Hamburg. Verstaubte Bahnsteige, vergessene Kunstwerke: Im Untergrund befinden sich mystische Orte. Nun gibt es Pläne, sie wieder zu aktivieren.
Lost Places: Verborgen hinter Gittertüren geht es in einem Geistertunnel am Hamburger Hauptbahnhof auf Zeitreise in das Jahr 1968. An einem mit dickem Staub bedeckten Bahnsteig, auf dem nie eine U-Bahn fuhr, kündigt ein rotes Werbeplakat die Eröffnung des Kaufhauses Horten in der Mönckebergstraße an – ein Warenhaus, das es längst nicht mehr gibt. Ein altes Schild weist den Weg zur Straßenbahn – die letzte fuhr 1978 in der Hansestadt.
„Das ist wie ein kleiner Zeittunnel, in dem wir uns hier befinden“, sagt Daniel Frahm, Historiker bei der Hochbahn, als er die sonst verschlossenen Türen öffnet. Nach langem Dornröschenschlaf ist geplant, diese und eine weitere Tunnelröhre in einigen Jahren wieder zu aktivieren.
Lost Places in Hamburg: Geistertunnel unter dem Hauptbahnhof
Zur Historie: Vier Tunnelröhren wurden einst gebaut. In den mittleren beiden fährt seit 1968 die U2 ab Haltestelle Hauptbahnhof Nord. Damals installierte man baugleich schon mal zwei äußere Tunnelröhren für die Planungen einer U4 Richtung Lurup. „Aber sie wurde nicht realisiert“, erklärt Frahm. „Das hing mit der Bevölkerungsentwicklung in Hamburg zusammen, aber auch mit konjunkturellen Schwächen spätestens in Folge der Öl-Krise.“
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In der anderen wurde laut Hochbahn in den 1990er Jahren ein Kunstwerk namens „Firmament“ der Künstler Stephan Huber und Raimund Kummer installiert. Das Betreten der 125 Meter langen Röhre sei streng verboten, denn die Verletzungsgefahr sei zu groß. Doch zur U2 eilende Passagiere können durch Gitter im dunklen Inneren noch große Sterne auf dem Boden sehen.
Lost Places: Hier ist die Zeit stehengeblieben
In der anderen Tunnelröhre ist die Zeit seit 1968 stehengeblieben. Damals hieß der Hamburger Bürgermeister noch Herbert Weichmann (SPD), Bundeskanzler war Kurt Georg Kiesinger (CDU). Wird Licht angeschaltet, kann man an den weißen Wänden viele Plakate sehen – manche noch gut lesbar, manche nur noch schwer zu entziffern. Geworben wird dort seit Jahrzehnten für eine Gebrauchtwagen-Show in Planten un Blomen, eine Zirkusvorstellung auf dem Heiligengeistfeld, neue Kurse in einer Tanzschule am Besenbinderhof oder eine Zigarettenmarke.
Auch das Haltestellen-Wärter-Häuschen mit Sprechanlage sei Relikt eines Arbeitsfeldes, das es nicht mehr gebe, sagt Frahm. Ein leerer Glaskasten mit der Aufschrift „Bekanntmachung“ hängt an der Wand bereit für Ankündigungen. „Aus historischer Sicht wird es nicht langweilig“, betont Frahm. „Ich gehe hier rein und entdecke immer neue Dinge.“ Interessant ist: Das Bauwerk wurde zwar fertiggestellt, Gleise aber nicht verlegt. In den kommenden Jahren solle sich der Kreis schließen, sagt der Historiker. „Das, was man mal geplant hat, wird für etwas Neues, Modernes benutzt.“
Werden die Geistertunnel für die U5 genutzt?
Es geht um die neue U5, die als Jahrhundertprojekt gilt und Mobilität und Klimaschutz in der Stadt verbessern soll. Die U5 soll auf rund 24 Kilometern Strecke von Bramfeld über die City Nord zum Hauptbahnhof führen und von dort durch die Innenstadt über Universität und Uniklinik bis zu den Arenen und zum Volkspark in Stellingen. Dafür sollen am Hauptbahnhof Nord die bislang nicht in Betrieb genommenen Röhren genutzt werden.
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„Das hat zum einen wirtschaftliche Vorteile, da die Röhren nicht neu gebaut werden müssen und der bauliche Eingriff in den bestehenden Hauptbahnhof minimiert wird“, sagt der Sprecher der Hamburger Verkehrsbehörde, Dennis Krämer. „Zum anderen verkehrliche, da ein direkter Umstieg zur U2/U4 möglich sein wird.“
Lost Places: Verliert Hamburg bald seine Geistertunnel?
Es sei schon Infrastruktur vorhanden, erklärt Roluf Hinrichsen, Verkehrsplaner bei der Hochbahn. Wann es soweit ist, steht noch nicht genau fest. „Irgendwann in den 2030er Jahren“ könne der Betrieb voraussichtlich aufgenommen werden, sagt der Ingenieur.
Natürlich sei es etwas schade, dass die Spuren der Vergangenheit verschwinden werden, sagt der Vorsitzende des Vereins „Unter Hamburg“, Ronald Rossig. Aber die Röhren seien nun einmal für eine U-Bahn gebaut worden. Deshalb sei es gut, dass sie nun sinnvoll genutzt werden sollen.