Hamburg. Bis zu 118 teils kranke Wohnungslose ziehen an den Garstedter Weg. Ein Ärztepaar fürchtet um die Versorgung und erhebt schwere Vorwürfe.

Bis zu 118 teils schwerstkranke obdachlose Menschen sollen ab dem 15. April nach und nach in die ehemalige Seniorenresidenz am Garstedter Weg in Hamburg-Niendorf einziehen – ein Thema, das viele Niendorfer aufwühlt. Nun befürchten Ärzte in der Nachbarschaft, dass die Menschen dort nicht vernünftig versorgt werden können.

Wolfgang und seine Frau Ursula C., die beide anonym bleiben möchten, sind Mediziner und leben rund 300 Meter entfernt von der Ex-Seniorenresidenz am Garstedter Weg 79–85. Die Nähe zu dem Haus, in dem ab Mitte April Obdachlose einziehen werden, habe nichts mit ihren Befürchtungen zu tun, sagen sie.

Obdachlosenunterkunft in Niendorf – Ärztepaar sorgt sich um Bewohner

Ganz im Gegenteil: Die beiden Ärzte sorgen sich um das Wohl der Männer und Frauen, die dort bald leben und gepflegt werden sollen, und stellen die medizinische und pflegerische Versorgung infrage. Es sollen – Stand jetzt – bis zu zweimal wöchentlich ärztliche Sprechstunden mit jeweils drei bis vier Stunden angeboten werden.

Das Ärztepaar hat nachgerechnet: „Das sind maximal und nur eventuell bis zu 480 Minuten ärztliche Betreuung pro Woche. Bei 118 Bewohnern bedeutet das pro Bewohner maximal 4,07 Minuten in der Woche. Rechnet man zudem die Zeit für Dokumentationspflicht ab, bleiben weniger als drei Minuten Patientengespräch beziehungsweise eine medizinische Betreuung pro Bewohner pro Woche“, so Wolfgang C.

Einige Eltern, deren Kinder die Grundschule Burgunderweg in Niendorf (hier im Vordergrund die Turnhalle) besuchen, haben Bedenken, da auf der gegenüberliegenden Seite bald 118 Obdachlose in das Pflegeheim Garstedter Weg 79–85 einziehen.
Einige Eltern, deren Kinder die Grundschule Burgunderweg in Niendorf (hier im Vordergrund die Turnhalle) besuchen, haben Bedenken, da auf der gegenüberliegenden Seite bald 118 Obdachlose in das Pflegeheim Garstedter Weg 79–85 einziehen. © Elisabeth Jessen | Elisabeth Jessen

Der 70-Jährige hat 25 Jahre lang unter anderem als Oberarzt und in der Notaufnahme eines Krankenhauses gearbeitet. Er kennt das Leben außerhalb der beschaulichen Wohngegend in Niendorf und sagt: „Wir leben hier nicht in Bullerbü. Und wir haben auch keine Berührungsängste mit Obdachlosen. Ich habe selbst kranke Obdachlose behandelt.“

Ein Stadtteil wie Niendorf könne und müsse eine solche Unterkunft „ertragen“, sagt er. Viele Eltern der benachbarten Grundschule fürchten jedoch die neuen Nachbarn.

Obdachlose in Niendorf – „viel zu wenig Personal für Anzahl an Menschen“

Er findet das Vorgehen der zuständigen Sozialbehörde jedoch „hemdsärmelig“. „Die Behörden spielen mit verdeckten Karten, es ist viel zu wenig Personal für diese Anzahl an Menschen vorgesehen. 110 Patienten, das entspricht schon einem Krankenhaus“, sagt Wolfgang C.

Laut Sozialbehörde leiden die zukünftigen Bewohner unter anderem unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Demenz. Oder sie haben Oberschenkel- und Hüftfrakturen, die nie richtig versorgt worden sind, sodass sie nun in ihrer Bewegung eingeschränkt sind. Auch Krebspatienten sind darunter – teils im letzten Stadium.

