Hamburg. Louise Brown weiß, wie sich das anfühlt. Die Trauerrednerin hat jetzt ein Buch geschrieben, das anderen Menschen helfen kann.
Louise Brown, 48, trägt Trauer. Bevor sie gleich einen Termin auf dem Friedhof Bernadottestraße hat, kehrt sie in einem Altonaer Café ein, legt ihre Tasche ab. Die ganze Zeit hat sie darin ein Buch getragen, das mehr ist als eine Publikation über endgültige Abschiede und abgründige Trauer.
Es stammt aus ihrer Feder und ist das Resultat einer seelischen Achterbahnfahrt nach dem Tod ihrer Eltern und das Ergebnis von Gesprächen mit Angehörigen, die ebenfalls den Verlust eines geliebten Menschen beklagen.
Hamburger Trauerrednerin Louise Brown: „Ein Journal für die Zeit der Trauer“
Es ist ein trüber Novembertag, als die Hamburger Journalistin und Trauerrednerin Louise Brown bei Kräutertee von ihrem neuen Buch in diesem Café erzählt. Es trägt den Titel „Was bleibt, wenn wir schreiben. Ein Journal für die Zeit der Trauer“ (22 Euro, 236 S., Diogenes). In dieser Zeit, da die Tage immer kürzer werden, gewinnt die Trauer stärkeren Raum als an hellen, lichten Sommertagen. Gedachten die Katholiken an Allerseelen (2. November) ihrer Verstorbenen, so begehen die Protestanten an diesem Sonntag den Toten- bzw. Ewigkeitssonntag.
Viele Hamburgerinnen und Hamburger werden zu den Gräbern ihrer Angehörigen gehen und in stillem Gedenken vor ihnen verharren. In zahlreichen Gottesdiensten werden die Namen der in diesem Jahr Verstorbenen verlesen. Jetzt ist die Zeit für Trauer.
Totensonntag: Hamburger besuchen das Grab der Verstorbenen
Die Trauer aber, sie bleibt und hält sich nicht an den Rhythmus staatlicher und kirchlicher Trauertage. Sie hüllt ein in ihr dunkles, schweres Tuch, weckt aus dem Schlaf, wirft aus der Bahn ins Wüstenland der Einsamkeit. Louise Brown, in England geboren und in Ostholstein als junges Mädchen aufgewachsen, weiß, wie sich Trauer anfühlt. Der Tod ihrer Eltern innerhalb von drei Monaten, es war im Jahr 2011, löste bei ihr ein seelisches Erdbeben aus. Sie starben mit 70 und 78 Jahren und waren 51 Jahre lang als Paar zusammen. „Ich fand keine Sprache, ich war am Weinen, die Trauer hat mich komplett beschlagnahmt“, erinnert sich die Mutter zweier Kinder.
Hamburger Trauerrednerin Louise Brown hilft Schreiben bei der Bewältigung von Trauer
Vorher hätten Eltern und Tochter niemals über den Tod gesprochen. Er war ein Tabu-Thema. Auch ein Jahr später lag noch immer Trauer auf ihrer Seele. Als Journalistin verfügte sie allerdings über eine Waffe, die vor der Erfindung des Computers eine Feder gewesen wäre: Sie kann Gefühle in Buchstaben, in Schrift, in Sätze und Zeitungsartikel fassen.
Um sich selbst ein bisschen besser zu verstehen und andere Menschen für das Thema Abschied und Trauer zu sensibilisieren, interviewte sie damals einen Hamburger Bestatter. Diese Begegnung mit ihm sollte die Weichen für den weiteren beruflichen Weg stellen. Louise Brown wollte bei ihm ein Praktikum absolvieren. Er fragte sie, ob sie sich vorstellen könnte, Trauerreden zu schreiben. Und so entdeckte sie eine Möglichkeit, die ihre eigene Trauerpassion in positive Bahnen lenken ließ.
Trauerrednerin Louise Brown: Von London nach Ostholstein
Louise Brown aus London, die als pubertäres Mädchen schleppend die deutsche Sprache lernte und sich deshalb in der Schule häufig unverstanden fühlte, wollte Trauerrednerin werden. Natürlich auf Deutsch. Die Rede arbeitete sie schriftlich aus. Zuvor hatte sie sich mit den Angehörigen zum Gespräch getroffen, „in einem Krankenhaus“, erinnert sie sich.
Das war der Anfang einer beruflichen Festanstellung. Fünf Jahre arbeitete sie als Trauerrednerin im Auftrag dieses Bestatters und lernte damit Menschen kennen, deren Gefühle sie teilte und verstand. Es ist vor allem die von der Trauer genährte Einsamkeit, die miteinander verbindet.
