Hamburg. Als Sven T. am Schippelsweg aus der U-Bahn stieg, tauchte plötzlich eine dunkle Gestalt auf. Nun schildert er die Tat und sucht Zeugen.

Die Blutflecken auf dem Fußweg hat der Regen schon weggewaschen. Im Gesicht von Sven T. ist der Raubüberfall dagegen noch deutlich sichtbar. Die Schläge haben bei dem Hamburger deutliche Spuren hinterlassen. Seine Wangen und die Augenpartie schillern gelb und blau. Der 63-Jährige ist am vergangenen Wochenende Opfer eines brutalen Räubers geworden – mitten im beschaulichen Niendorf. Sven T. stieg an der U-Bahn-Haltestelle Schippelsweg aus und wurde auf dem Weg zu seinem nahe gelegenen Wohnhaus von einem bislang unbekannten Täter niedergeschlagen. Dieser flüchtete anschließend mit der Tasche und dem Handy seines Opfers.

In Niendorf sind brutale Straftaten eher selten. Hier gibt es mal Ärger, weil Hunde auf dem Spielplatz frei laufen. Oder es gab vorübergehend Unruhe, als zwei Obdachlosenunterkünfte eröffneten. Aber wegen Straßenkriminalität ist der Stadtteil selten in den Schlagzeilen.

Niendorf: 63-Jähriger wird auf dem Nachhauseweg brutal ausgeraubt

Polizeisprecher Patrick Schlüse fasst den Tathergang mit wenigen Worten zusammen: „Ein 63-Jähriger ist, nachdem er die U-Bahn verlassen hat, von einem unbekannten Mann ins Gesicht geschlagen worden. Danach wurden ihm eine braune Tasche und ein Handy geraubt.“ Es sei ein Ermittlungsverfahren wegen Raubs eingeleitet worden.

Für Sven T. ist diese Tat nicht einfach nur ein weiteres Delikt in der Kriminalitätsstatistik. Er hat den brutalen Überfall selbst auf einem Nachbarschaftsportal im Internet öffentlich gemacht. Weil er hofft, auf diesem Weg mögliche Zeugen für die Tat zu finden.

Der gebürtige Franke ist ein Mann wie ein Baum: 1,88 Meter groß, 106 Kilogramm schwer. Er sieht nicht wie jemand aus, der leicht zum Opfer werden könnte. „Ich habe mich hier in Niendorf nie unsicher gefühlt“, sagt Sven T., der seit 35 Jahren in dem Stadtteil lebt, davon zwölf in seinem jetzigen Wohnhaus. Deshalb habe er am vergangenen Freitag auch nicht eine Sekunde lang gezögert, nach der Weihnachtsfeier mit der U-Bahn nach Hause zu fahren anstatt mit einem Taxi. Der Informatiker hatte mit seinen Kolleginnen und Kollegen in einem Restaurant am St. Pauli Fischmarkt gefeiert.

Niendorfer wird nach Weihnachtsfeier überfallen – gefolgt war ihm zuvor niemand

Sie gehörten nicht zu den Ängstlichen, sagt auch die Ehefrau von Sven T. „Wir haben die halbe Welt bereist, waren in finsteren Vierteln in Bangkok, Hongkong und Marrakesch. Wir hatten nie Angst und sind noch nie beklaut worden.“ Sie hatte ihren Mann zu der Weihnachtsfeier begleitet, verließ diese aber etwas früher. „Ich bin alleine über die Reeperbahn gelaufen und dann noch bis zu den Messehallen, weil es so ein schöner Abend war“, erzählt sie. Dort stieg sie in die U-Bahn und erreichte schadlos ihr Zuhause in Niendorf. So wie viele Male zuvor.

Ihr Mann verließ die Weihnachtsfeier gegen Mitternacht, etwa eine halbe Stunde nach seiner Frau, und erreichte die U-Bahn-Haltestelle Schippelsweg gegen 1 Uhr. „Ich habe in der Bahn in meinem E-Reader gelesen“, sagt Sven T. In seiner Erinnerung war es recht leer in dem Zug. „Ich bin mir recht sicher, dass mir niemand gefolgt ist. Ich bin mit dem Aufzug allein hochgefahren.“

Aufzug U-Bahn Schippelsweg in Niendorf
Diesen Aufzug an der U-Bahn-Station Schippelsweg in Niendorf nutzte Sven T. vor dem Überfall. © Elisabeth Jessen | Elisabeth Jessen

Opfer erinnert sich an Überfall: „Plötzlich tauchte eine dunkle Gestalt auf“

Der Schippelsweg ist eine Wohnstraße mit ein paar Gewerbebetrieben, einem Aldi-Markt, einem großen Reifenhändler sowie Ein- und Mehrfamilienhäusern. Von der U-Bahn-Station zu seinem Haus sind es für Sven T. nur ein paar Hundert Meter. Nachts sind hier üblicherweise nur wenige Passanten unterwegs. „Woran ich mich erinnere, ist, dass bei der Kita Schippelsweg gegenüber von Aldi plötzlich eine dunkle Gestalt auftauchte. Dann kam ein Arm auf mein Gesicht zu“, sagt Sven T.

