Hamburg. Noah B. (26) hatte mit Klimaklebern eine Hauptverkehrsstraße blockiert – und wurde bestraft. Nun verteidigte er die Aktion.

Warnwesten um den Leib, entschlossener Gesichtsausdruck – und um sich herum auf der Fahrbahn verteilt Brötchen und andere Lebensmittel: So saßen sie da, die Aktivistinnen und Aktivisten vom „Aufstand der letzten Generation“ und boten vielen anderen die Stirn. Den Autofahrern in Hamburg, denen sie nahe den Elbbrücken den Weg in die Stadt versperrten – und nach ihrer Überzeugung auch ganz allgemein jenen, die sich nicht entschieden gegen die Klimakrise einsetzen.

Dieser Protest vom 4. Februar vergangenen Jahres schlug Wellen. Zunächst einmal die unmittelbar spürbaren, als die Fahrzeuge sich mitten im morgendlichen Berufsverkehr stauten. Und später dann in juristischer Hinsicht, als die Aktion der Protestler ein Fall für die Gerichte in Hamburg wurde. In einem ersten Prozess dieser Art in Hamburg war im März ein 58-Jähriger zu einer Geldstrafe von 300 Euro wegen versuchter Nötigung verurteilt worden.

Letzte Generation: Aktivist blockierte mit Mitstreitern Straße in Hamburg

Mit Noah B. sitzt nun erneut ein Teilnehmer auf der Anklagebank, und wie anderen Teilnehmern wird ihm Nötigung vorgeworfen. „Essen retten – Leben retten“ lautete eine Botschaft auf Spruchbändern, die die Demonstranten bei sich trugen.

Er habe gemeinsam mit acht weiteren Personen Lebensmittel auf der Kreuzung Billhorner Brückenstraße/Billhorner Röhrendamm verteilt und sich mit seinen Mitstreitern so auf die Straße gesetzt, dass Fahrzeuge nicht mehr passieren konnten, wirft die Staatsanwalt dem 26-Jährigen vor.

Letzte Generation in Hamburg: Einige Protestler klebten sich auf Straße

Durch die Blockade des morgendlichen Berufsverkehrs, in der er und die anderen ein „unüberwindbares Hindernis für die nachfolgenden Autos“ gewesen seien, habe der Angeklagte größtmögliche Aufmerksamkeit für die Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ erregen wollen, so die Anklage. Einige andere aus der Gruppe hätten sich mit den Händen auf der Fahrbahn festgeklebt.

Die Polizei Hamburg löste bei der Aktion im Februar die festgeklebten Personen von der Fahrbahn auf der Billhorner Brückenstraße.
Die Polizei Hamburg löste bei der Aktion im Februar die festgeklebten Personen von der Fahrbahn auf der Billhorner Brückenstraße. © Letzte Generation

Noah B. ist ein schmaler junger Mann, der von sich sagt, dass er sich um die Zukunft sorgt. Er habe an der Aktion teilgenommen, „um zu demonstrieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen für die ganzen globalen Krisen, die wir haben“. Als Beispiele nennt der 26-Jährige „die Klimakrise, die ökologische Krise, das Artensterben“ – alles gigantische Probleme, die „unsere Lebensgrundlage in Zukunft zerstören werden“, lautet seine düstere Prophezeiung.

Klimaaktivist – es gab schon eine Geldstrafe und einen Einspruch

Eigentlich hat Noah B. schon die strafrechtliche Quittung für sein Handeln bekommen. Das Amtsgericht erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl, also gewissermaßen ein Urteil ohne Hauptverhandlung. 40 Tagessätze zu 35 Euro hätte der junge Mann zahlen sollen.

Doch dagegen legte der 26-Jährige Einspruch ein. Vielleicht ist es sein Wunsch, einen Freispruch zu erreichen, der ihn dazu bewogen hat, sich unmittelbar vor Gericht zu verantworten. Vielleicht hat ihn auch dazu animiert, dass er sich und seine Motive ausführlich darlegen kann.

Laut Anklage begann die Blockade der fünfspurigen Straße an jenem Tag um 7.53 Uhr, nach rund 20 Minuten wurde sie durch die Polizei beendet. Nachdem die ersten Protestierer, die sich nicht festgeklebt hatten, durch Beamte von der Fahrbahn getragen worden waren, waren zunächst drei Fahrspuren wieder frei. Auf die Frage des Amtsrichters, ob er denn die Straße freigegeben hätte, wenn Einsatzfahrzeuge hätten passieren wollen, beteuert der Angeklagte: „Auf jeden Fall“!

