einen profaneren Grund: In den 50er Jahren habe die inzwischen in der Schweiz lebende Familie sie in ihre neue Grabeskirche in Lugano umbetten lassen.
Friedhof Ohlsdorf: Natürliche Verwesung in den Mausoleen kaum möglich
In Mausoleen lagen und liegen die Toten in einem steinernen Sarkophag oder einem schweren Eichensarg, ausgelegt mit Blei, der in einer gut zugemauerten Gruft steht. Eine natürliche Verwesung ist damit kaum möglich. Aus hygienischen Gründen sei diese Bestattungsform in Hamburg nicht mehr erlaubt, erklärt der Kulturwissenschaftler Norbert Fischer. Ausnahmegenehmigungen könnten aber erteilt werden.
Der Hamburger Fotograf F.C. (Franz Christian) Gundlach (1926-2021) hat sich noch zu Lebzeiten ein Mausoleum errichten lassen, das zugleich eine Art von Anti-Mausoleum ist. Es besteht aus einem öffentlich zugänglichen Quader aus Beton, durch den der Besucher wie durch eine Kamera im klassischen Kleinbildformat in die dahinter liegende Landschaft blicken kann.
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Auf der Seite rückt der Quader ein besonderes Foto ins Licht, das der Künstler von zwei Badekappen-Models vor der Cheopspyramide von Giseh machte. Es gibt keinen Raum für private Trauer, keinen Hinweis auf ein Leben nach dem Tod. Was bleibt, ist das Werk – so die unausgesprochene Botschaft.
Lost Places: 16 Mausoleen auf dem Friedhof Ohlsdorf
16 Mausoleen wurden auf dem Ohlsdorfer Friedhof bis in die 1920er Jahre errichtet. Dann dauerte es Jahrzehnte, bis im Jahr 2005 die Inhaber einer Steuerberatungsfirma aus Helmstedt einen tempelartigen Bau errichteten. In Braunschweig hatten sie dafür keine Genehmigung bekommen.
Der nach eigenen Angaben größte Parkfriedhof der Welt hatte dagegen genug Platz und erlaubte das Projekt. Von außen knüpft das Mausoleum Ritterbusch an antike Vorbilder an, „hora ventura est“ (Die Stunde wird kommen), lautet die Widmung. Der Innenraum ist eine schmucklose Kammer, in der drei Holzsärge auf regalartigen Gestellen stehen.
Innenraum wie ein Wohnzimmer gestaltet
Leben in ein verfallenes Mausoleum hat Werner Carstens gebracht. Der Bauunternehmer hat 2001 die Patenschaft für das vormalige Hoefele-Mausoleum übernommen und das Gebäude von 1911 fachkundig saniert. Der Innenraum ist wie ein Wohnzimmer gestaltet, in dem die Trauernden den Toten ganz nah sein können. Auf einem Tisch steht eine Vase mit schwarzen Stoffrosen, darum sind gemütliche Stühle und Bänke gruppiert, Kissen und Decken liegen bereit. Unter der Kuppel hängt ein Ventilator.
In die Nischen, die früher die Särge beherbergten, hat Carstens von einem Künstler in Tschechien bemalte Urnenübertöpfe gestellt. Auch für ihn selbst steht ein Gefäß bereit, vor einer Skulptur des Künstlers Hans Dammann mit dem Titel „Weinendes Mädchen“. Gut gelaunt zeigt der rüstige 80-Jährige den derzeitigen Inhalt: seine Erkennungsmarke als Bundeswehrsoldat bei einer Raketenabwehreinheit von 1963, ein alter Reisepass und ein noch leerer Flachmann. „Grabkultur ist Wohnkultur“, sagt Rehkopf.
Mausoleen in Ohlsdorf als Lost Places in Hamburg
Was für ein Glücksfall eine solche Patenschaft für den Denkmalschutz in Ohlsdorf ist, wird beim Blick auf das Nachbar-Mausoleum deutlich: Die Kuppel des mit 222 Quadratmetern Grundfläche größten Grabbaus auf dem Friedhof ist einsturzgefährdet. Den achteckigen Zentralbau aus rotem Sandstein ließ der Weizenhändler Baron von Schröder 1906 im Stil der Neoromanik errichten. Heute seien die Besitzverhältnisse unklar, sagt Rehkopf. Der von Unkraut umwucherte Kuppelbau soll mit einer Plastikplane vor weiterer Feuchtigkeit geschützt werden.
Seit 2005 sind zehn Mausoleen in Ohlsdorf neu entstanden – darunter die von Ritterbusch und Gundlach – und acht alte von Paten übernommen worden. Einen neuen Trend zu dieser monumentalsten aller Bestattungsformen sieht Fischer aber nicht. Nur wenige Friedhöfe in Deutschland hätten die Flächen für solche Bestattungen nach aristokratischer Tradition. Der Kulturwissenschaftler erkennt jedoch Indizien für einen neuen Trend zu fest markierten Orten der Trauer. Nach den anonymen Rasenbestattungen in den 1980er Jahren errichte man heute etwa Gruppenanlagen wie den „Garten der Frauen“, wo die Verstorbenen auch biografisch gewürdigt werden.
Im Riedemann-Mausoleum werden sieben Tote namentlich geehrt, deren Gebeine gar nicht mehr dort liegen. Im Hang vor dem Gebäude ruhen die Überreste von rund 15.000 Menschen, die anonym unter dem Rasen beigesetzt wurden. „Ein Steilshoop auf dem Friedhof“, sagt Rehkopf in Anspielung auf eine benachbarte Hochhaussiedlung aus den 70er Jahren.