Hamburg. Der 58-Jährige und seine Mitstreiter hatten 2022 die Billhorner Brückenstraße blockiert. Vor Gericht verteidigte er die Aktion.
Ein Vorankommen war unmöglich. Morgens in der Rushhour war eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt blockiert. Neun Frauen und Männer saßen auf der Billhorner Brückenstraße, drei von ihnen hatten sich sogar auf der Fahrbahn festgeklebt und sorgten dafür, dass der Verkehr auf fünf Fahrspuren stadteinwärts eine Weile lang komplett stillstand. Es war eine Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, illustriert auch durch Transparente, auf denen zu lesen war: „Essen retten – Leben retten.“
Vor dem Amtsgericht stellt sich angesichts der Aktion der Klimaschützer die Frage, wie weit aktiver und engagierter Protest gehen darf. Nicht so weit, wie es Aktivisten an jenem 4. Februar vergangenen Jahres trieben, meint jedenfalls die Staatsanwaltschaft. Deshalb muss sich jetzt einer der damaligen Protestler vor dem Amtsgericht verantworten.
Letzte Generation: Aktivist blockierte mit Lebensmitteln Verkehr
Der Vorwurf: Christian S. habe eine Nötigung begangen, als er seinerzeit mit acht weiteren Aktivisten Lebensmittel auf der Fahrbahn verteilte und die Frauen und Männer sich so auf die Straße setzten, dass Fahrzeuge nicht mehr passieren konnten. Die Kampagne sorgte bei vielen Verkehrsteilnehmern für erheblichen Unmut.
Doch der Angeklagte Christian S. verteidigt die Aktion. „Ich bin Ingenieur und Vater von drei Kindern“, beginnt der 58-Jährige seine Aussage. Er habe sich „schon immer für Naturschutz eingesetzt“, schließlich aber feststellen müssen, „wie wenig die Politik Klimaziele Ernst nimmt“, meint der Hamburger.
Er habe bei der Kampagne mitgemacht, „weil wir Probleme haben. Es gibt Gesetze, die dafür sorgen, dass wir mit Volldampf an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.“ Die Folgen der Erderwärmung seien mittlerweile für jedermann sichtbar. „Wir haben ein Riesenproblem, reagieren aber, als wäre es Pillepalle.“ Die Proteste müssten energischer werden. Selbst Luisa Neubauer und Greta Thunberg, Frontfrauen der Klimaschutzbewegung, hätten erkannt, so der Angeklagte, „dass das einfache Demonstrieren nichts bringt“.
Letzte Generation: Aktivist verteidigt Blockade vor Gericht
Nachdem er sich mit den anderen auf die Straße gesetzt hatte, sei er schließlich von der Polizei weggetragen worden. Das sei bereits nach wenigen Minuten passiert. Eigentlich sei die Kampagne darauf angelegt gewesen, deutlich länger zu dauern. „Das hängt immer davon ab, wie schnell die Polizei reagiert. Geplant waren 15 Minuten bis zwei Stunden.“ Aber auch so waren die Folgen für die Autofahrer erheblich. Wie die Polizei seinerzeit mitgeteilt hatte, staute sich der Verkehr auf einer Länge von fünf Kilometern.
„Teilweise mussten die Frauen und Männer weggetragen werden“, erinnert sich ein Polizeibeamter an seinen damaligen Einsatz. Zunächst hätten sie mit Streifenwagen die Teilnehmer von „Aufstand der letzten Generation“ gesichert. Einer ersten Aufforderung, die Fahrbahn zu verlassen, seien die meisten der Protestierer nicht nachgekommen. „Einige waren festgeklebt.“
Für jene Aktivisten musste damals ein Rettungswagen angefordert werden, um die Protestler durch den Einsatz von Lösungsmitteln von der Fahrbahn zu entfernen. Auf Nachfrage des Richters sagt der Zeuge, das Verhalten der Aktivisten sei insgesamt friedlich gewesen.
Angeklagter verteidigt Aktion: „Wir haben eine Notstandsituation"
Zwar seien bei der Aktion lediglich für rund 15 Minuten die Fahrspuren komplett blockiert gewesen, fasst der Staatsanwalt in seinem Plädoyer zusammen. Und entscheidend sei nicht, ob so eine Kampagne „gesellschaftlich angezeigt ist“. Relevant sei unter anderem, dass es sehr viele Betroffene, nämlich Autofahrer im Stau, gegeben habe. Also sei Christian S. zu verurteilen.
Der Verteidiger indes beantragt Freispruch. Und in seinem letzten Wort kämpft der Angeklagte erneut für seine Intention. „Wir haben eine Notstandsituation“, meint der 58-Jährige. Aus Verzweiflung würden er und Gleichgesinnte Aktionen durchführen, „um dem Klima die Aufmerksamkeit zu widmen, die notwendig ist. Wir können nicht so weitermachen wie bisher“.
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Letzte Generation: Aktivist zu Geldstrafe verurteilt
Am Ende verhängt der Amtsrichter eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu zehn Euro für den aktuell arbeitslosen Angeklagten. Entscheidend sei unter anderem die Frage, ob die Aktion geeignet gewesen ist, die angepeilten Ziele zu erreichen. Zwar gebe es tatsächlich die Gefahr einer Klimaerwärmung, aber die Gefahren seien auch anders abwendbar als durch entsprechende Proteste, bei denen der Straßenverkehr behindert wird. „Und wir leben immer noch“, so der Richter.
Weil die Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ „auf Stunden angelegt“ gewesen sei und es sehr viele Betroffene gegeben habe, habe sich der Angeklagte der versuchten Nötigung schuldig gemacht. Aber so viel sei deutlich geworden, betont der Vorsitzende: Christian S. habe an der Kampagne „nicht aus Spaß mitgemacht. Sie haben ein Anliegen.“
„Wir werden weitermachen“, kündigt Christian S. nach dem Urteil an. „Wir werden weiter die Alarmsirene spielen. Wir zeigen den Politikern, dass sie bei der Aufgabe, unser Leben zu schützen, versagen.“