Hamburg. Alexandra Friese hat Teile des Modegeschäfts an der Mö in ein Café verwandelt und das „Gold von Entenwerder“ ermöglicht.
Die Unternehmerfamilie Friese macht vieles anders als andere – sie produziert ihr Modelabel „Omen“ nicht in Bangladesch oder Vietnam, sondern in Hamburg-Rothenburgsort. Auf einem Ponton auf Entenwerder hat sie einen angesagten Ausgeh-Ort der Stadt geschaffen – und nun in ihrem Geschäft an der Mönkebergstraße kurzerhand Verkaufsfläche geräumt und in ein hippes Café verwandelt. Wenn Controller und Berater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, verstehen die Frieses das als Beifall.
Aber wie kommt man auf die Idee, in einem Modehaus Kaffee und Bagels zu verkaufen? „Einer der Gründe war der Stillstand in der Corona-Zeit, in der wir darüber nachdenken konnten, wie man sich die Zukunft wünscht“, erzählt Alexandra Friese, Geschäftsführerin von Thomas-i-Punkt, im Podcast „Was wird aus Hamburg?”
Innenstadt Hamburg: „Leisten unseren Beitrag zur Belebung der Mönckebergstraße“
„Daraus habe ich den Schluss gezogen, dass man Kunden auch auf vier statt auf sechs Etagen Mode präsentieren kann. Daneben soll es Raum geben, wo man nichts muss und nichts will, außer eine gute Zeit zu verbringen.” In dem bunten Café könnten Kunden beispielsweise überlegen, ob sie den blauen oder den grünen Pullover kaufen wollen – oder einfach ausspannen. Viele hätten ihr von dem Plan abgeraten und gewarnt. Friese aber will die Welt nicht nur nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern bewerten.
Experten betonen unisono, dass die Innenstadt mehr Freiräume benötigt, um Menschen in die City zu locken und die Frequenz zu erhöhen. Stattdessen aber verschwinden ausgerechnet die Orte, an denen der Umsatz pro Quadratmeter nicht ausreicht: die Schlemmerecken im Kaufhaus ebenso wie die überraschenden Geschäftsideen. „Wir gehen jetzt mit gutem Beispiel voran und leisten unseren Beitrag zur Belebung der Mönckebergstraße“, sagt die Mutter eines Sohnes.
„Ich habe die Eröffnung der Gänsemarkt-Passage miterlebt und nun den Abriss“
Friese glaubt an die Kraft des Hamburger Herzens: „Die Innenstadt ist ein toller Ort mit schönen Gebäuden, mit der Alster, da ist vieles, was gut ist.” Zugleich aber schränkt sie ein, dass es gefährliche Fehlentwicklungen gibt. „Ich habe die Eröffnung der Gänsemarkt-Passage miterlebt und nun den Abriss. Die Mieten haben sich seit 1990 nicht verdoppelt, sondern eher verdreifacht.“
In der gegenwärtigen Krise des Einzelhandels sieht sie eine Chance: „Jetzt merken alle, dass sie aufeinander angewiesen sind. Die Zeiten, in denen große Konzerne bereit waren, jede Fantasiemiete zu zahlen, um einen Standort zu besetzen, sind vorbei.” Inzwischen schauten auch die Vermieter, was sich vor Ort erwirtschaften lässt. „Dieser Prozess hat begonnen. Aber er muss weitergehen, um eine spannendere Durchmischung in der Stadt zu bekommen. Noch suchen kleinere Akteure und sehr kreative Leute in den Randbezirken ihr Glück.”
Innenstadt Hamburg: Heute sei es schwer, einen Hammer hier zu kaufen
Als Friese vor 38 Jahren in das Geschäft ihres Vaters einstieg, war die Innenstadt deutlich bunter als heute: „Damals gab es am Gänsemarkt eine Fleischerei, in der Gerhofstraße ein Geschäft für Rasierapparate, einen Käseladen, einen Feinkosthandel. Und bei Karstadt konnte man Tierfutter oder Werkzeug bekommen. Versuchen Sie heute mal, in der Innenstadt einen Hammer zu kaufen.”
