Hamburg. Bestatterinnen auf St. Pauli bieten Literaturzirkel an. Wie sie auf die Idee gekommen sind und wie das Angebot ankommt.
- Einmal pro Monat trifft sich der offene Buchclub.
- Die Nachfrage ist so groß, dass ein Zusatztermin angeboten wird.
- Die Idee hatte Trauerrednerin und Autorin Louise Brown.
Sie führen einen „Bestattungsladen“, betonen Julia Kreuch und Renske Steen. Mit großem Schaufenster und offener Tür. „Wir möchten ein Angebot sein für alle, in deren Leben Sterben gerade eine Rolle spielt“, sagen die beiden Hamburger Bestatterinnen, die Anfang August ihr Unternehmen Faarwel (Sölring, also Sylter Friesisch für ein hoffnungsfrohes „ade“ oder „auf Wiedersehen“) auf St. Pauli eröffnet haben.
Die beiden Freundinnen, die zuvor im Altonaer Lotsenhaus, das zur gemeinnützigen Organisation Hamburg Leuchtfeuer gehört, Kolleginnen waren, wollten ein eigenes, „modernes“ Bestattungsunternehmen gründen, einen „Ort der Begegnung“ im Stadtteil schaffen. „Ob große Party oder stilles Tschüs – wir gehen ganz individuell auf die Wünsche von Familie und Freunden ein und nehmen uns erst einmal ganz unverbindlich Zeit für das gemeinsame Kennenlernen“, sagen Julia Kreuch und Renske Steen, die derzeit etwa zwei Bestattungen pro Woche zwischen Ohlsdorfer Friedhof und hoher See organisieren.
Bestattung in Hamburg: Am letzten Donnerstag eines Monats trifft sich der Buchclub auf St. Pauli
Jetzt haben die beiden Bestatterinnen, die täglich in einer männerdominierten Branche („Was wisst ihr jungen Dinger schon vom Sterben?“) bestehen müssen, ein ganz neues Angebot gestartet: Einmal im Monat, immer am letzten Donnerstag, laden sie zu einem besonderen Buchclub in ihren Laden (Beim Grünen Jäger 7) ein. Die Idee dazu hatte Trauerrednerin und Autorin Louise Brown, mit der die beiden Frauen schon früher zusammengearbeitet haben.
„Es ist keine feste Gruppe, man kann sich zu jedem Termin einzeln anmelden“, sagt Renske Steen, studierte Musikwissenschaftlerin und zweifache Mutter, die früher Pressearbeit für Orchester und Konzerhäuser gemacht hat. Es sei ein offener Kreis für alle, die gerne lesen und sich darüber austauschen möchten. „Ob Romane, Sachbücher oder Lyrik: Es geht darum, neue oder verloren geglaubte Perspektiven auf die Zerbrechlichkeit des Lebens zu eröffnen“, sagt Louise Brown, in deren Heimat Großbritannien „Bookclubs“ eine große Tradition haben.
Bestattungsunternehmen Faarwel in Hamburg lässt über Bestseller „Überwintern“ diskutieren
Beim nächsten Treffen, am 28. November (19 bis 20.30 Uhr), wird es um Katherine Mays Bestseller „Überwintern. Wenn das Leben innehält“ gehen. „Wir hatten den Buchclub noch gar nicht so bekannt gemacht, da waren die zwölf Plätze für diesen Termin schon vergeben – binnen zwei Tagen“, sagen Julia Kreuch und Renske Steen ein bisschen stolz.
Das Interesse sei toll, es werde dann einfach einen zweiten Termin für weitere Interessierte geben. „Wir freuen uns, dass unser Literaturkreis so gut anzukommen scheint“, sagt Julia Kreuch. Und Renske Steen ergänzt: „Es geht ja nicht nur um Tod, sondern auch grundsätzlich um Verlusterfahrungen im Leben. Wenn man plötzlich keinen Kontakt mehr zur Familie hat oder von der besten Freundin geghostet wird, dann macht das ja auch was mit einem.“
Bestattungsunternehmen in Hamburg: Der Buchclub besteht nicht aus einer festen Gruppe
Wie funktioniert der Buchclub? Vor dem Treffen lesen alle Teilnehmer das Buch und überlegen für sich, welche Seiten oder Passagen sie besonders anrühren. Vor der Lektüre gibt Louise Brown den Teilnehmenden zudem Impulse zum jeweiligen Buch, die beim Lesen beachtet werden können, aber nicht müssen.
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Im Sinne des Stadtteil-Gedankens wird auch die Buchhandlung aus der Nachbarschaft eingebunden: Für jedes bei Cohen + Dobernigg gekaufte Buch wird 1 Euro an das Hospiz Sinus Othmarschen gespendet.
Mehr Informationen sowie den Link zur Anmeldung gibt es unter: faarwel-bestattungen.de