Hamburg. Jahrelang wurde der Hitzeaktionsplan vom Senat vertrödelt. Dabei geht es um Menschenleben. Jetzt legt man doch los – der Start war absurd.

Eigentlich war das eine harmlose und dezente Aktion. Als die Abgeordneten der Bürgerschaft am Mittwoch an ihre Plätze im Plenarsaal kamen, sollten sie, ebenso wie Senatsmitglieder auf ihrer Bank, dort jeweils einen kleinen Schwamm vorfinden, versehen mit einer Banderole und der Forderung: „Hamburg zur Schwammstadt machen!“

„Die Folgen der Klimakrise werden gravierender und in einer stark versiegelten Stadt wie Hamburg immer deutlicher spürbar“, teilte Christiane Blömeke parallel mit. Die ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen ist mittlerweile Landesvorsitzende der Umweltorganisation BUND, die hinter der Aktion steckte. Eine Schwammstadt sei in der Lage, überflüssiges Wasser zu speichern und es nach und nach an die Umgebung abzugeben, „das stellt einen wichtigen Schutz gegen Extremwetterereignisse wie Hitze und Starkregen dar“, so Blömeke, die damit darauf hinwies, dass es das im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarte Entsiegelungsprogramm nach mehr als drei Jahren Regierungszeit „noch immer nicht“ gebe.

Einen Plan gegen die Hitzewellen hat Hamburg immer noch nicht

Obwohl die Schwämme gar nicht direkt vom BUND und Blömeke verteilt worden waren, sondern vom aktuellen Parlamentarier Stephan Jersch (Linke), nahm man im Präsidium daran Anstoß und ließ die kleinen Wasserspeicher noch vor Sitzungsbeginn wieder einsammeln. Die Hausordnung der Bürgerschaft untersage „demonstrative Handlungen“, hieß es auf Nachfrage.

Dabei hätten sie perfekt zur kurz darauf folgenden Debatte über einen Antrag von SPD und Grünen gepasst: „Folgen der Klimakrise begegnen – Hitzeaktionsplan für Hamburg aufstellen“, lautete dessen Forderung. Und die hatte eine kuriose, ja fast absurde Vorgeschichte.

Schon 2017 forderten Bund und Länder die Erstellung von Hitzeaktionsplänen

Schon im März 2017 – vor mehr als sechs Jahren! – hatte eine Bund-Länder-Gruppe namens „Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels“ unter der Ägide des Umweltministeriums „Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen“ veröffentlicht. Ein Ratschlag lautete: Auf Landesebene sollte jeweils eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet werden, „beispielsweise in einer Gesundheitsbehörde“.

Dass die auch in Norddeutschland immer häufigeren und immer heftigeren Hitzewellen insbesondere für ältere Menschen eine enorme Belastung sind, war schon damals nicht neu. In Hamburg tat sich in der Sache jedoch erst mal – nichts.

20.000 Hitzetote in drei Sommern – die Länder sollten endlich handeln

Es vergingen dreieinhalb Jahre, bis im Herbst 2020 die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder offiziell beschlossen, sie hielten „die Erstellung von Hitzeaktionsplänen innerhalb eines Fünfjahreszeitraums für erforderlich“. Denn allein in den drei heißesten Sommern seit 2003 seien insgesamt fast 20.000 Menschen in Deutschland an den Folgen der Hitze gestorben.

Des einen Freud, des anderen Leid: Während viele Hamburger im Sommer an den Elbstrand bei Övelgönne strömen, setzen vor allem älteren Menschen die tropischen Temperaturen stark zu.
Des einen Freud, des anderen Leid: Während viele Hamburger im Sommer an den Elbstrand bei Övelgönne strömen, setzen vor allem älteren Menschen die tropischen Temperaturen stark zu. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Spätestens jetzt machten sich viele Städte, von Köln über Mannheim bis Worms, auf den Weg und erstellten ihre Pläne gegen die zunehmende Hitze. Bayern erarbeitete einen Leitfaden: „Hitzeaktionspläne in Kommunen“. Und Hamburg? Tat weiter nichts. Und ließ sich auch nicht drängen.

Rot-Grün lehnt mehrfach CDU-Anträge ab, Pläne gegen die Hitze zu erstellen

Als die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft im April 2022 die Aufstellung eines Hitzeaktionsplan beantragte, lehnten SPD und Grüne das ab – Die Linke übrigens auch. Sie regte aber an, den Antrag wenigstens im Fachausschuss zu beraten, doch auch das lehnte Rot-Grün ab.

Was folgte, war ein Weckruf der Natur: Am 20. Juli zeigte das Thermometer an der Messstelle Hamburg-Neuwiedenthal 40,1 Grad – der bundesweit höchste Wert im Jahr 2022. Vier Wochen später erneuerte die CDU ihren Antrag in der Bürgerschaft, dieses Mal mit vielen konkreten Vorschlägen für einen Hitzeaktionsplan, auch Die Linke stimmte dem zu. Doch Rot-Grün blieb beharrlich: abgelehnt.

