Hamburg. Von Altona bis Bergedorf: Fast im gesamten Stadtgebiet fallen die besonderen Werke ins Auge. So unterschiedlich sind die Auftraggeber.
Sie sind nicht schreiend bunt, sondern in dezentem Schwarz-Weiß fast schon eher zurückhaltend, doch bleibt der Blick dennoch an ihnen hängen: an den kunstvoll bemalten Stromkästen in der Hamburger Innenstadt. Verziert mit Motiven aus der Nachbarschaft – meist historische Gebäude oder Kirchen – bilden die Kunstwerke einen zarten Kontrast zu dem oft etwas angeschmuddelten Grau der Umgebung.
Auf einem Stromkasten an der Mönckebergstraße ist etwa der Hauptbahnhof abgebildet, auf dem vor Starbucks der Mönckebrunnen und in der Nähe des Gertrudenkirchhofs sieht man das Eckhaus an der Lilienstraße, so wie es früher aussah. „Ich orientiere mich fast immer an historischen Fotos der Gebäude, vor denen die Stromkästen stehen – oder male die Häuser, die dort mal gestanden haben“, sagt Vincent Schulze, der für die liebevolle Gestaltung der einst hässlichen grauen Kästen verantwortlich ist.
Hamburg: Eimsbütteler steckt hinter kunstvollen Werken auf Stromkästen
Und so hat er auf einen Stromkasten am Spadenteich in St. Georg das dort 1885 errichtete Haus gemalt, in dem es schon damals das Lokal „Max & Consorten“ gab – und das später durch das heutige Gründerzeitgebäude ersetzt wurde. Die Traditionsgaststätte sitzt noch heute an der Stelle.
Die Betreiber waren es auch, die dem Eimsbütteler Schulze den Auftrag zur Gestaltung des Stromkastens und ein historisches Foto als Vorlage gaben. Den Gastraum verschönerte er gleich mit: Unterhalb der Fenster zieht sich die Skyline des Hamburger Hafens einmal durch den Raum.
Etwa 600 Objekte, überwiegend Strom- und Postverteilerkästen, habe er in den vergangenen zwölf Jahren in Hamburg bemalt, sagt der 39-Jährige, der sich als „Auftragsmaler“ bezeichnet. Schon während seines Studiums an der Armgartstraße fing er damit an. „Das war ungefähr 2011. Da fragte ich in einer Kita an, ob ich eine Aufbewahrungsbox für Spielzeug bemalen darf“, erinnert er sich. Sein Honorar damals: 100 Euro.
St. Georg: An der Langen Reihe hat Vincent Schulze eine Fassade gestaltet
Danach folgten Anfragen bei weiteren Kindergärten, Ladenbesitzern und Kiosken. Doch die Akquise war nur knapp zwei Jahre nötig. „Nach dem Studium konnte ich von dem Job schon leben.“ Und schon längst muss er nicht mehr um Aufträge bitten – sondern nur auf einen Anruf oder eine E-Mail warten. Die Kunden melden sich bei ihm.
Strom- und Postkästen bemalt er meistens im Auftrag einer Hausgemeinschaft, eines Ladeninhabers oder einer Restaurantbetreiberin, aber auch die Post und Stromnetz Hamburg, die Haspa und Jaguar gehören zu seinen Kunden. Denn er gestaltet auch Hausfassaden, wie etwa im Schanzenviertel und an der Langen Reihe, schräg gegenüber vom AK St. Georg, die Wände von Schwimmbädern und Wellnessbereichen oder Räume in herrschaftlichen Villen.
In einer Uhlenhorster Villa prangt ein Gemälde mit Statue
Neben historischen Gebäuden gehören auch Landschaften, Tiere und Gemälde im antiken Stil zu seinem Repertoire. Die Wand in einem Uhlenhorster Privathaus verzierte er mit der Statue eines geflügelten Mannes mit Schwert und einer italienisch anmutenden Stadt im Hintergrund. Vier nebeneinander stehende Stromkästen in der Wildgansstraße in Rahlstedt zieren fliegende Gänse – und ein Bushaltestellenhäuschen in Reitbrook das Bild einer Mühle an der Dove-Elbe.
Schulze verwendet Acrylfarbe und Pinsel, Sprühdosen oder Fassadenfarbe. Weil die Werke im Freien mit der Zeit verblassen, wird er manchmal auch mit dem Auffrischen und Ausbessern beauftragt. Manche, gerade Stromkästen, wurden auch schon mit Graffiti beschmiert. Das sei aber nicht tragisch, so der Künstler. „Alle Stromkästen haben eine Anti-Graffiti-Schicht, die bis zu 500 Mal wieder gereinigt werden kann.“
- Innenstadt Hamburg: Belebung der Mönckebergstraße: Kraft der verrückten Ideen
- Hamburg City: Neue Konzepte sollen Alten Wall „attraktiv“ machen – Museum, Jazzclub, Café
- HafenCity Hamburg: „Hinz&Kunzt“ würdigt verstorbenen Verkäufer mit gigantischem Kunstwerk
Stromkästen wie die in der Hamburger Innenstadt bemalt Vincent Schulze an einem Tag
Einen Stromkasten zu bemalen, dauert einen Tag. Dafür nimmt er zwischen 500 und 900 Euro. In einem knapp 300 Quadratmeter großen Fassadenbild stecken etwa 90 Stunden, das kostet dann rund 15.000 Euro. Auch, wenn sich die meisten seiner Werke an Straßen befinden – „Street-Art“ sei seine Kunst nicht, betont Schulze.
Er habe anfangs gar nicht vorgehabt, sein Geld mit Auftragsmalerei zu verdienen. Vielmehr sei er von seinem Vater inspiriert worden, einem freischaffenden Künstler. Ihm habe er nacheifern wollen. „Doch nach einigen Ausstellungen habe ich mich entschieden, das zu malen, was andere möchten.“ Das macht er in seiner eigenen Wohnung auch: Dort schmücken Bilder von römischer Architektur, Säulen und Tempeln die Wände.