Hamburg-Niendorf: Obdachlose – Arzt macht Behörde schwere Vorwürfe

Nachbar Wolfgang C. bezweifelt, dass die Menschen mit diesen Krankheiten medizinisch und pflegerisch gut versorgt werden. „Das Projekt ist zum Scheitern verurteilt. Oder ist das eigentliche Ziel der Behörde ein örtliches Verschieben der Sozialproblematik?“

Der Arzt wirft den Verantwortlichen vor, unüberlegt, vorschnell und medizinisch konzeptionslos zu handeln. „Woher soll beim derzeitigen Fachkräftemangel das Pflegepersonal kommen?“

Wolfgang Arnhold ist Sprecher der Sozialbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.
Wolfgang Arnhold ist Sprecher der Sozialbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. © Sozialbehörde | Sozialbehörde

Wolfgang Arnhold, Sprecher der zuständigen Sozialbehörde, klärt auf: „Die aufgeführte Rechnung geht davon aus, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner das ärztliche Angebot vor Ort wöchentlich und regelmäßig nutzen werden. Das entspricht aber nicht den Tatsachen.“

Obdachlosenunterkunft Niendorf: Pflegedienst von 7 bis 20 Uhr vor Ort

Tatsächlich sei das abhängig von den Leistungsansprüchen der untergebrachten Menschen. Nicht alle Bewohner seien krankenversichert – vor allem viele Osteuropäer nicht. „Sofern aber zum Beispiel Ansprüche auf Bürgergeld oder Leistungen der Grundsicherung bestehen, ist damit auch eine Krankenversicherung verbunden, sodass den Betroffenen das Regelversorgungsangebot zur Verfügung steht.“

Auch Ärzte des Hamburger Arztmobils können in Zukunft an den Garstedter Weg in Niendorf kommen, um kranke Obdachlose zu betreuen (Archivbild).
Auch Ärzte des Hamburger Arztmobils können in Zukunft an den Garstedter Weg in Niendorf kommen, um kranke Obdachlose zu betreuen (Archivbild). © Arztmobil Hamburg | Marco Sailer

Das bedeutet: Bewohner mit Krankenversicherung können Schwerpunktpraxen für obdachlose Menschen aufsuchen. Auch das Arztmobil Hamburg kann regelmäßig nach Niendorf kommen. Und egal, welchen Versicherungsstatus die Menschen haben: „Für alle wird ein Pflegedienst von 7 bis 20 Uhr vor Ort sein“, so Arnhold.

Obdachlose in Niendorf: Fördern & Wohnen stellt die Pflegekräfte bereit

Das städtische Sozialunternehmen Fördern & Wohnen als Betreiber der Unterkunft habe ein großes Netzwerk an Pflegekräften und könne flexibel reagieren und auch weitere Pflegekräfte mobilisieren.

Die Unterbringung im Garstedter Weg 79–85 ist nicht zeitlich befristet und geht über die medizinische Grundversorgung und die ambulante Pflege hinaus: „Es wird Sozialarbeit stattfinden“, so Behördensprecher Arnhold. Die Bewohner sollen möglichst stabilisiert an andere Hilfesysteme verwiesen werden und auch in ihre Herkunftsländer zurückkehren und dementsprechend beraten werden.

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Anders als im Garstedter Weg 79–85 soll im Garstedter Weg 20 (Fett’sche Villa) ein Übergangswohnen für bis zu 16 obdachlose Menschen ohne größeren Pflegebedarf ermöglicht werden. „Drogenkonsumentinnen und -konsumenten sind auch an diesem Standort von der Aufnahme ausgeschlossen“, sagt Wolfgang Arnhold.

Frei bewegen dürfen sich alle Menschen in den beiden Unterkünften. „Das ist keine geschlossene Unterbringung.“