Kreis Pinneberg. Dunkler Tourismus: Ein neuer Reiseführer streift auch „Lost Places“ im Kreis Pinneberg. Der Besuch ist nicht ganz ungefährlich.

Einsame Deiche und stillgelegene Moore: Das Flächenland Schleswig-Holstein ist für seine ruhige Idylle und beschaulichen Plätzchen bekannt. Wer aber einmal so richtig verlorengehen möchte, sollte einen Lost Place aufsuchen.

Einen Ort also, der irgendwann einmal von Menschen aufgegeben und der Natur überlassen wurde. Im Kreis Pinneberg gibt es einige davon, die Dietrich von Horn in seinem neuen Buch „Lost Dark Places Schleswig-Holstein“ vorstellt.

„Lost Places“: Schaurig schöne Orte im Kreis Pinneberg

Insgesamt 33 verlorene und verlassene Gegenden hat der 78 Jahre alte Eckernförder ausgemacht. Dazu ist er im vergangenen Jahr rund 4000 Kilometer durch ganz Schleswig-Holstein gefahren. „Ich hab‘ mal nachgerechnet. Das ist so weit wie vom Nordkap nach Gibraltar!“, sagt der pensionierte Lehrer. Wo er die vergessenen Orte, die er in seinem Buch vorstellt, finden würde, erfuhr er von Freunden, aus Zeitungen oder bei der Recherche im Internet.

„Es fiel mir nicht schwer, die 33 Geschichten zusammenzusuchen – wahrscheinlich gibt es noch viel mehr dunkle und verlorene Ecken in Schleswig-Holstein“, so von Horn. Wichtig war dem Autor bei der Auswahl der Lost Places, dass sie eine schaurige oder unheimliche Geschichte haben. „Viele wirken auf den ersten Blick nicht gruselig, aber wenn man genau guckt, ist doch etwas Dunkles drin. Die Orte haben alle ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Geschichtsbrüche“, sagt er.

„Lost Places“: Adliger im Vosslocher Wald ermordet

An den Grafenmord in Barmstedt erinnert der Grabstein am Tatort, den hier Hans-Albrecht Hewicker zeigt.
An den Grafenmord in Barmstedt erinnert der Grabstein am Tatort, den hier Hans-Albrecht Hewicker zeigt. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Etwa der Pinneberger Grafenmord. Er ereignete sich vor mehr als 300 Jahren im Vosslocher Wald und gilt als Cold Case – ist also noch immer ungeklärt. „Das ist alles sehr mysteriös. Man weiß nicht, wer den Grafen ermordet hat. Da werden immer noch viele Spekulationen angestellt“, erzählt von Horn. Kein Wunder: Der Reichsgraf Christian Detlev von Rantzau war ein richtiges Ekelpaket, ein Fiesling, wie er im Buche steht.

Da hätten einige Motive gehabt, ihn auf Nimmerwiedersehen loszuwerden, sagt auch der Autor von „Lost Dark Places Schleswig-Holstein“: „Tja, die besondere Gemeinheit dem Volk gegenüber hat ihm wohl letztlich das Leben gekostet.“ Übrig bleibt von Christian Detlev von Rantzau ein Grabstein im dunklen Vosslocher Wald. Ob sich der Reichsgraf einmal erträumt hätte, dass seine letzte Ruhestätte zum Lost Place würde?

Dieser und andere verlassene Orte auf der ganzen Welt erfreuen sich in den vergangenen Jahren steigender Beliebtheit. Dabei ist es doch seltsam, dass viele Menschen freiwillig in Gegenden reisen, die in der neueren Vergangenheit von allen verlassen wurden. Von allen?

„Lost Places“: Was Besucher stets beachten sollten

Museumsleiterin Ute Harms am Sockel des alten Schornsteins in Uetersen.
Museumsleiterin Ute Harms am Sockel des alten Schornsteins in Uetersen. © Augener | Manfred Augener

Vielleicht nicht von den guten Geistern, meint von Horn: „Den Reiz eines Lost Place kann man nur empfinden, wenn man sich an den Ort begibt und sieht, wie sich die Ästhetik gewissermaßen ,umdreht‘. Es ist unglaublich, wie sich die Natur die Orte zurückholt.“ Der schlafende Schornstein von Uetersen ist so ein Fall. „Das gibt ihnen eine ganz andere Dimension. Der eigentliche Sinn dreht sich um und wird zu einem neuen Kunstwerk.“ Weil der Besuch von Lost Places einen neuen Blick auf das Land zulässt, könne er selbst Schleswig-Holstein-Kennern empfehlen, sich auf die Reise zu begeben.

Aber Achtung: Beim Besuch eines Lost Places gibt es eine gewisse Etikette zu beachten. Damit der Ort auch für andere spannend bleibt, gilt es ihn so zu verlassen, wie er vorgefunden wurde. „Man sollte als Prinzip nehmen, dass man nur seine Fußspuren hinterlässt“, sagt von Horn. Außerdem strotzen bereits baufällige ehemalige Industriegelände oder alte Villen womöglich vor gefährlichen Ecken und Kanten. Und dann ist da noch die Sache mit dem Hausfriedensbruch.

