Hamburg. War es doch ein illegales Autorennen? Diese Frage soll das Gericht erneut klären. Angeklagter fühlt sich bereits „lebenslang bestraft“.

Das eine Auto ist nur noch Schrott. An der Seite ist es aufgeschlitzt, Trümmer liegen in weitem Umkreis um den Wagen herum. Es sind die stummen Zeugen eines schweren Unfalls, bei dem ein junger Mann auf der Köhlbrandbrücke ums Leben gekommen ist. Ist der Tod des 25-Jährigen Folge eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens? Diese Frage soll jetzt vor Gericht geklärt werden.

Es ist ein Prozess mit vielen unterschiedlichen Aspekten, in dem es um Geschwindigkeiten geht, um die gebotenen Abstände zwischen Autos, um viele Detailfragen. Es ist aber auch ein Verfahren mit einer besonders tragischen Komponente.

Prozess Hamburg: Bruder auf Köhlbrandbrücke totgefahren – höhere Strafe möglich

Denn der Mann, der in den Trümmern des Autowracks starb, ist der Bruder eines der Männer, die sich wegen der Geschehnisse vom 25. März 2019 vor Gericht verantworten müssen. Mehmet R. (alle Namen geändert), der den Audi A7 steuerte, in dem sein Bruder zu Tode kam, leide sehr unter den Folgen des Geschehens, hieß es schon in einem ersten Prozess vor dem Amtsgericht, in dem der 25-Jährige zu 120 Tagessätzen à 60 Euro verurteilt wurde und ein anderer mutmaßlich Beteiligter freigesprochen wurde.

Bei dem 25-Jährigen hatte das damalige Gericht allein den Vorwurf der fahrlässigen Tötung als erwiesen angesehen. Dass es sich außerdem um ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen gehandelt habe, könne nicht sicher festgestellt werden. Weil unter anderem die Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil vom Amtsgericht in Berufung ging, wird der Fall jetzt in zweiter Instanz vor dem Landgericht verhandelt.

Angeklagter durch „Folgen des Geschehens sein Leben lang bestraft“

Und auch hier heißt es, dass Mehmet R. durch die „Folgen des Geschehens sein Leben lang bestraft“ sei, „da sein Bruder eine besondere Bedeutung“ in seinem Leben gehabt habe. Keine Strafe des Gerichts könne das Schicksal auffangen.

Der Audi wurde bei dem tödlichen Unfall auf der Köhlbrandbrücke komplett zerstört,
Der Audi wurde bei dem tödlichen Unfall auf der Köhlbrandbrücke komplett zerstört, © TV- NEWS KONTOR | TV- NEWS KONTOR

Diese Einschätzung wird von der Verteidigung geltend gemacht. Selber äußern möchte sich der Angeklagte nicht, ebenso wenig wie der zweite Beschuldigte, ein heute 29 Jahre alter Mann, der sich in einem hochmotorisierten BMW mit Mehmet R. in dessen Audi ein Rennen geliefert haben soll.

Laut Ermittlungen haben sich die Angeklagten am späten Abend des 25. März 2019 zunächst auf der Finkenwerder Straße mit ihren Kraftfahrzeugen duelliert. Hierbei sollen sie jeweils mit ihren Fahrzeugen zeitweise mit Tempo 70 bis 100 und einem Abstand von nur 1,5 bis zwei Metern dicht hintereinander hergefahren und andere Fahrzeuge überholt haben.

Fahrer verliert Kontrolle über Audi – war es ein illegales Autorennen?

Nach einem Stopp an einer roten Ampel im Kreuzungsbereich Finkenwerder Straße/ Köhlbrandbrücke hätten sie erneut stark beschleunigt, so die Vorwürfe weiter. Schließlich soll der Audifahrer bei einer Geschwindigkeit von 138 bis 164 Kilometern pro Stunde die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren haben, sodass es zu dem folgenschweren Unfall kam, bei dem der Beifahrer so schwere Kopfverletzungen erlitt, dass er noch an der Unfallstelle verstarb.

