Seit 2011 sind an vier Verkehrsknotenpunkten 54 Radfahrer und Fußgänger verunglückt – fünf von ihnen starben. Der ADFC Hamburg fordert erneut, den Radverkehr auf die Fahrbahn zu verlegen.

Hamburg. Immer mehr Hamburger lassen ihr Auto stehen und steigen aufs Rad um. Eine Auswertung der 16 Zählstationen in der Stadt zeigt, dass die Zahl der Radler dort von 2005 bis 2013 um rund 17 Prozent gestiegen ist. Dieser erfreulichen Entwicklung stehen aber auch steigende Unfallzahlen gegenüber. Allein im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 1940 verletzte Radfahrer in Hamburg.

Erschreckend: Innerhalb von vier Jahren verunglückten auf nur vier Hamburger Kreuzungen 43 Radfahrer und elf Fußgänger. 37 von ihnen wurden schwerer verletzt, fünf starben.

„Man braucht nur eine Weile zu warten, irgendwann kracht es hier.“ Michael Goldenbaum, seit 1998 Concierge in einem Hochhaus an der Kreuzung Doormannsweg/Fruchtallee, spricht aus trauriger Erfahrung. Direkt vor dem Fenster seiner Pförtnerloge liegt Hamburgs gefährlichste Kreuzung. Seit 2011 gab es hier allein 20 Unfälle mit Fußgängern und/oder Radfahrern. Wie die Antwort auf eine Große Anfrage des Verkehrsexperten der Grünen, Till Steffen, belegt, wurden auf keiner Hamburger Kreuzung in diesem Zeitraum mehr Menschen verletzt. Fakt ist: 13-mal wurden hier innerhalb von knapp vier Jahren Radfahrer und Fußgänger verletzt, ein Radler starb.

Das vergangene Jahr brachte einen neuen traurigen Rekord: Elf Radfahrer starben auf Hamburgs Straßen (das Abendblatt berichtete). Die Antwort auf Steffens Anfrage zeigt jetzt schwarz auf weiß: Sechs der elf Getöteten wurden von einem Auto oder Lkw angefahren beziehungsweise überrollt. Vier dieser sechs tödlichen Unfälle hängen mit Abbiegemanövern der Auto- oder Lkw-Fahrer zusammen. Bei den beiden anderen waren missachtete Vorfahrt und überhöhte Geschwindigkeit die Ursachen.

Auch auf der Kreuzung Doormannsweg/Fruchtallee gab es 2014 einen tödlichen Unfall: Am 18.September wurde hier ein Radfahrer von einem Auto angefahren und lebensgefährlich verletzt; er starb kurze Zeit später.

Concierge Goldenbaum weist auf eine besonders gefährliche Stelle, direkt vor dem Hochhaus: Ypsilonförmig verlaufen hier zwei Fahrradstreifen mit verschiedenen Fahrtrichtungen, dazwischen liegt ein Mini-Zebrastreifen. „Die Autofahrer wissen gar nicht, wo sie hier halten sollen“, so Goldenbaum, „und den Gegenverkehr müssen sie ja auch noch im Blick behalten. Das ist das Dümmste, was Hamburg je gebaut hat.“

Platz zwei der besonders gefährlichen Knotenpunkte belegt die Kreuzung Bramfelder Chaussee/Steilshooper Allee. 13 Radfahrer wurden hier seit 2011 an- bzw. überfahren und sieben Fußgänger. Dass sich statistisch daraus 19 Unfälle ergeben (mit insgesamt 15 Verletzten) liegt daran, dass in einem Fall Radfahrer und Fußgänger zusammenstießen und sich verletzten. Auch auf dieser Kreuzung starb im vergangenen Jahr, am 19. Juli, ein Radfahrer.

Sechs Verletzte und zwei Getötete bei acht schweren Unfällen gab es seit 2011 auch auf der Kreuzung Kieler Straße/Stresemannstraße. Sie belegt damit Platz drei der besonders gefährlichen Kreuzungen. Auch hier verletzten sich in einem Fall ein Radler und eine Fußgänger bei demselben Unfall. Auf dieser Kreuzung starb im vergangenen Dezember ein Radfahrer.

Ein Besuch vor Ort offenbart auch hier einen gefährlichen Mix aus kuriosen und nur halb fertig gestellten Radwegen. Wer aus Richtung Kieler Straße in Richtung Holstenstraße radelt, wird vom Radweg erst auf den Fußweg geleitet, dann – gleich nach dem Überqueren der Kreuzung – zurück auf die Straße, mitten hinein in den fließenden Verkehr. Nina Sehar aus Altona geht täglich zweimal mit ihrem vierjährigen Sohn Noah über die Kreuzung. „Ich finde es unmöglich, wie das hier geregelt ist“, so Sehar. „Seit hier gebaut wurde, ist es für Radfahrer und Fußgänger viel gefährlicher geworden. Wir gehen schon so schnell wie möglich über die Kreuzung, aber ständig stehen die Autos mitten auf den Überwegen.“ Es ist offen, wann das geändert wird.

An der Kreuzung Armgartstraße/Mundsburger Damm – Platz vier – wurden seit 2011 fünf Unfälle mit drei verletzten Radfahrern und einem schwer verletzten Lkw-Fahrer gezählt, verletzte Fußgänger gab es hier nicht. Eine Schülerin wurde im Januar 2014 tödlich verletzt, als ein Lkw-Fahrer in die Armgartstraße einbog und das Mädchen übersah.

Wie Till Steffen nachweist, wurden in den vergangenen Jahren drei der vier betroffenen Kreuzungen zumindest teilweise umgebaut, ohne dass sich an ihrer Gefährlichkeit etwas geändert hätte. „Schnelle anstatt gründlicher Planung war hier offenbar die Devise“, so der Politiker. Laut Steffen könne die Lehre nur sein, dass in Zukunft jede Sanierung oder andere bauliche Maßnahmen nur mit Verbesserungen für den Radverkehr umgesetzt werden dürften.

Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Martina Koeppen, kontert und bittet gleichzeitig um Geduld. „Die GAL hätte mehr für die Straßensanierung tun können, als sie noch Regierungsverantwortung hatte“, so Koeppen. Binnen kurzer Zeit habe es massiven Handlungsbedarf gegeben. „Zahlreiche Straßendecken mussten schnell ausgetauscht werden. Als gelungene Beispiele für erfolgreiche Kreuzungssanierungen nennt sie den Siemersplatz und den Knotenpunkt Sportplatzring/Kieler Straße.

Dirk Lau, ADFC Hamburg, fordert erneut, den Radverkehr auf die Fahrbahn zu verlegen. „Gerade wenn die Stadt argumentiert, dass Kreuzungen ohnehin umgestaltet werden sollen, sind Radfahrstreifen doch auch als Übergangslösung geeignet“, sagt Lau.