Hamburg. Wo ist es in der Stadt am schönsten? 50 leidenschaftliche Plädoyers. Teil 22: Stilvolles Wohnen mitten im größten Verkehrschaos.
Unserem Jüngeren, der ein Faible für Bautätigkeit aller Art entwickelt hat, bleibt, was dieses Thema angeht, kaum etwas verborgen: Warum wird hier ein Gerüst aufgebaut? Sind das dort Dachbalken? Sieh mal, da läuft ein Maler! Oh, ein Betonmischer! Tatsächlich: Wer genau hinsieht, nimmt in Eppendorf ungewöhnlich reges Handwerkertreiben wahr. Nur einen Abrissbagger, den hat Junior hier noch nie bewusst gesehen. Zu jung! Der Exitus des ehemaligen Restaurants Tre Castagne an der Martinistraße/Ecke Eppendorfer Landstraße hat den halben Stadtteil in Aufruhr versetzt; einzig genützt hat es leider nichts.
Zum Glück eine Ausnahme. Während in manch anderem Viertel alte Häuser zum Teil gleich reihenweise vom Erdboden verschwinden, damit Platz für quadratisch-praktische Allerlei-Neubauwohnungen entsteht, werden in Eppendorf lieber Gründerzeitfassaden gestrichen, Dächer darüber gedeckt, Treppenhäuser dahinter renoviert. Und mittendrin liegen Wohnungen mit Decken hoch wie der Hamburger Himmel an einem klaren Tag, der vielleicht mit ein paar Stuckwölkchen getupft ist. Es sind Wohnungen mit altem Dielenboden, der knarzt. Mit Küchenwandfliesen, die 120 Jahre alt sind, nicht aus dem Baumarkt. Mit Esszimmern, denen etwas Kronleuchterähnliches überm Tisch gut steht.
Und es sind Wohnungen, die unverschämt teuer seien, bekommen wir oft zu hören. Das mag zutreffen, aber nicht grundsätzlich. Wer einen langen Atem bei der Suche beweist, der kann sich durchaus belohnen mit einer restaurierten Altbauwohnung, deren Kaltmiete pro Quadratmeter nur einen einzigen Euro teurer ist als die einer Genossenschafts-Neubauwohnung in guter Lage von Elmshorn, Kreis Pinneberg. Kalkulieren wir noch mit der zentralen Lage des Stadtteils, die ein zweites und eigentlich sogar das erste Auto überflüssig macht, und den Betreuungskosten für zwei Kinder, die in Hamburg viel günstiger sind, dann erscheint Eppendorf im Vergleich zu Elmshorn: zumindest nicht teurer.
Eppendorf: Das sind die Fakten
- Einwohner: 24.868
- Davon unter 18: 3446
- Über 65: 4604
- Durchschnittseinkommen: 58.438 € (2013)
- Fläche: 2,7 km²
- Anzahl Kitas: 14
- Anzahl Schulen: 3 Grundschulen, 1 Gymnasium
- Wohngebäude: 1637
- Wohnungen: 14.212
- Niedergelassene Ärzte: 162
- Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 1819, Aufgeklärt: 594
Eppendorf zu mögen oder doch lieber einen anderen besten Stadtteil, ist insofern einzig und allein eine ganz persönliche Geschmacksfrage. Wir mögen dieses Eppendorf in seiner heutigen Form, auch wenn es streng genommen gar nicht historisch gewachsen ist. Die Zeit seines großen Umbruchs hat der Stadtteil schon hinter sich – und dabei ist auch vieles verloren gegangen. Vom richtig alten Kern steht eigentlich nur noch die Kirche St. Johannis.
Der in Eppendorf geborene Kunstkritiker Karl Scheffler (1869–1951) hat den krassen Wandel miterlebt: „Das Dorf, in dem Johann Schüler zur Welt kam, hat sich während seines Lebens mehr verändert als vorher in Jahrhunderten. In Johanns früher Kindheit war es noch ganz ländlich, heute ist es der Vorort einer Großstadt“, beginnt er seine Lebenserinnerungen, 1927 als „Der junge Tobias“ veröffentlicht. Scheffler schildert, wie der bäuerlich geprägte 2000-Einwohner-Flecken an der Alster infolge des Siedlungsdrucks aus Hamburg regelrecht überrollt wird, wie auf den alten Höfen Etagenhäuser emporschießen, wie sich die Bauern daran zunächst eine goldene Nase verdienen – und dann bald keinen Platz mehr finden in der Gesellschaft der Zugezogenen. Die erste Gentrifizierung Eppendorfs.
Gigantisches Neubaugebiet
Es ist die Zeit um 1890, in der der Stadtteil in seiner äußerlich bis heute weitgehend unveränderten Form innerhalb von nur zwei, drei Jahrzehnten entsteht. Ein gigantisches Neubaugebiet, eines, das seit mittlerweile 130 Jahren Bestand hat und das in letzter Zeit in etlichen Innenhofbereichen sinnvoll nachverdichtet worden ist.