Die zwei Angeklagten sitzen neben ihren Anwälten zu Beginn des ersten Prozesses im August vergangenen Jahres vor dem Amtsgericht Harburg.
Die zwei Angeklagten sitzen neben ihren Anwälten zu Beginn des ersten Prozesses im August vergangenen Jahres vor dem Amtsgericht Harburg. © picture alliance/dpa/dpa/POOL | Christian Charisius

Offenbar hatte der Audifahrer mit seinem Fahrzeug bei hoher Geschwindigkeit zunächst einen Lkw touchiert, war dann gegen eine Leitplanke geraten und schließlich gegen einen weiteren Lkw geprallt.

Danach kam er völlig zerstört zum Stehen. Zu Beginn der Berufungsverhandlung am Mittwoch erörterten die Verfahrensbeteiligten, ob es zu einer Verständigung kommen könne – also zu einer Einigung der Verfahrensbeteiligten, wie hoch eine Strafe mindestens beziehungsweise höchstens ausfallen könne.

Köhlbrandbrücke: Amtsgericht sprach Mann am Steuer des BMW frei

Dabei regte die Verteidigung des 29-Jährigen an, das Verfahren einzustellen, möglicherweise gegen Zahlung einer Geldbuße. Das Amtsgericht hatte ihn noch freigesprochen, weil nicht sicher festgestellt werden könne, ob der Mann überhaupt am Steuer des BMW saß oder ob einer der anderen Insassen das Fahrzeug geführt hatte. Nach dem Crash waren alle sehr schnell ausgestiegen.

Für den Bruder des Getöteten machte seine Verteidigung geltend, dass er sehr unter dem Verlust dieses nahen Verwandten leide. Der Richter erklärte unterdessen, er könne sich für den 25-Jährigen eine Strafe vorstellen, die zwischen einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und einer Freiheitsstrafe von acht Monaten liege. Diese Strafe könne zur Bewährung ausgesetzt werden. Zu einer Verständigung kam es indes nicht.

Richter: „Wir haben hier den Tod eines Menschen zu betrauern“

„Wir haben hier den Tod eines Menschen zu betrauern“, sagte der Vorsitzende Richter. Es müsse geklärt werden, ob nachgewiesen werden könne, dass es sich bei den Geschehnissen überhaupt um ein Kraftfahrzeugrennen gehandelt habe.

Laut Aktenlage gebe es „einige Indizien“, die dafür sprächen, dass es eine Absprache zwischen dem Fahrer des Audi und dem des BMW gegeben habe. „Ob das reicht, wird sich zeigen.“ Ferner müsse es im Prozess darum gehen, ob die Angeklagten gegebenenfalls erkannt haben, dass die Möglichkeit einer lebensgefährdenden Handlung bestanden habe. Hier spreche eher weniger dafür.

Prozess Hamburg: Bruder auf Köhlbrandbrücke totgefahren – Zeuge sagt aus

Ein 64-jähriger Lkw-Fahrer schilderte am Mittwoch als Zeuge, wie er im Rückspiegel ein Auto gesehen habe, dass sich so schnell näherte, dass er in seiner Fahrerkabine reflexartig zur Seite gezuckt sei. Dann sei der Wagen gegen seinen Lkw geraten, anschließend gegen die Leitplanke und schließlich gegen einen vorausfahrenden Lastwagen geprallt.

Mehrere Autos hätten angehalten, die Fahrer seien ausgestiegen – auch der Mann, der am Steuer des kaputten Audi gesessen habe. „Das Fahrzeug war Schrott“, erzählte der Zeuge. „Die rechte Seite war eingedrückt.“ Der Fahrer habe gerufen: „Mein Bruder! Mein Bruder!“ Und er habe etwas gesagt, was sich sinngemäß angehört habe wie: „Ich weiß, ich war zu schnell.“ Der Prozess wird fortgesetzt.