Hamburg. Serie „Hamburgs Klassiker – neu entdeckt“. Heute: Der Ohlsdorfer Friedhof hat mehr zu bieten als Gräber.

Wie damals, als man zum ersten Mal in eine Geisterbahn stieg: So fühlt es sich an, wenn man in das alte Riedemann Mausoleum gehen soll. Neben einer Wiese, in deren Boden 16.000 Urnen vergraben sind, liegt es hoch oben auf einem Hügel. Abgeriegelt für die Öffentlichkeit, kein Zutritt, hier muss dringend restauriert werden, aber die toten Seelen stört das nicht. Die lachen über Absperrgitter.

Lutz Rehkopf lacht nicht, aber er hat einen Schlüssel. Von 1905. So alt wie das Gebäude selbst. Den Hügel durch den Schnee hochstapfen, Absperrung zur Seite schieben, Schlüssel im Schloss umdrehen, voilà! Die Dunkelheit! Hollywood, solltest du mal wieder nach geheimnisvollen Orten suchen, geh zum Ohlsdorfer Friedhof. Das Riedemann-Mausoleum garantiert Angstschauder; wahrscheinlich würde man hier auch im Hochsommer frösteln.

Farbige Mosaike und ein Hausaltar

Dabei ist es wunderschön. Ein achteckiger Turm mit Kupferdach und Kreuz krönt das 120 Quadratmeter große Gebäude aus Quadersteinen. Drinnen sieht man farbige Mosaike, ein Fensterbild (in das andere war einmal ein großer Ast gekracht) und einen Hausaltar, dessen Engel verkündet: „Den ihr suchet, der ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Beziehungsweise in der Schweiz, denn dorthin wurden die gebracht, die bis 1936 in diesem Mausoleum begraben lagen.

Henning Hammond-Norden, Vorsitzender
des Freundeskreises des Friedhofs
Henning Hammond-Norden, Vorsitzender des Freundeskreises des Friedhofs © HA | Andreas Laible

„Jetzt müssen Sie Ihre Taschenlampe einschalten“, sagt Lutz Rehkopf und steigt eine schmale Wendeltreppe hinab. Grab mit Tiefgeschoss, das gibt es auch nur auf Europas größtem Parkfriedhof. Im schwachen Licht erkennt man an der Decke einen vollständig ausgemalten Sternenhimmel, damit die Seelen sich auf ihrem Weg dorthin gut orientieren können.

Viele Spinnen

Ansonsten scheint die Krypta leer zu sein. Fühlt sich nur nicht so an. Mag an den vielen Spinnen hier unten liegen. Oder eben auch nicht. Wahrscheinlich spukt der Geist von Wilhelm Anton Riedemann (1832–1920) hier noch herum. Der Kaufmann gründete 1890 mit J.D. Rockefeller, Franz Ernst Schütt und Carl Schütte die Deutsch-Amerikanische Petroleum Gesellschaft (DAPG) – die spätere Esso.

Öffnungszeiten

Riedemann galt als der Tankerkönig der Stadt, doch die Hamburger Gesellschaft hat ihn nie ganz akzeptiert. Wer sich trotz der harten Verhältnisse im Ersten Weltkrieg noch vierspännig durch die Straßen kutschieren lässt, der wird schnell als zu dekadent eingestuft. Also machte sich Riedemann irgendwann auf in die Schweiz. Einen Teil seines Reichtums ließ er in Form dieses Mausoleums zurück.

Gebäude ist baufällig

„Beeindruckend, oder?“, fragt Lutz Rehkopf. Der Sprecher des Ohlsdorfer Friedhofs würde sich wünschen, dass mehr Menschen diesen besonderen Ort besichtigen können, doch das Gebäude ist zu baufällig. Es könnten Fassadensteine herabfallen. Seit acht Jahren ist es für die Öffentlichkeit gesperrt, doch es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Einige Interessenten spielen mit dem Gedanken, in eine Renovierung zu investieren, um dort Urnenbestattungen zu ermöglichen.

Ganz bescheiden: die Grabstätte von
Helmut und Loki Schmidt
Ganz bescheiden: die Grabstätte von Helmut und Loki Schmidt © HA | Andreas Laible

Damit kämen zwei Trends des Ohlsdorfer Friedhofs zusammen: Zum einen wünschen sich immer mehr Menschen eine Urnenbestattung, der Anteil liegt inzwischen bei 80 Prozent. Die Gebühren sind günstiger als bei einer klassischen Sargbeisetzung, und die Einstellung zum Tod scheint sich bei einigen Menschen geändert zu haben. Sie wollen nicht mehr, dass ihr Körper mit Erde in Berührung kommt, fürchten sich vor Würmern und entscheiden sich lieber für die reinigende Kraft des Feuers.