Hamburger Trauerrednerin Brown zelebriert auch Seebestattungen
Inzwischen ist Louise Brown, die mit ihrem Lebensgefährten, den beiden Kindern und einem Hund im Hamburger Westen lebt, als freie Trauerrednerin und Autorin tätig. Einige Hundert Trauerreden hat sie bereits gehalten. Wenn sie dann in den Kapellen auf den Friedhöfen oder bei einer Seebestattung auf einem Schiff die Trauernden begrüßt und durch die Zeremonie führt, ist sie „das Gesicht der Abschiedsfeier“.
Die Blicke sind auf Louise Brown gerichtet, wenn sie in schwarzer Hose und Bluse vorn am Rednerpult steht, daneben der Sarg oder die Urne und ein Foto des Verstorbenen. Dann spricht sie, rund 30 Minuten lang, erzählt aus dem Leben, erzählt von Freude und Leid und Hoffnung. Ihre Erfahrung: „Es kann so tröstend sein, die Geschichte eines Menschen zu erzählen. Dieses Erzählen tröstet und entfaltet eine große Kraft.“
Schmerz und Freude bei einer Trauerfeier mit Lavendel
In ihrem ersten Buch „Was bleibt, wenn wir sterben“ erinnert sie sich an eine Trauerfeier. Sie hält die Rede für eine Frau Anfang Fünfzig. Sie war an Krebs gestorben. Auf allen Sitzbänken lagen kleine Lavendelsträuße. Denn die Verstorbene liebte die Provence.
„Der Trauergemeinde erzähle ich, wie sie mit ihrem Lebensgefährten im Lavendelfeld gepicknickt haben. Zwischendurch spielen wir französische Chansons, hören Edith Piaf und Jacques Brel. Und wir hören die Verstorbene selbst: die Aufnahme eines Liedes, das sie in Begleitung ihrer Band singt. Als ihre klare und warme Stimme sich mit dem Duft des Lavendels vermengt, als sie vom Meer und von der Sehnsucht singt, sehe ich, wie die Familie und die Freunde der Verstorbenen auf den Bänken vor mir schluchzen. Tränen fließen über ihre Wangen, und gleichzeitig leuchten ihre Augen. Sie weinen vor Schmerz. Und vor Freude. Der Raum ist zugleich mit Leid und Lebensfreude gefüllt; so wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Zum ersten Mal sehe ich Menschen, die in ihrer Trauer Glück und Freude zeigen können.“
Louise Brown: „Die Endlichkeit macht das Leben kostbar.“
Den Schlusspunkt solcher Feiern setzt die Musik, die ebenfalls Trost schenken kann. Gern gewünscht wird immer noch das geistliche Lied „So nimmt denn meine Hände“, aber auch Jazz, Schlager oder Pop. Nach dem Ende einer solchen Abschiedsfeier fühlt sich Louise Brown unendlich dankbar. Dankbar, dass sie diesen Dienst als Trauerrednerin leisten kann. Und dass sie lebt. „Gewiss“, sagt sie, „unser Leben ist endlich. Aber die Endlichkeit macht das Leben, macht jeden Moment, so kostbar.“
In ihrer Trauerarbeit hat die Journalistin nun auch jene Kraft entdeckt, die das schreibende Ordnen der Gedanken mit sich bringen kann. In der oft sprachlosen, einsamen Zeit kann das Schreiben eine große Stütze sein. Das von Louise Brown konzipierte und geschriebene Buch - ein Journal zum Schreiben - gibt Trauernden die Möglichkeit, Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und Träume auf dem Buchpapier zu notieren. Und so Worte für den Schmerz zu finden.
„Das Schreiben half mir, Worte zu finden für das, was mich damals sprachlos machte. Es wurde zu einem Ventil für Gefühle, von denen ich mich überwältigt fühlte“, schreibt sie in dem Buch.
Und so beginnt die Reise durch das Journal mit der empathischen Frage: „Welche drei Dinge siehst du, wenn du aus dem Fenster schaust? Bitte notiere, was du siehst.“
Trauer-Fragen führen den Leser durch das Buch
Nach einer freien Fläche im Buch folgt eine persönliche Antwort der Autorin auf die jeweilige Frage. Eine lautet zum Beispiel: „Hattest du oder hast du das Gefühl, als wäre dein Verstorbener weiterhin in deinem Leben anwesend?“ Ihre Antwort darauf: „Manchmal spreche ich mit meiner Mutter, wenn ich mit dem Hund durch den Park laufe. Wie es sich anfühlt? Traurig, aber auch tröstlich.“
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Wie bei ihrem ersten Buch geht die Trauerrednerin und Journalistin auch diesmal auf Lesereise gehen. Sie mag es, mit den Zuhörern zu sprechen, in den Dialog zu treten und an die Türen ihrer Einsamkeit zu klopfen. Sie möchte von dem erzählen, was sie hoffen lässt - und seien es Blumen, die vergehen, neu aufblühen und aus denen eines Tages Neues entsteht.