Hamburg. Im Lotsenhaus Altona sind fast alle Angestellten weiblich. Gegen welche Vorurteile die Hamburgerinnen täglich ankämpfen.
„Hast du was, Kind?“, fragten die Eltern leicht besorgt, als die 14-jährige Tochter ihnen mitteilte: „Ich möchte später Bestatterin werden!“ „Was stimmt mit dir nicht?“, fragte die Clique leicht verwundert, als die Freundin an der örtlichen Eisdiele vor allem den Blick auf den benachbarten Friedhof mochte. „Morgen kommst du eh nicht wieder“, sagte der Bestatter leicht resigniert, als die Praktikantin ihren ersten Tag hinter sich gebracht hatte. Er sollte sich täuschen.
Denn diese Tochter, diese Freundin, diese Praktikantin von damals heißt Seren Gören, ist heute 28 Jahre jung – und eine der wenigen Bestattermeisterinnen der Republik, Tendenz stark steigend. Erst im April hat sie im unterfränkischen Münnerstadt am Bundesausbildungszentrum der Bestatter die Prüfung bestanden. Ein Teil davon: BWL, Betriebsführung und ein komplizierter fiktiver Sterbefall, nämlich die Überführung eines Toten aus dem Ausland, Patchworkfamilie, Vorschriften.
Bestattung Hamburg: Lotsenhaus Altona gibt Trauer Raum und Zeit
Doch Seren Gören hat das alles bereits erlebt. Seit 2019 schon arbeitet sie im Lotsenhaus in Altona, einem „alternativen Bestattungsunternehmen“, das zur gemeinnützigen Organisation Hamburg Leuchtfeuer gehört. Das Lotsenhaus liegt mitten im Stadtteil, unweit des Bahnhofs Altona. Weil auch der Tod manchmal mitten ins Leben platzt.
„Bei uns wird der Trauer Raum und vor allem Zeit gegeben“, sagt Seren Gören. Das sei auf dem Land in Schleswig-Holstein, wo sie nach der Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten (ein Wunsch der Eltern), bei einem Bestatter gearbeitet habe, ganz anders gewesen. „Da gibt es einen einzigen Friedhof und an manchen Tagen eben drei Trauerfeiern hintereinander. Bestattung im Akkord, ohne Extras.“ Und ohne zu viele Nachfragen. Suizid, das komme im dörflichen Umfeld ja gar nicht vor.
Lotsenhaus Altona richtet auch Abschiedspartys aus
Im Lotsenhaus, das zwölf Mitarbeiter und fünf Minijobber beschäftigt, gebe es dagegen „keine Schranken“, sagt Seren Gören. Vor allem nicht, wenn es um die Wünsche der Angehörigen gehe.
Man arbeite sehr gut mit den Kirchen zusammen, richte aber auch Trauerfeiern – knapp 20 pro Monat – nach buddhistischem oder hinduistischem Ritus aus. Und für junge Verstorbene werde auch mal in den Abendstunden eine „Abschiedsparty“ organisiert. Mit Fotos, Filmen, Blumenschmuck.
Es sind zu 99 Prozent Frauen, die im Lotsenhaus arbeiten. Was dazu führe, dass oft mit Humor gesegnete Witwen sagen: „Hier hätte sich mein Mann wohlgefühlt, hier sind wir richtig.“ Das erzählt Julia Kreuch, die als Quereinsteigerin schnupperte und als Angestellte blieb.
Bestattung Hamburg: Zum Team im Lotsenhaus gehören Quereinsteigerinnen
In den langen Corona-Monaten sei ihr eigentlich gut dotierter Vertriebsjob ein bisschen öde geworden. „Ich saß viel alleine zu Hause vor dem Bildschirm rum“, sagt die 40-Jährige. Weil der kulturell unterschiedliche Umgang mit Trauer sie immer schon beschäftigt habe, machte sie ein Praktikum in Berlin bei Eric Wrede, der durch seinen Podcast „The End“ zu einem der bekanntesten Bestatter Deutschlands wurde.
