Hamburg. Frank Jacob zog im Dezember vor zwölf Jahren ein – und sah den neuen Stadtteil inklusive Elbphilharmonie groß werden.
Manchmal stellen die Leute seltsame Fragen, findet Frank Jacob. Zum Beispiel, als alle von ihm wissen wollten, wie lange er denn nun bis zum nächsten Bäcker gehen müsse. So, als würde er auf dem Mars leben.
Dabei war er doch nur in die HafenCity gezogen. Doch das war für viele Menschen damals ungefähr dasselbe. Damals, das war im Dezember 2004, und Jacob war tatsächlich der Einzige, der die Frage nach dem Bäcker beantworten konnte – außer ihm lebte schließlich noch niemand in der HafenCity. Er war der Erste der inzwischen rund 2000 Bewohner des neuen Stadtteils.
Der 47 Jahre alte Manager lebt am Sandtorkai in einer rund 140 Quadratmeter großen Wohnung. Durch die Rundum-Panoramafenster hat er einen Premium-Blick auf den Traditionsschiffhafen, den Kaiserkai, die Magellan-Terrassen und natürlich auf seinen prominententesten Nachbarn: die Elbphilharmonie.
So geht’s zur Elbphilharmonie-Plaza
Als er 2004 einzog, war noch nicht entschieden, ob das Konzerthaus jemals kommen würde – und auch sonst war der Blick ein komplett anderer. Außer Elbe, Hafenbecken, Brachland und Baustellen war da nichts. „Man brauchte schon ein gutes Vorstellungsvermögen, um sich für die HafenCity zu entscheiden“, so Jacob. Doch das hatte er.
Nachdem der gebürtige Öjendorfer in Studienzeiten einige Jahre außerhalb Hamburgs gelebt hatte, kehrte er mit Mitte 30 zurück in die Heimat und ging hier auf Wohnungssuche. Dass er in der HafenCity landete, war im Grunde Zufall. Ein Plakat mit dem Hinweis auf die neuen Wohnungen am Sandtorkai hatten ihn neugierig gemacht. Ein knappes halbes Jahr später zog er ein.
Und das fühlte sich gut an. „Mich hat es angesprochen,Teil von etwas Neuem zu sein. Außerdem wollte ich am Wasser leben. Und andere Alster- oder Elblagen erschienen mir damals zu arriviert und auch irgendwie zu ,fertig‘ für mich.“
Panorama: 360-Grad-Rundgang-Elbphilharmonie:
Bis sich die HafenCity auch nur ansatzweise fertig anfühlte, vergingen Jahre. Allein bis die ersten Nachbarn einzogen, dauerte es Monate. „Wenn ich abends nach der Arbeit durch die HafenCity nach Hause ging, fühlte ich mich schon irgendwie wie in einem Parralleluniversum.“ Auch Touristen wurden damals noch nicht in Busladungen in die HafenCity gespült. „Da verirrten sich höchstens mal ein paar Besucher des Miniatur Wunderlands in den neuen Stadtteil, der damals offiziell zumindest noch gar keiner war.“
Aber einen Vorteil hatte das Einsiedlerleben zumindest: „Bei der Einweihungsparty konnten wir so viel Lärm machen, wie wir wollten. Wer hätte sich denn beschweren sollen?“
Besonders in den ersten Jahren musste er seine Entscheidung für die HafenCity oft erklären. „Die Leute kritisierten, dass es hier kein Kino gab und keine Apotheke und keinen Buchladen und vieles mehr“, erinnert er sich. „Bei der HafenCity gab es seltsamerweise immer die Erwartung, dass es hier alles geben müsse. Warum denn eigentlich? Die Innenstadt liegt doch direkt um die Ecke.“
Die Menschen, die hier leben, sind sehr aktiv
Inzwischen sind die kritischen Fragen seltener geworden. Und auch für Touristen steht die HafenCity genauso selbstverständlich auf dem Programm wie der Michel und die Alster. Im Sommer sind es Tausende am Tag. Jacob aber stört das nicht. Das sei schließlich absehbar gewesen – obwohl das eigentliche Ziel der HafenCity ja ein anderes war. Mit ihr sollte die Rückkehr der Innenstadt an die Elbe geschafft werden – eine Erweiterung des Lebensraums für die Hamburger.
„Inzwischen gehört die HafenCity ganz selbstverständlich dazu“, sagt Jacob. Die Wege der Einheimischen hätten sich geändert und führten nun auch immer häufiger durch den Stadtteil. Mit allem was dazu gehört. „Da kann es auch mal sein, dass sich jemand nach einer Abiparty an der Straßenecke übergibt – aber das ist halt Leben.“
Auch die Nachbarschaft habe sich gut entwickelt. „Die Menschen hier sprechen miteinander und sind inzwischen über Vereine, Komitees, Gesprächsgruppen und Freundschaften gut vernetzt.“ Besonders diejenigen, die schon länger hier leben, verbinde der Wunsch, etwas mitzugestalten. „Die Menschen, die hier leben, sind sehr aktiv.“
Plaza-Eröffnung der Elbphilharmonie:
Plaza-Eröffnung in der Elbphilharmonie
Jacob selbst ist zwar Bewohner der HafenCity, aber immer auch Beobachter geblieben. Viele Entwicklungen hat er in den vergangenen Jahren auf Fotos dokumentiert. Was aus seiner Sicht besonders gelungen ist: „Die Plätze – etwa die Marco-Polo- und Magellan-Terrassen – funktionieren sehr gut und sind für deutsche Verhältnisse absolut ästhetisch.“ Aber zufrieden ist er dennoch nicht mit allem. Besonders nicht mit dem Verkehrskonzept. „Das ist leider eindeutig ein Kind der 90er-Jahre, als der Fokus noch ganz klar auf dem Auto als Hauptverkehrsmittel lag.“ Aus seiner Sicht ein Kernfehler. „Wenn man schon einen neuen Stadtteil baut, hätte man die Möglichkeit nutzen sollen, innovativ zu sein.“
Stattdessen ärgert er sich als Fußgänger oder Radfahrer oft: keine oder konfus geführte Radwege, die gleichzeitig von Fußgängern genutzt werden, weil die Gehwege holprig sind, dazu zu wenige Überquerungen, Zebrastreifen und Ampeln sowie Wohngebiete, die von vierspurigen Straßen durchzogen werden. Seinen Schritt, in die HafenCity zu ziehen, hat er dennoch nie bereut. Und seit einigen Tagen hat er sogar noch einen neuen Lieblingsort dazu bekommen: Das Kaiserhöft, die freie Spitze des Elbphilharmonie-Areals, die seit der Fertigstellung des Konzerthauses auch wieder zugänglich ist. Dass er sich für die Elbphilharmonie schon ein Konzertticket für das kommende Jahr gesichert hat, versteht sich von selbst. „Ich habe sie schließlich über Jahre aus dem Wohnzimmer heraus groß werden sehen“, sagt Jacob.
Und der Vollständigkeit halber: Bis zum nächsten Bäcker hatte es Jacob schon 2004 nicht weit. Inzwischen hat er sogar die Wahl zwischen mehreren Bäckereien. Wie lange er dahin zu Fuß braucht, weiß er nicht genau. Es hat aber auch lange keiner mehr danach gefragt.