Hamburg. Wo ist es in Hamburg am schönsten? 50 leidenschaftliche Plädoyers. Teil 24: Der Stadtteil, den sich die meisten nicht leisten können.

Ich könnte diesen Text mit einer Anklage beginnen. So ganz allgemein, aber mit Hingabe, ein böses Fingerdeuten auf den raffgierigen Immobilienmarkt. In Hamburg zahlt man meistens nicht so viel Miete wie hier. 14,61 Euro kalt den Quadratmeter. Kann schon sein, dass Harvestehude, die HafenCity oder Blankenese noch teurer sind. Egal. Hoheluft-Ost ist teuer. Richtig teuer.

Hier wohnen nur die, die es sich leisten können oder leisten wollen, und eigentlich gehöre ich also genau zum anderen Team. Team Normalmiete. Andererseits, was ist in einer Stadt wie Hamburg schon normal?

Hier können sich Hamburg-Besucher gruseln

Und führe ich Gäste nicht immer mit einer Art perversem Stolz durch Hoheluft, wenn wir eine Stadtteilbegehung machen? Damit sich die Hamburg-Besucher, sie stammen meist aus dem Süden, wohlig gruseln können, was wir hier an wohnlicher Teilnahmegebühr hinlatzen müssen. In jenen Momenten des Hamburg-Protzens – und wohlgemerkt ist es da nicht Hamburg, das protzt, sondern wir sind es, die mit Hamburg protzen – fühle ich dann tatsächlich eine Form von Exklusivität. Allgemein in Hamburg zu leben; und ganz speziell hier.

Hier, in diesem kleinen Hoheluft, das viele schon für Eppendorf halten und manche noch für Eimsbüttel, dabei ist es weder Eppendorf noch Eimsbüttel und gleichzeitig von beiden etwas. Hoheluft-Ost ist auch noch mal etwas anderes als Hoheluft-West, das auf der anderen Seite der Hoheluftchaussee liegt. Hoheluft-Ost ist elegant, es ist schick, und es hat Klasse. Es liegt, gefühlt, genau in der Mitte Hamburgs als dessen bürgerlicher und urbaner Kern. Hier atmet man Stadtluft. (Dass die gerade hier sehr schlecht ist, ist eine andere Geschichte.)

Wohnungen, Stadthäuser: Die Architektur ist wohlproportioniert

Hier, in dem nur ein paar Straßenzüge umfassenden Quartier zwischen Hoheluftchaussee, Lehmweg, Ring 2 und Eppendorfer Baum, verwöhnt die Architektur die nach Homogenität, die das Spezielle aber keineswegs missen lässt, und Wohlproportioniertheit suchenden Augen des Flaneurs. Ich kann mich, das ist ein großer Vorteil bei Quartieren wie diesem, nie sattsehen an Stadthäusern aus der Gründerzeit.

In meiner Bremer Zeit verliebte ich mich einst rettungslos in diese Prachtschuppen mit dem Stuck-Fimmel. Ich finde die immer schon klasse, wenn nicht gar klassizistisch. Besonders in Hoheluft-Ost, dem Kleinod unserer Stadt, in dem keine 10.000 Menschen leben und es nur ein paar Hundert Gebäude gibt.

Wie gesagt, ziemlich exklusiv hier.

Hoheluft-Ost: Das sind die Fakten

  • Einwohner: 9796
  • Davon unter 18: 1307
  • Über 65: 1543
  • Durchschnittseinkommen: 52.006 € (2013)
  • Fläche: 0,6 km²
  • Anzahl Kitas: 6
  • Anzahl Schulen: 1 Grundschule, 2 Stadtteilschulen
  • Wohngebäude: 630
  • Wohnungen: 6008
  • Niedergelassene Ärzte: 202
  • Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 600, Aufgeklärt: 181

Eis & Innig in der Klosterallee, Ecke Lehmweg kann das nicht von sich behaupten, ist nämlich längst nicht der einzige Eisladen hier. Aber einer der besten in der ganzen Stadt. Und so beliebt, dass ich wegen der langen Schlangen mit fröhlichen Hamburger Akademiker-Kindern, feinen älteren Hamburger Damen und Herren und naschmäßig ganz weit vorne agierenden Hamburger Hipstern eigentlich immer seitlich an Eis & Innig vorbeigehe, ohne mir eine Salzkaramellkugel reinzuziehen.

Hoheluft: Es gibt auch eine Gegenkultur

Also laufe ich anschließend kalorientechnisch unerlöst und unter-eist die Ladenmeile im Lehmweg lang. Es gibt hier wie auch im Eppendorfer Weg insofern originelle Geschäfte, als man die Filialen großer Ketten vergeblich sucht und den Inhaber oder die Inhaberin persönlich antrifft.