„Irgendwie fühlte ich dort eine Anerkennung und Wertschätzung, die ich aus meinem alten Leben nicht kannte“, sagt Julia Kreuch. Das sei der Moment gewesen, in dem sie gespürt habe: Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Bestatterin: „Ich glaube, Trauerarbeit, das könnte ich richtig gut“
Ähnlich erging es Renske Steen, studierte Musikwissenschaftlerin und zweifache Mutter. Auch ihr Berufsleben lag während Corona brach. PR für Konzerthäuser, Orchester, Veranstalter? Nicht benötigt.
Bei einem der Kinderwagen-Spaziergänge sei ihr dann der Gedanke gekommen: „Ich glaube, Trauerarbeit, das könnte ich richtig gut.“ Doch sie stieß zunächst auf Widerstand – in der eigenen Verwandtschaft, aber auch bei den vielen Bestattern, bei denen sie sich „wie wild“ beworben hatte.
Bestatter ist immer noch ein klassisch männlicher Beruf
„Die Branche ist bis heute durch und durch männerdominiert“, sagt Renske Steen (40). „Eine Frau, Quereinsteigerin, Mutter – da meinten viele Herren, der Beruf sei nun wirklich nichts für mich, ich habe wohl eine zu romantische Vorstellung von der Arbeit.“ Als sie mit ihrer Familie nach Hamburg zog, fand sie 2021 eine Stelle im Lotsenhaus. „Das war wie nach Hause zu kommen.“
Mit Ressentiments und Vorurteilen hätten sie jedoch täglich zu kämpfen, sagen die drei Bestatterinnen. Da gebe es Angehörige, die im ersten Gespräch „den Chef verlangen“, ältere Kollegen anderer Unternehmen, die abwinken: „Was wisst ihr jungen Dinger schon vom Leben?“ Und dass es beispielsweise am Krematorium auf dem Ohlsdorfer Friedhof nur eine Männertoilette gebe, sei eigentlich auch längst nicht mehr zeitgemäß.
Am Krematorium Ohlsdorf gibt es nur eine Männertoilette
„Natürlich freuen wir uns, wenn uns jemand hilft, den Sarg mit einem 150 Kilogramm schweren Verstorbenen aus dem Wagen zu wuchten“, sagt Julia Kreuch. Aber es komme eben, wie so oft, auf den Ton an. Grundsätzlich machen die Frauen im Lotsenhaus alles, sind jeweils für den gesamten Prozess zuständig – von der Überführung über die Waschung bis hin zur Kalkulation der Kosten.
„Unsere Philosophie ist: Niemand verlässt das Lotsenhaus nackt“, sagt Seren Gören. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um eine Sozialbestattung handele oder um eine Trauerfeier im fünfstelligen Bereich. Jeder Verstorbene werde gewaschen und angezogen, sodass die Trauernden am offenen Sarg Abschied nehmen können.
Das Sterben verläuft in Wellen – im Winter gehen mehr Menschen
Das Lotsenhaus habe immer eine „offene Tür“, sagen die drei Bestatterinnen, solle ein niedrigschwelliges Angebot sein. „Das erste Gespräch ist immer unverbindlich“, sagt Julia Kreuch. Man ermutige die Angehörigen sogar, auch Angebote anderer Bestattungsunternehmen einzuholen. „Ich meine, unser ganzes Leben lang vergleichen wir ständig. Warum sollten wir das ausgerechnet beim Tod nicht tun?“
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Das Sterben verlaufe übrigens in Wellen, im Winter werde es mehr. An hochsommerlichen Tagen wie diesen gingen eher weniger Menschen.
Bestatterin als Beruf: Hamburgerin ist in ihrer Familie „die Glücklichste“
Seren Görens Eltern sind heute sehr stolz auf ihre Tochter, die Freunde bewundern, wie konsequent sie ihren Weg verfolgt hat. Und der Bestatter, bei dem sie damals hospitierte, freut sich, dass er sie nachhaltig begeistern konnte, für eine Branche, die nie sterben wird.
„Ich bin die Einzige aus der Familie, die nicht studiert hat“, sagt Seren Gören. „Aber ich glaube, ich bin die Glücklichste. Und das ist doch ein schönes Fazit.“