Dabei ist dieses „neue“ Eppendorf zunächst einmal nicht ausschließlich ein ansprechendes Viertel. Karl Scheffler beschreibt, wie die „Proletarier“ aufs Dorf kommen, die „nichts gelernt hatten außer ein paar Handgriffen“. „Die Tarpenbekstraße war damals so etwas wie die Grenze zwischen dem bürgerlichen und dem kommunistisch geprägten Eppendorf“, sagt Maria Koser von der Geschichtswerkstatt Eppendorf heute. Die Kegelhofstraße zum Beispiel habe den Spitznamen „Kindermachergang“ gehabt. „Da hatten Leute zehn Kinder und eine Zweizimmerwohnung.“ Später weichen die Arbeiter den Studenten, noch später die Studenten den Bürgerlichen – oder sie werden selbst bürgerlich.
Prunkvolle Etagenhäuser
Zuvor aber ist Zweiter Weltkrieg. Als in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 die britischen Flieger Hamburg erreichen, geht ein schweres Gewitter über der Stadt nieder. Übereinstimmenden Quellen zufolge wäre wohl auch Eppendorf ein Ziel gewesen, aber ein großflächiges Bombardement bleibt aus. Und Eppendorf bleibt als Ensemble nahezu komplett erhalten. Der geringe Grad der Zerstörung ist es wohl, der den Stadtteil heute heraushebt aus anderen, die eigentlich vergleichbar sind.
Flaniermeile ist unverändert die untere Eppendorfer Landstraße mit ihren großenteils hochherrschaftlichen, prunkvollen Etagenhäusern, in deren Erdgeschossen auch heute noch einige originelle inhabergeführte Geschäfte zu Hause sind. Zum Beispiel das im gesamten Stadtteil bekannte Schreibwarengeschäft Otto F.K. Koch mit kleiner, aber feiner Spielzeugabteilung. Oder die in ganz Hamburg geschätzte Konditorei Lindtner mit ihrem opulent bestückten Tortentresen. Der bekannte Fotograf Johann Hamann hat diesen Straßenabschnitt 1904 vom Eppendorfer Marktplatz aus abgelichtet. Viel verändert hat sich bis heute nicht.
Verkehrstechnisch eine Katastrophe
Von den Autos einmal abgesehen. So wunderschön Eppendorf erscheint, so gehört auch zur Wahrheit: Verkehrstechnisch ist es eine Katastrophe. Jede Fläche ist zugeparkt, legal, halb legal, illegal. Einen Parkplatz in Wohnungsnähe zu erwischen gleicht einem Lottogewinn. Und selbst dort, wo sie fahren sollten, stehen die Autos oft, auf dem Ring 2 etwa und bevorzugt auch rund um den Eppendorfer Marktplatz. Dann brummen die Motoren, und die Autofahrer geben ein Hupkonzert. Wahrscheinlich vergessen sie einfach, dass an den Straßen auch viele Menschen wohnen. Eppendorf kann so laut sein.
Und auch ganz leise. Vor allem der am Alsterlauf gelegene Haynspark, eine von vier Grünanlagen im Quartier, ist nicht nur der Garten der Eppendorfer, sondern auch ein wichtiger Fußweg von den nördlichen Straßenzügen ins Zentrum des Stadtteils. Ganz autofrei, sehr grün, direkt am Wasser.
Ob auch die Eppendorfer Landstraße wieder autofrei werden soll, wie sie es in den Kindertagen des Automobils auf Johann Hamanns Fotografie war, ist zurzeit in der politischen Diskussion. Im Gespräch ist eine Verkehrsberuhigung des Abschnitts zwischen Eppendorfer Marktplatz und Kümmellstraße. Die Geschäftsleute, aber auch viele Anwohner protestieren gegen die Pläne, haben schon 4000 Unterschriften gesammelt.
Unserem Jüngeren, der ein Faible für Bautätigkeit aller Art entwickelt hat, würde es sicher gefallen – wegen der ganzen Baumaschinen, die dann kämen.
Eppendorf: Das sind die Highlights
Kirche St. Johannis
Die Kirche St. Johannis am Alsterübergang nach Winterhude ist der Kern Eppendorfs – und an der stark befahrenen B 5 oft das Einzige, das Durchreisende vom Stadtteil sehen. Bei Brautpaaren beliebt.
Eppendorfer Landstraße
Die prächtige Flaniermeile des Stadtteils. Neuer Treffpunkt ist der vergleichsweise nüchterne Marie-Jonas-Platz, auf dem zweimal pro Woche Biomarkt und im Dezember Weihnachtsmarkt ist.
Haynspark
Ehemaliger Sommergarten des Senators Max-Theodor Hayn an der Alster. Heute ein wichtiger Fußweg durch den Stadtteil. Im Sommer ist das Planschbecken Treffpunkt für Eltern mit kleinen Kindern.