Hamburg. Mitte-Bezirksamtsleiter Neubauer (SPD) über Verelendung, die Lage am Hauptbahnhof und wie er sich die City der Zukunft vorstellt.
Wer durch die Hamburger Innenstadt geht, kann sie nicht mehr übersehen: Selten waren so viele Obdachlose in der City anzutreffen. Sie campieren in Haus - und Geschäftseingängen, sitzen an den Straßen und betteln, suchen Lebensmittel in Mülleimern oder schieben ihre Habseligkeiten in alten Einkaufswagen über Bürgersteige.
Als Bezirksamtsleiter von Mitte ist Ralf Neubauer (SPD) auch für diesen Bereich verantwortlich. Das Abendblatt hat ihn zu einem exklusiven Innenstadt-Interview getroffen. Es geht um Obdachlosigkeit, Busse auf der Mönckebergstraße, den Hauptbahnhof, Autoverkehr – und wie man die City auch nach Ladenschluss beleben kann.
Obdachlose in Hamburg: Deutlich mehr Bettler in der City
Auch Jörn Sturm aus der Geschäftsführung des Straßenmagazins „Hinz&Kunzt“ weiß von 3000 Menschen, die sich zuletzt für das Winternotprogramm hatten registrieren lassen. „Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage ist mit einem deutlichen Zuwachs an Menschen zu rechnen, die sich das Leben schlicht nicht mehr leisten können“, befürchtet Sturm. „Hinz&Kunzt“ fordert für ganz Hamburg ein niedrigschwelliges „Housing First“-Konzept – und damit die Ausweitung des Hamburger Pilotprojekts. Selbst wenn mehr Wohnungen gebaut würden als aktuell, sei „der Markt für die Obdachlosen nicht erreichbar“.
Amtsleiter Neubauer lobt „Housing First“. Finnland sei hier ein Vorbild. Dort bekämen Betroffene, ohne Voraussetzungen erfüllen zu müssen, Wohnraum gestellt. „Wenn sie erst mal ein Dach über dem Kopf haben, lassen sich auch alle anderen Probleme leichter lösen. Das ist in einem angespannten Wohnungsmarkt eine besondere Herausforderung, aber der richtige Ansatz“, sagte Neubauer. Das Interview.
Hamburger Abendblatt: Gefühlt ist die Zahl der Obdachlosen und Bettler in der Innenstadt mehr geworden. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ralf Neubauer: Auf jeden Fall ist sie deutlich sichtbarer geworden. Wir gehen aktuell von 2000 obdachlosen Menschen in Hamburg aus, und die Problemlagen sind vielschichtig. Die Verelendung, die wir hier teilweise sehen und erleben, treibt mich um. Ich sehe hier absoluten Handlungsbedarf.
Was halten Sie für sinnvoll?
Neubauer: Was keinen Sinn macht, ist, Obdachlose zu verdrängen. Das löst das Problem nicht, sondern verlagert es höchstens an andere Orte und wird auch den Betroffenen nicht gerecht. Es gibt von der Stadt finanzierte Straßensozialarbeit, die sich niedrigschwellig und im direkten Gespräch um jeden einzelnen Obdachlosen kümmert. Darüber hinaus gibt es spezifische Beratungsangebote vor allem für ost- und südosteuropäische Obdachlose, die häufig mit falschen Erwartungen hierher- gekommen sind. Diese Angebote müssen wir ständig überprüfen, ob sie ausreichen und ihr Ziel erreichen.
Das Problem Obdachlosigkeit muss aber grundsätzlich gelöst werden. Finnland ist mit seinem „Housing First“-Modell, das die Sozialbehörde nun auch als Modellprojekt in Hamburg erprobt, sicher ein Vorbild. Dort bekommen Betroffene, ohne dass sie vorher Voraussetzungen erfüllen müssen, Wohnraum zur Verfügung gestellt. Wenn sie dann erst mal ein Dach über dem Kopf haben, lassen sich auch alle anderen Probleme leichter lösen. Das ist natürlich in einem angespannten Wohnungsmarkt eine besondere Herausforderung, aber der richtige Ansatz.
Wie sehen Sie die Situation am Hauptbahnhof? Auch dort sind Trinkergruppen präsent, und das Thema Sauberkeit ist ein Problem.
Neubauer: Der Hauptbahnhof ist eine wichtige Visitenkarte für die Stadt. Wir sprechen dazu in Kürze auch behördenübergreifend auf Leitungsebene über die aktuelle Situation, die kann uns nicht zufriedenstellen.