Anfragen des Abendblatt bleiben unbeantwortet, Wissenschaftler alarmiert

Im Oktober fragte das Abendblatt daraufhin schriftlich in der Sozial- und Gesundheitsbehörde nach, wann denn mit so einem Plan zu rechnen sei. Antwort: keine. Zwei Wochen später die schriftliche Nachfrage – wieder keine Antwort.

Dafür meldete sich im November 2022 der Hamburger Klimabeirat zu Wort, der als unabhängiges wissenschaftliches Gremium den Senat berät: Im Klimaplan der Hansestadt seien „wichtige Aspekte der Klimaanpassung wie die Hitzevorsorge … bislang unterrepräsentiert“, so die Wissenschaftler, die den „dringenden Appell“ an den Senat richteten, auch die Anpassung an Folgen des Klimawandels „deutlich zu verstärken“.

Rot-Grün will den Hitzeaktionsplan „weiter vorantreiben“ – dabei ist noch nichts passiert

Im Dezember hakte das Abendblatt erneut in der zuständigen Behörde nach, und diesmal, immerhin, antwortete eine Sprecherin kurz vor Weihnachten schriftlich: „Leider können wir derzeit noch keine inhaltlichen Aussagen treffen.“ Der Beschluss der Gesundheitsminister aus 2020, binnen fünf Jahren Hitzeaktionspläne zu erarbeiten, werde aber umgesetzt.

Und nun also dieser Antrag von SPD und Grünen, in dem es heißt, der Senat werde ersucht „die Entwicklung eines Hitzeaktionsplans weiter voranzutreiben“. Weiter? Dabei räumen sogar die Regierungsfraktionen einleitend ein: „Hamburg hat sich Anfang 2023 auf den Weg gemacht, mit dem Prozess der Aufstellung eines Hitzeaktionsplanes zu starten.“ Eine hübsche Verklausulierung für: Noch ist nix passiert.

„Frühestens Mitte 2024“ soll der Plan gegen die Hitze nun stehen

Tatsächlich heißt es nun aus der Gesundheitsbehörde, dass der Plan „in der Entstehung“ sei. Man gehe „derzeit von einer Fertigstellung frühestens Mitte 2024 aus“ – wobei „derzeit“ und „frühestens“ nichts Gutes erahnen lassen. Der Antrag lässt dem Senat vorsichtshalber bis zum 30. September 2024 Zeit, zu berichten. Anderthalb Jahre.

Wobei sich ohnehin die Frage stellt: Wenn denn nun schon endlich an Plänen gegen die Hitze gearbeitet wird: Warum braucht es dann noch eine Aufforderung durch die Regierungsfraktionen? Offiziell heißt es, man habe auf „eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit“ drängen wollen, etwa die Einbeziehung der Bezirke und der Seniorenverbände. Darauf wäre im Senat sonst wohl niemand gekommen. Inoffiziell wird immerhin auch bei Rot-Grün eingeräumt, dass man sich auch etwas mehr Tempo vom Senat hätte vorstellen können.

Hatten die Behörden schlicht andere Sorgen – Stichwort Corona?

Eine mögliche Erklärung: Vor allem die Sozial- und Gesundheitsbehörde hatte 2020 und 2021 ganz andere Sorgen, Stichwort Corona. Noch ist auch offen, ob sie am Ende beim Thema Hitze wirklich den Hut auf haben wird. Denn natürlich sind mindestens die Umwelt- und die Stadtentwicklungsbehörde sowie die Bezirke ebenso gefordert, etwa wenn es darum geht, mehr Straßenbäume aufzustellen (die in Hamburg seit Jahren weniger statt mehr werden) oder eben Flächen zu entsiegeln. Doch aus diesen Stellen waren kaum koordinierte Aktivitäten in Sachen Hitzebekämpfung zu vernehmen.

In der Opposition fühlte man sich angesichts des rot-grünen Antrags daher verschaukelt. Hamburg sei bei dem wichtigen Thema nur auf der Standspur unterwegs, kritisierte Stephan Jersch in der Bürgerschaft. Dass Rot-Grün zweimal CDU-Anträge ablehnte, um dann einen davon als „Kopiervorlage“ zu nutzen, sei kein guter Umgang mit dem Parlament, so der um Sachlichkeit bemühte Umweltexperte der Linken.

CDU und Linke sind fassungslos, dass dieses wichtige Thema so verschlafen wurde

Deutlicher wurde Sandro Kappe, der Autor der CDU-Anträge: „Ich bin wirklich fassungslos, wie man dieses wichtige Thema so verschlafen hat“, sagte er dem Abendblatt. Im Parlament kritisierte er: „Wir haben drei Jahre verloren.“ Schließlich sei seit 2020 klar, dass etwas getan werden müsse. Jetzt reiche Rot-Grün einen „Alibiantrag“ ein, in dem „nicht ein Cent“ an Mitteln bewilligt werde.

