Hamburg. Unternehmer hat gelernt, mit Geiseldrama in den Grindelhochhäusern umzugehen. Nun ist sein neues Buch erschienen.
- Bodo Janssen wurde 1998 acht Tage lang in den Hamburger Grindelhäusern festgehalten und gefoltert
- Zeit, um seine Erlebnisse zu verarbeiten, hatte er nicht. In Büchern versucht er über die Ereignisse zu reflektieren.
- In der NDR-Talkshow war er am 17. November mit seinem neuesten Werk zu Gast.
Bodo Janssen hat viel erlebt. Er wurde Opfer einer der spektakulärsten Geiselnahmen in der deutschen Kriminalgeschichte. Der damalige Student wurde 1998 acht Tage lang in den Hamburger Grindelhochhäusern festgehalten, gefoltert und gequält. Wenige Jahre später starb sein Vater bei einem Flugzeugunglück – von heute auf morgen musste Janssen als junger Mann das Unternehmen der Familie übernehmen.
Doch Zeit, um seine Erlebnisse zu verarbeiten, blieb dem früheren Model nicht. Heute reflektiert er darüber in seinen Büchern. Gerade ist mit „Das neue Führen“ sein neuestes Werk erschienen. Am Freitag (17. November) ist Janssen zudem Gast in der NDR Talk Show – Bettina Tietjen und letztmals auch Dr. Johannes Wimmer begrüßen den Norddeutschen gemeinsam mit Prominenten wie Schauspieler Robert Stadlober, Sänger Rea Garvey und Moderatorin Verona Pooth.
NDR Talkshow mit Bodo Janssen: So lebt Hamburger Entführungsopfer mit der Todesangst
Dass Bodo Janssen heute Chef von gut 700 Mitarbeitern ist und die Upstalsboom-Unternehmensgruppe mit Dutzenden Hotels im Norden führt, diesen Eindruck macht er nicht. Leger im grünen Pullover kommt er zum Gespräch mit dem Abendblatt, auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof nimmt er den Bus.
Es geht nach Oldenburg und dann weiter ins Kloster, zu Anselm Grün. Eine gemeinsame Veranstaltung zum Thema Gerechtigkeit steht auf dem Programm. Bodo Janssen hat den populären Pater der Benediktinerabtei Münsterschwarzach schon früher kennengelernt, als er nach einer Lebenskrise ins Kloster ging, um dort zu sich zu finden. Und zu lernen, mit seinen Ängsten zu leben.
Geiseldrama in Grindelhochhäusern: Tag veränderte Janssens Leben
Schließlich gab es diesen einen Tag, der sein Dasein für immer veränderte – und an den er noch heute ständig denkt. Am 6. Juni 1998 betrat der damals 24-Jährige mit Bekannten eines der Grindelhochhäuser an der Hallerstraße. Vor der geplanten Kieztour wollen sie sich etwas gönnen: Alkohol und Kokain. Der Bekannte ist Dealer, sagt, er wolle kurz Geld holen.
Doch das ist eine Lüge. Er kehrt zurück in die Wohnung zu Janssen – doch statt gemeinsamem Feiern folgt tagelange Folter. Drei maskierte Männer fesseln den Studenten. Die Bewaffneten drohen ihm mit dem Tod. Es folgt eine Geiselnahme im Herzen von Hamburg, die in die Geschichte der Stadt eingehen wird.
Bodo Janssen – Hamburger Entführer forderten zehn Millionen Mark
Das Opfer ist Sohn einer Unternehmerfamilie aus Emden, die im Bau und mit Hotels ihr Geld macht. Zehn Millionen Mark fordern die Kidnapper. Doch der verzweifelte Vater sagt den Entführern, drei Millionen, mehr könne er nicht zusammenbekommen, und schaltet die Polizei ein.
Erst nach acht Tagen gelingt dem SEK die Befreiung. In diesen Stunden erlebt Janssen Schreckliches. Scheinhinrichtungen, die Androhung von Verstümmelungen. „Ich hatte Todesangst damals“, sagt Janssen. Doch nicht nur das.
