Hamburg. Triathlon-Experte analysiert Verhalten des tödlich verunglückten 70 Jahre alten Bikers. Hamburg prüft WM-Sicherheitskonzept.

Sehr kurz war die Nacht und wenig überraschend fast schlaflos. Aber weil die Pflicht rief und die Aufarbeitung der tragischen Ereignisse des Sonntags mit dem Unfalltod eines Motorradfahrers anstand, war Oliver Schiek am Montagmorgen bereits wieder unter Volldampf. Die Profiathleten, die am Vortag die Ironman-EM bestritten hatten, wurden verabschiedet, und Schiek, Geschäftsführer von Veranstalter Ironman Germany GmbH, sprach von einer würdigen, den Umständen angemessenen Zeremonie.

Der Montag war indes lediglich der Auftakt für Tage und Wochen, in denen es viel Gesprächsbedarf zwischen dem Veranstalter, der Stadt und den zuständigen Verbänden und Behörden geben wird, um die aus dem Unfall zu ziehenden Konsequenzen auszuloten. Die wichtigsten Antworten zum Unfallhergang versucht die Polizei weiterhin zu ermitteln.

Ironman Hamburg: 70-jähriger Motorradfahrer starb

Der 70 Jahre alte Motorradfahrer, der am Spadenländer Hauptdeich bei einem Überholmanöver frontal mit einem ihm per Rennrad entgegenkommenden britischen Triathleten kollidiert war, starb noch an der Unfallstelle. Der 26 Jahre alte Athlet hat deutlich schwerere Blessuren als die zunächst kolportierten Gesichtsverletzungen erlitten und wird weiterhin im Krankenhaus behandelt, Lebensgefahr bestand allerdings zu keinem Zeitpunkt. Der vom Veranstalter gebuchte Fotograf (50), der rücklings als Beifahrer auf dem Motorrad mitfuhr, könnte Aufklärung liefern, seine Aussagen sind aktuell aber Gegenstand der Ermittlungen.

Die Strecke war nach dem Unfall voll gesperrt, die Athleten mussten ihre Räder über den Spadenländer Hauptdeich schieben. Unten lagen Trümmerteile.
Die Strecke war nach dem Unfall voll gesperrt, die Athleten mussten ihre Räder über den Spadenländer Hauptdeich schieben. Unten lagen Trümmerteile. © Christoph Leimig

Frank-Martin Uhlemann ist als langjähriger Einsatzleiter und Kampfrichter bei Triathlon-Events im gesamten Bundesgebiet erfahren. Wegen einer Knieverletzung konnte der 64-Jährige am Sonntag nicht selbst an der Strecke sein, verfolgte das Geschehen aber vor dem heimischen PC. Die Aufnahmen des Unfallhergangs hat er diverse Male angeschaut. „Ich kannte den Motorradfahrer sehr lange. Er ist ein erfahrener und besonnener Biker gewesen, der risikominimierend fuhr. Was ihn geritten hat, als er auf die Gegenfahrbahn ausscherte und die Kolonne überholte, ist unerklärlich“, sagt er.

Biker stammen aus Motorrad-Gottesdienst-Gruppe

Körperliche Ursachen wie eine Herzattacke oder ein Blenden der Augen durch die Sonne schließt Uhlemann aus. „Dafür ist er eine zu lange Strecke kontrolliert geradeaus gefahren.“ Dass der Fotograf auf der Jagd nach dem besten Bild Druck ausgeübt habe, sei denkbar, aber unwahrscheinlich. „Die Biker sind diejenigen, die die Kontrolle haben und entscheiden“, sagt er.

Die Fahrer werden aus einer aus dem Motorrad-Gottesdienst hervorgegangenen Gruppe ausgewählt. „Zumindest diejenigen, die die von der Deutschen Triathlon-Union gestellten rund 20 Kampfrichter transportieren, müssen sich einem Auswahlprozess stellen und fahren die Strecke vorher mehrfach ab“, sagt er.

Diese Praxis sei für die vom Veranstalter gebuchten Mediengespanne zumindest nicht lückenlos gängig, sagt ein ehemaliger Begleitbiker, der anonym bleiben möchte: „Ich bin vor vier Jahren ausgestiegen, weil ich dem Veranstalter gesagt habe, dass die Rahmenbedingungen viel zu gefährlich seien. Nach Qualifikationen wurde damals nicht gefragt, auch gab es keinerlei Einweisungen, man wurde einfach auf die Strecke geschickt. Und schon damals war die Streckenführung auf dem Teilstück, wo jetzt der Unfall passiert ist, viel zu eng für die vielen Motorräder.“

Triathlon-Experte: Hamburg muss Streckenführung ändern

Diesen Umstand kritisiert auch Uhlemann. „Es sind viel zu viele Kameraleute und Fotografen unterwegs, weil der Veranstalter alles optimal in Szene setzen will“, sagt er. Er verstehe nicht, warum nicht mehr Drohnen eingesetzt würden, um die Strecke zu entlasten. Allerdings nimmt er auch die Stadt in die Verantwortung. „Es heißt immer aus der Stadt, dass internationale Topveranstaltungen gewünscht sind. Seit Jahren fordern wir, die Streckenführung zu verändern und auf breite Trassen wie die Willy-Brandt-Straße auszuweichen, aber die werden dann nicht zur Verfügung gestellt. Die Stadt sollte bereit sein, dort entgegenzukommen, um Gefahren zu minimieren.“

Sportstaatsrat Christoph Holstein sagte, dass klar sei, dass im Hinblick auf die vom 13. bis 16. Juli geplante Triathlon-WM in der Innenstadt das Sicherheitskonzept noch einmal genau geprüft werde. Über grundsätzliche Konsequenzen für Ironman, das neben den beiden Triathlon-Events auch das Radrennen Cyclassics organisiert, sagte er: „Wir arbeiten seit Jahren sehr vertrauensvoll zusammen und wissen, dass der Veranstalter professionell seiner Verantwortung nachkommt.“

Ironman-Unglück: Veranstalter schweigt weiter zu Vorwürfen

Ironman selbst war am Montag trotz eines zeitlichen Vorlaufs von 20 Stunden nicht in der Lage, einen Fragenkatalog des Abendblatts zu beantworten. Mit Verweis darauf, dass Einlassungen mit dem Ironman-Eigentümer Advance Group aus den USA abgestimmt werden müssten, gab es keine Antworten darauf, warum erst nach Stunden offiziell über den Unfall informiert, auf dem Rathausmarkt weiter Partymusik gespielt und der Ironman-Live­stream nicht abgebrochen wurde. Auch zur Haftung bei Unfällen oder einem Rennabbruch gab es keine Infos.

Dass das Rennen nicht abgebrochen werden konnte, was wenige Athleten und einige Beobachtende kritisiert hatten, habe nichts mit Vorgaben aus den USA zu tun. „Es hätte zu noch größerem Chaos geführt, weil man 3000 Menschen auf einer so langen Strecke nicht einfach aus dem Rennen nehmen kann“, sagte Martin Engelhardt, Präsident der Deutschen Triathlon-Union, der den Veranstalter in Schutz nahm. „Ironman organisiert weltweit Veranstaltungen, das sind verantwortungsbewusste Menschen. Ein Unfall kann leider bei jedem Wettkampf passieren.“

Dem ist wahrscheinlich so. Dennoch wird es Zeit brauchen, um das tragische Unglück umfassend aufzuarbeiten.