Ganz so wollte man das im Regierungslager allerdings nicht stehen lassen. „Keineswegs“ fange mal bei null an, betonte die SPD-Seniorenpolitikerin Britta Schlage. Auch die Gesundheitsbehörde verweist auf Nachfrage auf einige Maßnahmen, die auch ohne Hitzeaktionsplan schon laufen. So werde für den kommenden Sommer ein „Hitze-Telefon“ für die Bürger (040 115) eingerichtet, im Internet gebe es Tipps und Warnhinweise, und zu Beginn der „Schönwetter-Zeit“ gehe ein Info-Schreiben an Alten- und Pflegeheime raus.

Dirk Kienscherf (SPD): Bei der Stadtentwicklung wird sehr wohl auf Hitze geachtet

Auch bei der Stadtentwicklung spiele das Thema schon lange eine Rolle, betont SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf und verweist auf Aspekte wie Kaltluftschneisen, Lüftungskonzepte und Begrünung von Dächern und Innenhöfen. So habe man unter anderem darauf gedrängt, bei der Umgestaltung des Burchardplatzes im Kontorhausviertel mehr Bäume aufzustellen.

Nur: Koordiniert und mit Nachdruck angegangen wird das Ganze bislang nicht. Müsste es aber, das zeigt der „Klimareport Hamburg“ des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Demnach ist es bei uns seit 1881 im Mittel um etwa 1,7 Grad wärmer geworden; bis 2050 sei eine weitere Erwärmung um im Mittel 1,0 bis 1,4 Grad zu erwarten.

Sozialverbands-Chef: „Schlechter Scherz“, dass Rot-Grün jetzt erst loslegt

Besonders gravierend ist die Entwicklung bei den Sommertagen (mindestens 25 Grad Höchsttemperatur): Deren Zahl stieg in Hamburg von durchschnittlich 21,2 Tagen pro Jahr im Zeitraum 1961 bis 1990 auf 31,6 Tage von 1991 bis 2020 – also um über zehn Tage. „Heiße Tage“ mit einer Höchsttemperatur von mindestens 30 Grad gab es in den Jahren 2018 und 2019 laut DWD insgesamt 31 – normal wären neun gewesen. Im August 2020 stieg die Temperatur in der Hansestadt sogar acht Tage in Folge auf über 30 Grad – so oft wie nie zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881.

Einer, dem das schon seit Jahren Sorgen bereitet, ist Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbands SoVD. „Gerade älteren Menschen macht Hitze sehr zu schaffen“, weiß er. Auch Obdachlose, Bedürftige und kleine Kinder seien besonders gefährdet. Dass SPD und Grüne jetzt einen Hitzeaktionsplan anstoßen und dem Senat bis September 2024 Zeit geben, klinge für ihn „wie ein schlechter Scherz. Der Plan müsste schon lange fertig und in der Umsetzung sein.“

Hamburg hat 46 öffentliche Trinkbrunnen – das vergleichbar große Wien 1300

Wicher drängt vor allem auf mehr öffentliche Trinkwasserspender und verweist auf Wien, wo es rund 1300 solcher Trinkbrunnen gebe. Im vergleichbar großen Hamburg sind es dagegen 46 … In einer Stadt mit fast zwei Millionen Menschen so einen Brunnen zu finden gleiche „einem Sechser im Lotto“, kritisiert der SoVD-Chef. Trinkbrunnen müsse es an allen öffentlichen Plätzen, Parks, in den Einkaufszonen und anderen zentralen Stellen in den Stadtteilen geben.

Praktisch: Der neue Trinkbrunnen von Hamburg Wasser, der erstmals im Wilhelmburger Inselpark aufgestellt wurde, ist außer für Menschen auch für Tiere wie Hunde geeignet.
Praktisch: Der neue Trinkbrunnen von Hamburg Wasser, der erstmals im Wilhelmburger Inselpark aufgestellt wurde, ist außer für Menschen auch für Tiere wie Hunde geeignet. © Hamburg Wasser | Joerg Boethling

Immerhin: Die Stadtreinigung baut die Zahl der Wasserspender an ihren öffentlichen Toiletten kontinuierlich aus und steht jetzt bei 41. Und Hamburg Wasser hat die Zahl seiner Trinkbrunnen kürzlich ebenfalls gesteigert – von vier auf fünf …

Schwämme erreichten die Abgeordneten auf Umwegen

Das städtische Unternehmen hat lange Prototypen getestet und kürzlich dann einen im Inselpark in Wilhelmsburg in Betrieb genommen – der kurz darauf bereits Vandalismus-Schäden aufwies. Nicht sehr ermutigend – dennoch sollen hamburgweit fünf weitere folgen, zudem sollen an heißen Tagen mobile „Pop-up-Brunnen“ eingesetzt werden.

Von einer flächendeckenden Bereitstellung von Trinkwasser ist Hamburg aber so weit entfernt wie von dem Ziel, Schwammstadt zu werden. Apropos: Stephan Jersch hat die Schwämme am Ende doch noch an die Abgeordneten verteilt – indem er sie in ihre Postfächer legte. Das war erlaubt, immerhin. Also: Schwamm drüber.