Das Herzstück der Stadt ist der Rathausmarkt. Anspruchsvolle Gastronomie sucht man hier vergebens, stattdessen gibt es in den grünen Pavillons Bratwürstchen und Bier. Was wünschen Sie sich für diesen Ort?
Neubauer: Der Rathausmarkt ist die erste Adresse in der Stadt. Bei der Nutzung ist aus meiner Sicht auf jeden Fall noch Luft nach oben. Nehmen wir zum Beispiel den Rathausmarkt in Bremen. Der ist durch verschiedene Angebote an Außengastronomie deutlich belebter. Das lässt sich vermutlich nicht eins zu eins auf Hamburg übertragen, aber mehr an adäquaten Nutzungen auch abseits einzelner Veranstaltungen würde ich mir sehr wünschen.
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Der Busverkehr war temporär wegen Bauarbeiten aus der Mönckebergstraße verbannt. Jetzt fahren hier wieder Busse, und damit ist die Haupteinkaufsstraße weit von einer Flaniermeile entfernt. Was würden Sie sich für diesen Bereich wünschen?
Neubauer: Wenn es dauerhaft gelingt, den Busverkehr aus der Mönckebergstraße herauszunehmen, würde das die Aufenthaltsqualität immens steigern. Dann könnte man diese breite Straße wirklich ganz anders nutzen und auch noch mehr Platz für Außengastronomie schaffen. Natürlich ist das aber ein Thema, welches vor allen Dingen in der Verkehrsbehörde bewegt wird, denn die Busse müssten ja entsprechend umgeleitet werden, und trivial ist das nicht.
Neubauer: Ich war übrigens sehr angetan von den Gorilla-Skulpturen, die temporär auf der Mönckebergstraße zu sehen waren. Solche auch umstrittenen Aktionen im öffentlichen Raum sind eine Bereicherung und Belebung für die Innenstadt.
Wie sehen Sie das Thema Autos in der Innenstadt?
Neubauer: Das Ziel ist eine autoarme Innenstadt. Die City muss für alle gut erreichbar sein, aber es gibt durchaus Bereiche, die nur gewinnen würden, wenn sie für den Autoverkehr gesperrt wären. Ich habe noch nie verstanden, warum man mit dem Auto beispielsweise am Gertrudenkirchhof vorbeifahren können muss.
Das macht ja auch etwas mit der Aufenthaltsqualität dieses Platzes, und die Qualität unserer Plätze ist bei der Weiterentwicklung der Innenstadt zu Recht als zentrales Thema erkannt worden.
Wenn die Geschäfte geschlossen haben, ist nur noch wenig los in der Innenstadt. Wie kann man die City auch nach Ladenschluss und an den Sonn- und Feiertagen mehr beleben?
Neubauer: Wir brauchen einen bunten Mix an verschiedensten Nutzungen in der Innenstadt, unter anderem mehr Wohnen, auch wenn das keine dominierende Nutzung werden wird. Das heißt, wenn neue Bauvorhaben umgesetzt werden, dann sollte immer auch Wohnraum geschaffen werden. Wenn wieder mehr Menschen in das Herz der Stadt ziehen, wird es automatisch belebter. Zum Beispiel beim Burstah Quartier und beim Deutschlandhaus am Gänsemarkt wird das ja bei den aktuellen Projektentwicklungen bereits umgesetzt. Auch an der Straße Neß auf dem ehemaligen Commerzbank-Areal werden rund 100 Wohnungen entstehen.
Ich gehe davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren noch rund 1000 weitere Wohnungen im Innenstadtbereich entstehen können. Ich würde es aber auch begrüßen, wenn wir auf Flächen in der Innenstadt mehr kulturelle Nutzungen haben würden. Also zum Beispiel ein Kabarett oder kleine Theaterbühnen, das sorgt auch für mehr Frequenz in den Abendstunden. Und wir können sicher auch noch mehr spannende Gastronomieprojekte brauchen.
Seit Juni gibt es mit Professor Elke Pahl-Weber eine vom Senat eingesetzte Innenstadtkoordinatorin. Brauchen wir eine solche Stelle?
Neubauer: Ja, das war in meiner Wahrnehmung ein großer Wunsch vieler wichtiger Akteure in der Innenstadt und wird flankiert vom Runden Tisch Innenstadt beim Ersten Bürgermeister. Die Weiterentwicklung der Innenstadt ist eine große Aufgabe, die braucht eine Koordination, und Frau Pahl-Weber bringt eine große Expertise für diese Aufgabe mit, ich arbeite gerne mit ihr zusammen.