An weitere Details des Überfalls könne er sich nicht erinnern. Nur an das, was danach geschah: „Ich habe auf dem Boden gelegen, meine Tasche war weg.“ Darin seien sein E-Reader, sein Handy und ein Tracker zur Ortung der Tasche gewesen. Auch seine Apple-Watch habe ihm der Unbekannte vom Arm gezogen.

Opfer aus Niendorf: „Habe laut geschrien, als ich das ganze Blut gesehen habe“

Er habe sich aufgerappelt und sei dann nach Hause gegangen. Den Haustürschlüssel habe er glücklicherweise in der Hosentasche und nicht in seiner Tasche gehabt, sagt Sven T. „Im Hausflur habe ich dann laut geschrien, als ich das ganze Blut gesehen habe. Dann hat meine Frau geschrien, als sie mich gesehen hat.“ Seine Frau rief sofort Sanitäter und Polizei. Sven T. wurde im Krankenhaus untersucht. Neben den Verletzungen im Gesicht erlitt er Rippenprellungen und Verletzungen am Handgelenk. Letztere entstanden vermutlich, als ihm der Räuber die Tasche entriss.

Während Sven T. im Krankenhaus war, habe in ihrem Haus ein großer Auftrieb an Polizei geherrscht, berichtet seine Frau. Denn dank des Trackers in der geraubten Tasche und der eingeschalteten Funktion im Handy konnten die Beamten das Raubgut rasch orten. „Das Handy war am Steindamm, der Tracker, der sich in der Tasche befand, an der Koppel in St. Georg, die Apple-Watch an der Edmund-Siemers-Allee.“ Die Polizisten am Steindamm hätten das Handy aber nicht genau orten können, weil so viele Menschen unterwegs gewesen seien.

„Am Montag war das Handy dann in Harburg“, so die Ehefrau. „Die Polizei ist zu der Adresse gefahren, konnte aber die Wohnung nicht exakt orten.“ Seine Tasche sei in einer Flüchtlingsunterkunft in Winterhude geortet worden.

Psychologe empfiehlt dem Raubopfer: „Reden, reden, reden“

Der Niendorfer muss nun mit dem Angriff auf seine Unbeschwertheit leben. Er sagt, er habe vorsichtshalber mit dem Betriebspsychologen seiner Firma gesprochen. „Er hat zu mir gesagt, ich soll reden, reden, reden.“ Natürlich sei es möglich, dass sich erst in ein paar Wochen ein Trauma zeige, „aber der Psychologe kennt mich. Er glaubt das eher nicht.“

Der Aufruf auf dem Nachbarschaftsportal nebenan.de hat bislang noch nicht viel gebracht. Es gab etliche mitfühlende Kommentare, aber es werden auch Ängste offenbart: „Oh mein Gott, das ist schlimm! Langsam fühlt man sich hier nicht mehr sicher“, schreibt eine Frau aus dem Stadtteil.

Zweckdienliche Hinweise hat bisher niemand geben können. Die Frau von Sven T. hat die Theorie, dass ihrem Mann doch jemand gefolgt ist, der vielleicht einen anderen Ausgang bei der U-Bahn genommen und ihn dann gezielt überfallen hat. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier jemand stundenlang wartet und Leuten auflauert.“ Dafür sei einfach zu wenig los auf den Straßen.

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Die Polizei Hamburg kann sich noch nicht weiter zu dem Fall äußern. „Die Ermittlungen dauern an“, sagt Sprecher Patrick Schlüse. Um diese nicht zu gefährden, nenne er keine Details.

Für Sven T. ist der Überfall immer noch präsent. Er wache derzeit nachts oft auf, weil er durch die geschwollene Nase schlecht Luft bekomme. „Dann kreist das alles im Kopf, und ich versuche, mich zu erinnern.“ Denn die Minuten, nachdem er niedergeschlagen wurde, seien in seinem Gedächtnis ausgelöscht. Verängstigt sei er nicht, er wolle auch weiterhin mit der U-Bahn nach Hause fahren.

Aber noch sei er gar nicht richtig zum Nachdenken gekommen: „Die letzten Tage war ich mit Arztbesuchen beschäftigt und damit, Passwörter zu ändern und SIM-Karten zu sperren.“ Der Wert der geraubten Sachen sei weniger gravierend als die körperlichen Schmerzen und die psychische Belastung. Beim Gespräch mit dem Abendblatt trägt Sven T. ein orangefarbenes Sweatshirt mit dem Aufdruck: „Bevor Du fragst – nee.“ Der Unbekannte fragte nichts. Er schlug einfach völlig unvermittelt zu.