Shoppen also, und essen. Das kann man hier. Gastronomisch wird etwas geboten, man kann quasi jeden Abend in einem anderen Land speisen. Aber ist das wirklich spannend? Nein. Oder sagen wir so: Es gibt Stadtteile, die mehr pulsieren, gerade kulturell. Das muss man wissen. Aber wie schnell bin ich von hier, vom Zentralgestirn unserer schönen und so herrlich eingebildeten Stadt, in St. Pauli oder in der Schanze?

Apropos: Eine Form von Gegenkultur gibt es auch in Hoheluft-Ost. Mitten im Hochpreisgetto gibt es einen Wohnkomplex, der sich in einer Mietergenossenschaft selbstverwaltet und sozialfreundlich handelt: Die Mieten sind vergleichsweise niedrig. Die beinah berühmten Falkenriedterrassen mit ihren flachen Häuserreihen, angelegt in fünf schmalen Wegen, sind zum Glück denkmalgeschützt. Sonst würde es sie, diese ehemaligen Arbeiterhäuschen vom Ende des 19. Jahrhunderts, irgendwann vielleicht doch nicht mehr geben.

Lofts im Falkenried

Was allein schon deswegen schade wäre, weil es hier mit am grünsten ist in diesem sonst eher ungrünen Stadtteil. Die Arbeiter vom Straßenbahnring, der gegenüberliegt und an Hamburgs nahverkehrliche Vergangenheit erinnert, lebten einst hier: In Hoheluft-Ost hatten die Fahrzeugwerkstätten Falkenried ihren Sitz, die die Straßenbahnwagen bauten.

Hoheluft-Ost: Lofts am Straßenbahnring
Hoheluft-Ost: Lofts am Straßenbahnring © Jule Bleyer

Jetzt sind hier, natürlich, teure Lofts, die gar nicht mal so toll aussehen. Im Falkenried gehe ich am liebsten einfach nur in die Buchhandlung, die hier Stories! heißt und das Ausrufezeichen verdient. Manchmal finden dort auch Lesungen statt, er mag halt doch auch Kultur vor Ort, der Hoheluftmensch.

Mir gefällt übrigens die irgendwie auch bekloppte Aufteilung des Quartiers in einen Ost- und einen Westteil – als wären wir hier in Berlin, nur halt immer schon ohne Mauer. Hoheluft-Ost gehört zum Bezirk Nord, Hoheluft-West zu Eimsbüttel, es hat also ganz schnöde etwas mit Verwaltung und Bürokratie zu tun. Und ist aber, hinsichtlich des Namens, eine reine Zumutung. Eine Verschandelung! „Hoheluft“ ist ja ganz sicher der poetischste und hinreißendste Name unter allen anderen, wenn es um Stadtteile in Hamburg geht. Das „Ost“ wie das „West“ stören die lautliche und semantische Anmutung ganz erheblich.

Hoheluft – woher der Name stammt

Thomas Andre ist Redakteur im Ressort Kultur des Abendblatts.
Thomas Andre ist Redakteur im Ressort Kultur des Abendblatts. © Michael Rauhe

Wenn Besuch da ist, erzähle ich nach dem Teil mit dem Mietenwahnsinn und der superdichten Besiedelung (mit die höchste in Hamburg) auch immer gerne von der Herkunft des Namens. Es gibt verschiedene Theorien. Eine besagt, dass man einst die Anhöhe, die von der Isebek zum Dorf Lokstedt führte, „auf der Hohenluft“ nannte. Etwas langweilig, okay, es wird jedoch besser. Heimatforscher halten es auch für denkbar, dass der Name auf ein Wirtshaus namens „Hoge Licht“ zurückgeht, dessen Licht den Fuhrleuten in der Dunkelheit den Weg wies.

Die Killer-Version aber geht so, dass sich in Hoheluft im Mittelalter eine Hinrichtungsstätte befand. Am Galgen durften die Verurteilten vor ihrem Tod die „hohe Luft“ atmen. Na dann.

Der Stadtteil

Hoheluft-Ost
Hoheluft-Ost © Frank Hasse

Hoheluft-Ost: Das sind die Highlights

Stories! (1)

Stadtteilserie - Hoheluft Ost Teil 1

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    Buchhandlungen bringen Kultur in jeden Stadtteil. Eine besonders moderne und schöne liegt im Falkenried: Stories! sieht gut aus, und die inneren Werte stimmen auch – Bücher allüberall.

    Falkenried-Terrassen (2)

    Stadtteilserie - Hoheluft Ost Teil 2

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      Man kommt sich fast wie ein Störenfried vor, wenn man durch die begrünten Wege dieses Gebäudekomplexes geht. Alles denkmalgeschützt hier, aber mit echten Menschen, die in den kleinen Wohnungen leben.

      Eis & Innig (3)

      Stadtteilserie - Hoheluft Ost Teil 3

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        Eis essen ist gut fürs Seelenheil, auch in einem vom Glück geküssten Stadtteil wie Hoheluft. Also auf zur Klosterallee, Ecke Lehmweg, Kaltes schlecken.