Erst verschwand die Mischung, dann habe das Internet den Handel umgewälzt. Zudem verändert sich die Kundenstruktur: „Die Kunden, die wir in den 80er-Jahren hatten, gehen bald in Rente. Die neue Klientel hat ein anderes Bewusstsein und ein anderes Konsumverhalten.“
Dementsprechend wünscht sie sich eine andere Innenstadt: „Wir benötigen mehr Mitspieler, die unverwechselbar sind und den Menschen einen Grund liefern, hierherzukommen. Es braucht mehr Individualität. Unsere Kunden, oft Touristen, sagen, dass unser Laden etwas Besonderes sei. Touristen kommen in eine andere Stadt, um Neues zu erleben, und nicht, um auf die immergleichen Ketten zu stoßen.“
Hamburger City – Filialisten machen die Innenstädte austauschbar
Diese individuelle Note vermisst sie. „Bei jeder Baustelle an der Mönckebergstraße schaue ich gespannt, was passiert, und werde fast immer enttäuscht, weil es doch wieder nur Ketten sind.“ Eine Großbaustelle liegt gegenüber vom Omen-Geschäft am Gänsemarkt – hier ruhen nun die Arbeiten, weil es der Signa des österreichischen Investors René Benko an Geld fehlt. „Das ist eine ziemliche Katastrophe. Ich bin persönlich nicht so überrascht, dass das Kartenhaus jetzt zusammenfällt. Ich hoffe nur, dass die großen Projekte weitergehen – alles andere wäre wirklich fatal.“
Trotzdem macht sie sich um den Standort Gänsemarkt weniger Sorgen als um den an der Mö im Hulbe-Haus. „Wir sprechen eine bestimmte qualitätsbewusste Klientel an, und die trifft man eher im Umkreis vom Gänsemarkt, an der ABC-Straße, am Marriott-Hotel. An der Mö ist das Publikum etwas anders. Aber ich bin froh, dass wir dort sind und nicht den ganzen Tag im dritten Stock in einem eckigen Laden in einer Passage stehen. Die Mönckebergstraße sieht fast nie leer aus, trotzdem fehlt uns manchmal die passende Kundschaft.”
HafenCity als Konkurrenz? XXL-Einkaufszentrum im Überseequartier sieht sie entspannt
Das XXL-Einkaufszentrum Westfield, das im Frühjahr in der HafenCity eröffnen soll, sieht die Unternehmerin „sehr entspannt. Wir sind auch schon mehrfach gefragt worden, ob das nicht für uns interessant wäre. Das ehrt uns, aber wir fühlen uns wohl, wo wir sind.“
Sie habe nicht die Sorge, dass die Besucher in Zukunft nur noch in die HafenCity einkaufen gehen. „Vielleicht bekommt man es hin, dass sich das Überseequartier und die Innenstadt gegenseitig befruchten.“ Sie plädiert gegen eine Verkehrsberuhigung der Mö oder des Jungfernstiegs. „Ich bin dafür, dass dort weiter Busse fahren, weil sie zu einer lebendigen Innenstadt gehören.“ Sie wünscht sich ein verbessertes Angebot, etwa eine smarte Anbindung der Innenstadt per Pendelbus ans neue Westfield Quartier.
Neues Café an der Mönckebergstraße läuft laut Betreiberin sehr gut
Sechs Wochen nach der Eröffnung des Cafés Omen in der City zieht die Unternehmerin ein positives Fazit: „Manchmal muss man einfach daran glauben, dass es ein Erfolg wird“, betont die 56-Jährige. „Bisher sind wir sehr zufrieden.“ Manche Menschen kämen nur in die Stadt, um Omen zu besuchen. Das Café im Obergeschoss mit seinem kleinen Balkon versteht sie als magischen Ort – man blickt auf die Petrikirche, das Rathaus und die Bäume.
Ein weiterer magischer Ort, den die Unternehmerfamilie entdeckt und erschlossen hat, liegt seit 2015 in Rothenburgsort. Dort; am Ende des kleinen Parks; schwimmt auf einem Ponton das „Gold von Entenwerder.“ „Damals wussten die meisten Hamburger nicht einmal, wo Rothenburgsort liegt. Aber etwas, das mit Liebe und gut gemacht ist, findet seine Gäste. Das erlebe ich jeden Tag.“
Für das Gold von Entenwerder verkaufte Thomas Friese sein Haus
Am Rande eines Gewerbegebietes weitab der Stadt gibt es nun einen hippen Ausgeh-Ort. „So was kann nur so Verrückten wie uns einfallen, die sich nicht fragen, wie sie aus einem Euro schnell drei bekommen. Manchmal sind wir getrieben von einer Überzeugung. Was uns gefällt, muss doch auch anderen Menschen gefallen.“
Der Ponton mit seinem goldenen Aufbau war nicht leicht zu realisieren: „Der Prozess hat von der Idee bis zur Eröffnung neun Jahre gedauert. Da wären die meisten ausgestiegen”, sagt sie. 2006 kam die Debatte auf, die dortige Zollanlage abzureißen, das Gelände zu privatisieren und Büros zu bauen.