Kurioser Gedanke während der Geiselnahme: „Muss doch zur Vorlesung“
„Ich dachte, ich muss doch zur Vorlesung“, erinnert er sich an die Momente während der Geiselnahme. Was komisch klingt, hat er später für sich analysiert: „Ich lebte in einem Hamsterrad, wollte meine Eltern nicht enttäuschen, ihre Erwartungen erfüllen.“
Heute weiß er, und auch das ist Thema seines neuen Buches: Ängste lähmen – Menschen, Mitarbeiter, ganze Firmen. „Wir wissen heute tatsächlich nicht mehr, was morgen passiert“, sagt der Vater von drei Kindern. Corona, der Ukraine-Krieg, vieles bedrohe unseren Alltag. Janssen plädiert aber dafür, Krisen als Chancen zu sehen. Und nicht Angst vor der Angst zu haben.
„Habe mich als Führungskraft zu sehr von Ängsten leiten lassen“
In Firmen sorgten zahlreiche Mechanismen dafür, Ängste einzudämmen. „Wir haben Controller, Schutzbeauftragte für alles Mögliche“, sagt er. Doch die wahren, wichtigen Ziele ließen sich damit nicht erreichen, schreibt er in seinem Buch „Das neue Führen“.
Dabei hatten ihm die Mitarbeiter ein paar Jahre, nachdem Janssen die Leitung der Firmengruppe in Emden übernommen hatte, äußerst schlechte Noten gegeben. Als Chef hatte er versagt, das spürte er schmerzlich. Und nahm diese Einsicht zum Anlass, ins Kloster zu gehen und dort von den Mönchen zu lernen: „Ich sah, dass ich mich auch als Führungskraft zu sehr von meinen Ängsten habe leiten lassen“, erinnert er sich.
In Grindelhochhäusern gefoltert – Janssen hat gelernt, damit zu leben
Mit Bergen von Bürokratie habe er seine Sorge einzudämmen versucht, die Kontrolle zu verlieren. Doch seine gefühlte Überforderung habe auch die Mitarbeiter überfordert, sie ächzten unter den Formalitäten, unter Dutzenden von Checklisten, sie verloren ihre Freiheit. Und litten unter dem Mangel an Vertrauen, betont Janssen, denn auch das sei eine Art von Angst.
Der Richter sagte damals in Hamburg, die Geiselnahme und die psychische Folter würden gravierende, fortdauernde Auswirkungen auf das Leben des Opfers haben. Doch Janssen hat gelernt, damit zu leben.
25 Jahre nach Entführung: Janssen denkt jeden Tag an das Erlebte
Es vergeht zwar kein Tag, an dem er nicht an das Geschehene denke. Aber er lebe nun bewusst. Morgens um vier Uhr aufstehen, meditieren, weiterarbeiten am aktuellen Buch, dann gemeinsames Frühstück mit seiner Frau.
Viel Zeit nehme er sich auch fürs „Herunterkommen“, spaziere mit seinen Jagdhunden durch die Felder, begeistere sich wie seine Tochter fürs Reiten. Die Balance zwischen Unter- und Überforderung versuche er nun stets zu halten, bei sich selbst und den Mitarbeitern.
Und dazu gehöre auch, mal auf den Pausenknopf zu drücken, nicht nur an wirtschaftliche Zahlen und Ziele zu denken. Einmal im Jahr ist er mit den Beschäftigten auf Reisen, es geht auf den Kilimandscharo oder zu einer der Schulen in Ruanda, die Upstalsboom baut.
Hotel-Projekt bei Hamburg gestoppt: Im Alten Land baut Upstalsboom nicht
Und wenn die Umstände es erfordern, werden Vorhaben auch gestoppt. Wie derzeit ein geplantes Hotel bei Hamburg, im Alten Land. „Die Baukosten sind momentan einfach zu hoch“, sagt Janssen.
- Elend am Hauptbahnhof Hamburg: Drob Inn hat „Sog-Effekt“ auf Drogenszene
- Geiselnahme: Flughafen Hamburg bezieht Stellung zu Sicherheitskonzept
- Großalarm an Schule Blankenese: Fünf Verdächtige – der jüngste ist elf
Stattdessen konzentriert sich der Unternehmer auf ein Projekt bei Varel. Was dort auf 30.000 Quadratmetern entsteht, zahlt ein auf eine weitere große Leidenschaft in Janssens Leben. Die Unterkunft im Landkreis Friesland soll die Möglichkeit zum luxuriösen Camping bieten. Dazu gibt es Baumhäuser. Und hier sollen Gäste erleben, was auch dem Unternehmer heute wichtig ist: zur Ruhe kommen – inmitten der Natur.