Mausoleen wieder beliebter

Dabei kriechen Würmer nur 60 Zentimeter tief in den Boden, und die Särge liegen auf dem Ohlsdorfer Friedhof mindestens 1,60 Meter tief. Doch erzähl das mal einem Toten. Zum anderen erfreuen sich Mausoleen – eine eigentlich veraltete Form der Trauerkultur – einer neuen Beliebtheit. „Das kam für uns auch unerwartet“, sagt Rehkopf. Weil die alten Mausoleen auf dem Friedhof alle besetzt sind, werden inzwischen neue gebaut. So ein Gebäude kann bis zu 100.000 Euro kosten, es handelt sich hier also nicht gerade um einen günstigen Sterbetrend.

Als Alleinstellungsmerkmal jedoch funktioniert es hervorragend. Der offene Kubus von drei mal drei mal drei Metern Kantenlänge aus Beton des Hamburger Starfotografen F.C. Gundlach beispielsweise wirkt wie ein richtiges Kunstwerk. Die Stirnseite ziert eine Fotografie von Gundlach aus dem Jahr 1966, die ihn bekannt gemacht hat. Sie zeigt zwei Frauenköpfe mit Badekappen vor den Pyramiden von Gizeh. Ob hier ein Vergleich zwischen der Berühmtheit des Bauherrn dieses Mausoleums und jener der Erbauer der Pyramiden beabsichtigt ist? Interessant wirkt dieser oberirdische Grabbau allemal.

Engelfiguren erleben eine Renaissance

Auch das Mausoleum Lippertplatz fällt ins Auge. Sieben helle Betonbögen abnehmender Breite umgreifen einen dunklen Kubus, in dem sich zwei Grabkammern befinden. Eine Blickachse von Ost nach West geht durch den Bau, sodass teilweise kuriose Schattenbilder entstehen. Die hellen Betonbögen, die über den dunklen Kubus des Todes hinausragen, stehen für das Leben. Doch die Symbolik des Neubaus erschließt sich nicht jedem, und die strenge geometrische Formensprache sorgt bisweilen für Missverständnisse: „Kann ich hier auf Toilette gehen, oder was ist dieses Ding?“, fragt ein Besucher.

Architektonische Entgleisung

„Gundlach ist sehr gelungen, aber das Lippert-Mausoleum? Vielleicht sehen es die Menschen in 100 Jahren anders, aber derzeit halte ich es für eine architektonische Entgleisung“, sagt Henning Hammond-Norden, Steinmetzmeister im Ruhestand und Vorsitzender des Freundeskreises des Friedhofs. Der Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof hat ein kleines Museum auf dem Gelände, und seine Gästeführer führen pro Jahr 35.000 Besucher über das 388 Hektar große Gelände.

Seit dem Tod von Roger Willemsen und Helmut Schmidt sind die Entdeckungsreisen zu den Prominenten­gräbern noch beliebter geworden als ohnehin schon. Gemeinsam mit seiner Frau Loki liegt Deutschlands fünfter Bundeskanzler im Planquadrat U33, keine unwichtige Information, denn manche Suchende sind schon an dem recht unscheinbaren Familiengrab vorbeigegangen. „Wie, so eine große Persönlichkeit und so ein kleines Grab?“, wundern sich manche, und dann erklärt Hammond-Norden: „Die Schmidts waren bescheidene Leute, daher passt ihre Ruhestätte sehr gut zu ihnen.“ Warum auch im Tod ein anderer werden? Engel lassen sich durch Protz nicht beeindrucken.

220 Engel auf dem Gelände

Die himmlischen Boten werden übrigens in letzter Zeit immer mehr auf dem Friedhof, man kann von einer regelrechten Renaissance der Engel sprechen. Vor dem Zweiten Weltkrieg standen 2000 Figuren auf dem Gelände, heute sind es 220 Stück, nach und nach wächst die Heerschar wieder an. „Viele Jahrzehnte haben die Menschen das Alte nicht geschätzt, die Engel waren unmodern und wurden zerschlagen, doch heute lieben die Leute die Engel wieder“, erzählt Hammond-Norden. Dem Himmel sei Dank.