Die Frieses hatten eine andere Idee, welche die Stadt Hamburg schließlich mit Fördergeldern für die Errichtung der Brücke und einem Zuschuss für den goldenen Pavillon unterstützte. „Trotzdem ist unglaublich viel an uns hängen geblieben. Mein Vater hat sein schönes Haus in Nienstedten verkauft, um dieses Projekt zu ermöglichen. Er hat einiges aufgegeben, damit so etwas möglich wird.“
„Alle Gastronomen, die wir anfragten, winkten ab: Rothenburgsort, wo bitte?“
Das Wagnis hat sich gelohnt. „Wir sind sehr zufrieden, unser Ziel ist immer, dass es sich trägt. Die ersten Jahre mussten wir ein bisschen zuschießen.“ Eigentlich wollten die Unternehmer das Gold von Entenwerder nicht selbst betreiben. „Doch alle Gastronomen, die wir anfragten, winkten ab: Rothenburgsort, wo bitte?“ Also legten die Frieses selbst Hand an. Das meiste wird vor Ort gebacken oder gekocht. Und nun kommt auch der Kuchen für die Mö von Entenwerder – ein Brückenschlag in die Stadt.
Thomas Friese hängt an dem Ort – in Rothenburgsort befindet sich die Strickerei des Labels Omen. „Seit 1984 produzieren wir dort. Zudem fertigen wir in Lübeck und Hemden in Bremen.“ Das Unternehmen kauft die Garne ein, macht daraus Strickwaren und verarbeitet sie in Hamburg zu Pullovern und Jacken. Produkte, die jahrzehntelang halten, aber ihren Preis haben. „Wir müssen jeden Tag Aufklärungsarbeit leisten, um den Preis und die Philosophie zu erklären.“
Die Frieses möchten das Branntweinmonopol-Gebäude zur gläsernen Manufaktur umbauen
Als sich Omen vor Jahrzehnten für die Produktion in Hamburg entschied, haben Experten die Familie für verrückt erklärt, wieder einmal. „Als 18-Jährige wollte ich mir beim Chef von Boss ein paar Tipps geben lassen. Er hat sich das eine Minute angehört und gesagt: Das ist totaler Schwachsinn, das funktioniert nicht. Mein Vater meinte dann: Egal, wir machen es trotzdem! Wenn man alles hinterfragt, kommt man ja nie in die Gänge.“
Friese hat weitere Pläne für Rothenburgsort, den Stadtteil, der in den Bombennächten der Operation Gomorrha versank und langsam wieder aufersteht: „Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns mit dem ehemaligen Branntweinmonopol neben der Golflounge.“ Die historische Backsteinhalle mit ihren großen Fenstern und dem spektakulären Glasdach, umgeben von einem kopfsteingepflasterten Hof und viel Grün liegt nur einen Steinwurf von Entenwerder entfernt. „Mein Vater ist seit Jahren fasziniert von diesem Ort. Er möchte, dass dort Menschen zusammenkommen. Wir könnten uns dort eine gläserne Manufaktur vorstellen.“
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Mit der Stadt und den Bezirkspolitikern stehen die Unternehmer im Austausch: „Alle reden von urbaner Produktion, hier wäre sie möglich: Von unserer Fertigung in Rothenburgsort bekommt bislang kaum jemand etwas mit: In der Halle könnten wir die ganzen Produktionsabläufe vom Stricken, Zuschnitt, Entwicklung bis Endfertigung unterbringen und erlebbar machen. Wo sonst kann man heute noch sehen, wie Kleidung entsteht?”
Ausdrücklich sei das kein Schritt zur Gentrifizierung von Rothenburgsort, wie Aktivisten die Aufwertung von Stadtteilen oft kritisieren. „Da wird es einen Kaffee im Café zu einem normalen Preis geben.“ Der Stadtteil würde profitieren, wenn Neues entstünde. „Wir haben Rothenburgsort für die Hamburger wieder auf die Landkarte gehoben: Dort liegen große Chancen: Ich stelle mir dort einen menschlichen, kleinteiligen Wohnungsbau mit Grün, mit Innenhöfen vor, wie in Kopenhagen. Leider ist das, was ich sehe, wieder der einförmige, auf Masse getrimmte Wohnungsbau.“