„Lost Places“: Graffiti ist oft ein Problem

Offiziell ist der Besuch von vielen Lost Places nämlich verboten. Deshalb ruft von Horn in seinem Buch auch nicht explizit zum Besuch der vorgestellten Orte auf. Ob es die jeweilige Straftat wert ist, begangen zu werden, liegt im Ermessen jedes Einzelnen. Der Autor sagt diesbezüglich nur so viel: „Wenn ich da war, war ich eigentlich immer der einzige vor Ort.“

Betreten verboten: Das ehemalige DRK-Heim in Pinneberg verfällt und ist dem Vandalismus ausgesetzt.
Betreten verboten: Das ehemalige DRK-Heim in Pinneberg verfällt und ist dem Vandalismus ausgesetzt. © HA | Nico Binde

Ein besonderes Verhältnis hat er wie viele Lost-Places-Kenner zu Graffiti. Meist seien die Sprühereien nur dümmliche Verschmutzung. „Aber in Kiel gibt es zum Beispiel eine verlassene Müllverbrennungsanlage“, sagt er, „da kämpfen die Graffitisprayer um das beste Bild. Das hat eine ganz andere Anmutung und da passt das dann auch hin. Es ist faszinierend zu sehen, was die Leute können.“

Sein persönlicher Lost-Place-Schatz in Schleswig-Holstein ist übrigens die alte Flakbatteriestellung von Bali im Kreis Plön. Aber auch der Felsstein, der an das Love-and-Peace-Festival von 1970 auf Fehmarn – samt Jimi-Hendrix-Auftritt – erinnert, sorgt bei von Horn für einen „ganz intensiven Eindruck“.

„Lost Places“ – die verlorenen Orte im Kreis Pinneberg

Oft wurden heute verlassene Orte vormals industriell genutzt. So auch das Union-Eisenwerk in Pinneberg, das zu den wichtigsten Wirtschaftsmotoren der Stadt gehörte. Doch mit dem Aufkommen von Elektroöfen benötigte kaum noch jemand die dort hergestellten verzinnten Stanz-Geschirre. Das Unternehmen schloss in den 60er-Jahren. Die Hallen des Eisenwerks wurden nie abgerissen. Heute verirren sich Lost-Places-Fans ihretwegen nach Pinneberg. Aber vielleicht nicht mehr lange, denn eine Interessengemeinschaft plant, die Ruine auferstehen zu lassen. Markthalle, Kultursaal, Campus – diese Nutzungsformen sind im Gespräch.

Immer maroder werden auch die Knechtschen Hallen in Elmshorn, ein echter Gründerzeitbau von 1873. Noch vor 100 Jahren waren 500 Menschen in der Lederwarenfabrik beschäftigt. Zumindest, bis der Wert des Leders abnahm und die Produktion eingestellt wurde. Bis 2006 dienten die Hallen noch als Kibek-Teppichlager. Jetzt frisst an der Backsteinarchitektur mit den hohen Fenstern der Zahn der Zeit.

Das 1964 gebaute Pinneberger DRK-Heim, das seit 2012 mangels Senioren leersteht, ist ein wahrlich verlorener, abbruchreifer Ort. Heute macht das Gebäude meist wegen Vandalismus, illegaler Partys und Brandstiftung Schlagzeilen. Erst vor zwei Wochen musste einmal mehr die örtlichen Feuerwehr anrücken. Überlegungen der vergangenen Jahre hinsichtlich der weiteren Nutzung des DRK-Heims – von Flüchtlingsheim bis Eigentumswohnung – verpufften allesamt. Seit 2016 ist es in Besitz der Stadt Pinneberg und modert langsam vor sich hin.

„Lost Places“ in Pinneberg: Orte haben eine lange Geschichte

Ein weiteres Gemäuer mit Geschichte finden Lost-Place-Fans in Form eines zerbrochenen alten Fabrikschornsteins im Parkgelände Langes Tannen in Uetersen. Der heute so historisch wirkende Schornstein war bei seiner Inbetriebnahme 1844 hochmodern: Er diente zur Rauchableitung für die Langesche Dampfmühle, mit der er über einen 150 Meter langen Dampfkanal verbunden war. Jetzt macht der Schornstein den Eindruck, zu schlafen. So ruhig und schwer liegt er in Langes Tannen. In seine jetzige Position beförderte ihn im Übrigen eine Sprengung 1943. Damals war der Betrieb der Dampfmühle bereits eingestellt. Die Sprengung sollte verhindern, dass der Schornstein von Fliegern im Zweiten Weltkrieg als Landmarke zur Orientierung genutzt werden kann.

Wer im Wedeler Elbe-Stadion sitzt oder kickt, macht sich wohl kaum Gedanken über die Bodensenke, in der es liegt. Dabei hat die Vertiefung eine spannende Historie: Sie ist der letzte Rest einer Baugrube der Nationalsozialisten. Ab 1943 sollte in Wedel, mitten auf dem Festland, eine gigantische Werft für Kriegs-U-Boote entstehen. Das Rüstungsprojekt, eines der größten im Zweiten Weltkrieg, trug den Decknamen „Wenzel“. Ein weiterer Zeuge des Nazi-Unterfangens ist der Tümpel auf der anderen Seite der Schulauer Straße.

Heute ist die Wasserfläche nicht unbedingt als Weltkriegs-Mahnmal, sondern vielmehr als Angler-Geheimtipp bekannt. Doch auch hier buddelten die Nationalsozialisten für die U-Boot-Werft, die ursprünglich 1946 fertiggestellt sein sollte. Sein Ende fand das Projekt „Wenzel“ schon vor Kriegsende, im Frühjahr 1944. Von da an sollten alle Ressourcen dem Bremer U-Boot-Bunker „Valentin“ zukommen.

Das Buch „Lost & Dark Places Schleswig-Holstein“ ist im Handel erhältlich.