„Auf jeden Fall“ hätte er Rettungsfahrzeuge passieren lassen

Er habe seinerzeit davon gehört, dass es den Protest geben solle, und sich dabei angeschlossen. Er selber sei nicht auf der Fahrbahn festgeklebt gewesen, habe sich schlicht auf eine der fünf Fahrspuren gesetzt, die stadteinwärts führen, eine Warnweste angezogen. Schon nach wenigen Minuten war seinerzeit die Polizei angerückt, die die Protestler von der Fahrbahn trug – Noah B. offenbar als einen der ersten.

Noah B. spricht von einem „psychologischen Problem“, dass „leider nur“ solch massive Proteste wahrgenommen würden. Sein Verteidiger argumentiert, dass „öffentlichkeitswirksam“ auf Themen aufmerksam gemacht werden müsse. Dann seien die Aktionen geeignet, „dazu beizutragen, dass sich der Druck auf die Politik erhöht, der Klimakrise entgegenzuwirken“.

Letzte Generation: Soll Druck auf die Politik erhöht werden?

Der Amtsrichter thematisiert, wie schwierig es sei, politische Ziele zu erzwingen. Es gelte darum, abzuwägen zwischen der Versammlungsfreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite darum, dass jemand durch Blockaden eine Art Zwang ausübe. Und hier spielt unter anderem eine Rolle, wie lange es insgesamt gedauert hat, bis sich an jenem Morgen der Stau aufgelöst hatte und die Autofahrer wieder ungehindert ihre Fahrt fortsetzen konnten.

Darüber gibt es im Prozess gegen Noah B. aus den Akten bislang keine eindeutigen Erkenntnisse. Nun sollen Zeugen gehört werden, die darüber Auskunft geben können. Dafür wird das Verfahren ausgesetzt. Zu einem neuen Termin sollen Zeugen geladen werden. Was sie aussagen werden, könnte wesentlich sein für den Ausgang des Prozesses – also Freispruch oder Verurteilung?

Was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat

Denn das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2011 entschieden, dass auch eine unangemeldete Blockade zunächst einmal unter die Versammlungsfreiheit fällt – und damit ein Grundrecht darstellt. Zur Nötigung und damit zur Straftat, so die obersten Richter, werde die Blockade erst, wenn sie „verwerflich“ ist, wie es juristisch heißt. Und ob eine solche Verwerflichkeit vorliegt, hängt auch davon ab, wie lange eine Blockade dauert.

Unterdessen fand am Mittwochnachmittag in Hamburg ein Protestmarsch als Folge der bundesweiten Razzien in zahlreichen deutschen Städten in der vergangenen Woche statt. Auf Bestreben der Staatsanwaltschaft München sowie dem Bayerischen Landeskriminalamt waren am vergangenen Mittwoch 15 Objekte in sieben Bundesländern durchsucht worden – darunter auch eine Anwaltskanzlei am Neuen Jungfernstieg und ein Objekt im Kreis Segeberg. Festnahmen gab es zwar keine – trotzdem gingen Aktivisten und Aktvistinnen der Letzten Generation am Mittwoch in 13 deutschen Städten auf die Straße.

Letzte Generation: Protestmarsch in Hamburg am Karolinenplatz

In Hamburg trafen sich Anhänger der Letzten Generation um 16.30 Uhr zu einem angekündigten, aber nicht angemeldeten Protestmarsch am Karolinenplatz. In Berlin wollten die Teilnehmenden im Anschluss ihrer Protestaktion einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt übergeben.

In dem Brief heißt es, dass jetzt der Moment gekommen sei, in dem die Regierung einen Gesellschaftsrat einberufen sollte. „Dieses Mittel ist europaweit erprobt, in elf unserer Nachbarländer gab es in den letzten Jahren nationale Räte mit ausgelosten Bürgern und Bürgerinnen zur Klimapolitik.“

Zum Schluss des Briefes heißt es, dass sich schon jetzt unzählige Menschen für weitere Sitzblockade-Trainings in der nächsten Woche angemeldet hätten: „Wir werden unseren Protest beenden, sobald, die Bundesregierung den Gesellschaftrat einberuft.“