Hamburg. Frauen an Melkmaschinen, Babys auf dem Weg zum Schredder – Deutschlands beliebteste Attraktion für Touristen provoziert maximal.

Babys, die auf Förderbändern zum Schreddern in den Tod rutschen, nackte Frauen, deren Brüste an Melkmaschinen angeschlossen sind, Haufen nackter Menschen in einem vergitterten Viehtransporter, Menschen in einer Mastanlage – vier Plakatmotive, die polarisieren. Initiiert von Deutschlands beliebtester Touristenattraktion, dem Miniatur Wunderland in Hamburg.

Provokationen, die die Debatten um Tierschutz, artgerechte Haltung, den fehlenden Respekt vor der Schöpfung, die industrielle Landwirtschaft und das Verhalten der Verbraucher ins Visier nehmen. Es ist wahrscheinlich die provokanteste Aktion des Miniatur Wunderlandes seit der Eröffnung im August 2001.

Miniatur Wunderland erhält auch hasserfüllte Posts

"Die Plakate stehen bei uns im Museum, wie Werbetafeln neben der Straße, gut sichtbar, aber eben in Miniatur Wunderlandgröße", sagt Frederik Braun, einer der beiden Macher des Museums in der Hamburger Speicherstadt. "Die Reaktionen der Leute waren anfangs sehr positiv, vielleicht 90 pro und 10 kontra. 'Ihr legt den Finger in die Wunde', fanden die weitaus meisten. Dann reagierte der Bauernverband und ließ seinen Shitstorm über uns hinweg fegen." Braun sprach von fast hasserfüllten Posts. "Das ist schon extrem, und es macht uns ratlos", sagte Braun.

"Nie wieder Wunderland", "Thema verfehlt", "Frei von Sachkenntnis", "Bloß auf fahrende Züge aufgesprungen", "Verletzend", lauten die Kommentare. Viele Landwirte sehen sich hingehängt und pauschal verunglimpft. Andere reagieren zynisch: "Ich glaube, ich esse Lamm heute abend ..." Oder: "Ich esse nur Fleisch aus Massentierhaltung. Ich will ja nicht, dass ein glückliches Tier für mich stirbt."

Der Provokateur fühlt sich falsch verstanden

Der Provokateur Braun fühlt sich missverstanden: "Wir wollten die Bauern nicht angreifen und in die Ecke drängen", sagt Braun. "Wir wollten ihnen eher helfen. Es ist doch der Verbraucher, der das Maß vorgibt. Wenn wir nicht umdenken und bereit sind, mehr Geld für landwirtschaftliche Produkte und eben besonderes Fleisch auszugeben, dann kann die Landwirtschaft ja gar nicht so produzieren, dass Tiere wie Lebewesen und nicht wie Gegenstände behandelt werden."

Die Grundsatzkritik der Bauern und Brauns Antwort

Die Bauernverbände haben im wesentlichen zwei Einwände. "Erstens: jeder Landwirt, der nach Recht und Gesetz handelt und seine Tiere hält, fühlt sich an den Pranger gestellt", sagt Michael Müller-Ruchholtz, stellvertretender Generalsekretär des Bauernverbands Schleswig-Holstein. "Zweitens: Der Vergleich Mensch-Tier ist grundsätzlich falsch gezogen. Wenn der Wolf ein Schaf reißt, ist das ok. Aber wenn es der Mensch macht, soll es unrecht sein? Dahinter steckt eine Täterethik, die wir nicht teilen können." Das Problem sei, dass die Menschen mittlerweile soweit von der Landwirtschaft entfernt seien, dass sie gar nicht mehr sehen, in welchem Spannungsfeld sich die Bauern bewegen. Es sei ebenso falsch wie ungerecht, "immer nur Bauern an den Pranger zu stellen".

Braun findet die Interpretation des Bauernverbandes einseitig. Sie spitze die Plakate auf eine Anklage einzig der Bauern zu, und das sei nicht sachgerecht. "Es sind alle Menschen gemeint, nicht nur eine einzige Berufsgruppe." Auch verstehe er die Schärfe der Reaktion nicht. "Das ist nicht sympathisch. Und unsympathisch 'rüberkommen ist unklug." Er habe schon lange Telefonate mit Vertretern des Bauernverbandes geführt. "Im direkten Gespräch ist es besser." Aber es sei doch eine scharfe Auseinandersetzung geblieben, an deren Ende kein Konsens herstellbar gewesen sei.

Versöhnliche Töne

Müller-Ruchholtz bleibt dabei: "Von uns wird kein Tier als Ding gesehen. Ohne Liebe zu den Tieren könnten Bauern ihren Job gar nicht durchhalten." Zugleich lobte er Braun für seine Diskussionsbereitschaft. "Er hat sich entschuldigt für die Verletzung unserer Gefühle, hat zugegeben, dass die Plakate vielleicht 'too much' gewesen sind. Auch hat er glaubwürdig gemacht, dass er die Verbraucher aufrütteln will." Müller-Ruchholtz bestand allerdings darauf, dass "dies nicht gelungen" sei. Außerdem möchte er, dass Braun noch "einen klarstellenden Post" auf die Internetseite des Museums stellt. Der Generalsekretär begrüßte es aber ausdrücklich, dass Braun die Einladung auf einen Hof angenommen habe, um sich die Massentierhaltung anzusehen und erklären zu lassen.

Frederik Braun: Wir würden es wieder machen

Es ist eine Komplexe Mischung politischer und fast philosophischer Motive, die die Modellbauer vom Miniatur Wunderland umtreiben. Der Umgang des Menschen mit sich selbst und der Schöpfung, Tierschutz, Ernährungsfragen, der Klimawandel. "Wir diskutieren in unserem Wunderland viele Stunden über diese Themen", sagt Braun. "Greta Thunberg hat viel in Bewegung gebracht", sagt Braun und: "Wir würden es wieder machen."

Vielleicht dann aber mit einem Zusatz wie: "Die Bilder richten sich an den Verbraucher, nicht an die Bauern. Die Plakate sollen nur uns als Menschheit anprangern, die wir uns über alles und alle hinwegsetzen." Die Brauns finden, dass wir umkehren müssen. Und das wollen sie auch sagen, die Popularität ihres Museums nutzen, um die Denkanstöße für ein Umdenken zu fördern oder vielleicht sogar zu setzen.

Gedanken über den Fleischverzehr machen

"Wir waren mit unseren drei Kindern in Neuseeland. Die Bauern dort können kaum verstehen, was wir mit unseren Tieren in unserer Landwirtschaft machen", sagt Braun. Man könne nicht alles auf einmal ändern. "Aber anfangen geht schon. Wir müssen Haltung gewinnen." Er selber kaufe fast alle Lebensmittel auf dem Wochenmarkt, bei kleinen Händlern und Erzeugern. "Aber das kann sicher nicht jeder bezahlen." Generell tue die Menschheit sich aber zu schwer mit den Themen Verzicht und Selbstbeschränkung.

"Es hat schon einen guten Sinn, wenn früher vom 'Sonntagsbraten' gesprochen wurde", sagt Braun. "Da haben die Menschen einmal in der Woche bewusst ein gutes Stück Fleisch gegessen und genossen." Das sei besser, als zu fast jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Fleisch zu verzehren, ohne dabei zu empfinden, was man tue.