Hamburg. Online-Atlas und Festival verorten Bücherverbrennung zwischen Ifflandstraße und Sechslingspforte. Ein Historiker weiß es besser.

Am 15. Mai 1933 verbrannten Hamburger Studenten, die zumeist der Sturmabteilung (SA) angehörten, demonstrativ Bücher verfemter Autoren und Autorinnen. Weil sie damals bei der ersten Aktion am Kaiser-Friedrich-Ufer wohl mehr Publikum erwartet hatten, riefen die NS-Organisationen zu einer weiteren Bücherverbrennung auf – dieses Mal am Lübeckertorfeld. Zu dieser Veranstaltung am 30. Mai kamen Tausende.

Das Lübeckertorfeld ist schon lange aus dem Stadtbild verschwunden. Durchgesetzt hat sich – vor allem bei Institutionen, die an die Bücherverbrennungen erinnern wollen –, dass es sich dabei um das Grundstück handelte, auf dem seit rund 50 Jahren die Alster-Schwimmhalle steht, die gerade saniert wird.

Bücherverbrennung: Schwimmoper-Gelände galt irrtümlich als Tatort

So ist im Online-Atlas „Verbrannte Orte“, der deutschlandweit rund160 Schauplätze von Bücherverbrennungen aufgezeigt, das Eckgrundstück zwischen Ifflandstraße und Sechslingspforte markiert und mit einem Foto der Schwimmhalle versehen. Und auch beim aktuellen Literaturfestival „Hamburg liest verbrannte Bücher“, das noch bis zum 10. Juni läuft, gilt das Areal als Schauplatz des Nazi-Vergehens.

Historiker Michael Joho deckte Irrtum um den Platz der Bücherverbrennung auf.
Historiker Michael Joho deckte Irrtum um den Platz der Bücherverbrennung auf. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Der Hamburger Historiker und Autor Michael Joho, der sich unter anderem im Einwohnerverein und in der Geschichtswerkstatt St. Georg engagiert, ist jedoch überzeugt: „An der Ifflandstraße wurden nie Bücher verbrannt.“ Diese Falschaussage mache seit ein paar Jahren die Runde. Da sie jetzt auch auf dem Literaturfestival aufgegriffen werde, müsse sie endlich richtiggestellt werden.

Verein „Verbrannte Orte“: Fehler soll korrigiert werden

„Die zweite Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 fand auf dem Lübeckertorfeld statt“, bestätigt Joho, betont aber: „Dass es sich dabei um das Gelände der heutigen Schwimmoper handelte, ist falsch. Das Lübeckertorfeld lag zwischen der Wallstraße und der Straße Berliner Tor.“ Und damit auf der anderen Seite des heutigen Verkehrsknotenpunkts, an dem Sechslingspforte, Lübeckertordamm, Wallstraße und Lübecker Straße aufeinandertreffen.

Jan Schenck vom Verein „Verbrannte Orte“
Jan Schenck vom Verein „Verbrannte Orte“ © Chris Grodotzki / jib collective | Chris Grodotzki / jib collective

Der in Hamburg aufgewachsene Fotograf Jan Schenck, der den Verein „Verbrannte Orte“ und den Online-Atlas ins Leben gerufen hat, räumt ein: „Es kann sein, dass mir beim Übereinanderlegen der alten und der aktuellen Karte ein Fehler passiert ist.“ Er werde das prüfen und korrigieren. „Wir versuchen natürlich, so exakt wie möglich zu sein.“

Ausstellung zur Bücherverbrennung in Hamburg auf Verkehrsinsel

Auch in Erfurt habe er kürzlich im Online-Atlas den Ort einer Bücherverbrennung nach dem Hinweis einer Historikerin um 200 Meter verlegt. Seine Fotos dagegen sollten nicht die „genaue Lage der Scheiterhaufen“ darstellen, sondern eher, wie sich das Umfeld verändert habe.

Kartenausschnitt aus dem Falk-Plan vom Spätsommer 1945. Das Lübeckertorfeld befand sich zwischen der Straße Lübecker Thor (heute Berliner Tor) und der Wallstraße. Die Straße Am Lämmermarkt existiert heute in dieser Form nicht mehr, dort erheben sich die Gebäude der HAW.
Kartenausschnitt aus dem Falk-Plan vom Spätsommer 1945. Das Lübeckertorfeld befand sich zwischen der Straße Lübecker Thor (heute Berliner Tor) und der Wallstraße. Die Straße Am Lämmermarkt existiert heute in dieser Form nicht mehr, dort erheben sich die Gebäude der HAW. © Falk | Falk

Die Ausstellung mit großen Bild-Tafeln lässt sich natürlich nicht so einfach versetzen. Sie befindet sich allerdings auch nicht auf dem Grundstück der Alsterschwimmhalle, sondern auf einer Verkehrsinsel zur Wallstraße hin – und damit ein Stück näher am tatsächlichen Schreckensort.

Bücherverbrennung: Crowdfunding für Projekt „Verbrannte Orte“

Schenck hatte für das Projekt „Verbrannte Orte“ vor zehn Jahren eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Der Verein will mithilfe von zivilgesellschaftlichen Akteuren, lokalen Initiativen und Geschichtswerkstätten die lokale Erinnerungsarbeit fördern. Fotos sollen zeigen, wie die jeweiligen Orte heute aussehen.

Auf die Idee war der 41-Jährige gekommen, nachdem er erfahren hatte, dass Nazis am Kaiser-Friedrich-Ufer (wo er zur Schule gegangen ist) und am Lübeckertorfeld (wo er – vermeintlich – als Kind schwimmen war) Bücher verfemter Schriftsteller hatten verbrennen lassen.

Hamburger Fotograf wollte an Orte von Bücherverbrennung erinnern

„Ich wollte etwas schaffen, das an alle Orte von Bücherverbrennungen erinnert“, so Schenck. Mittlerweile wird er von Bibliotheken, Stadtarchiven, Gedenkstätten und Presse angefragt und war auch in diesem Jahr wieder auf der Leipziger Buchmesse präsent. Mit dem Buch „Verbrannte Orte“, das im März herausgekommen ist.