Hamburg. 165 Tierkinder haben sie auf Wiesen in den Vier- und Marschlanden vor den Messern der Mähwerke bewahrt. Vielfach war das illegal.
Immer wieder werden Rehkitze von den scharfen Messern der Mähwerke erfasst, die in der warmen Jahreszeit auf den Feldern im Einsatz sind. Die erst wenige Wochen alte Rehkitze laufen nicht vor den großen Maschinen weg, sondern bleiben flach im Gras liegen. Um das Sterben zu verringern, spüren Jäger die Tiere unmittelbar vor der Mahd mit Drohnen auf und bringen sie in Sicherheit. In den Vier- und Marschlanden verstoßen sie damit aber vielerorts gegen geltendes Recht.
Denn ein großer Teil der Flächen darf nicht von Drohnen überflogen werden. Sie befinden sich in Naturschutzgebieten, wo der Drohnenflug gemäß diverser Naturschutzgebietsverordnungen verboten ist. Laut Umweltbehörde würden sensible, streng geschützte Tierarten wie beispielsweise Greifvögel vor allem zu Brut- und Aufzuchtzeiten durch die Flugmaschinen gestört, berichtete die CDU-Fraktion in der Bergedorfer Bezirksversammlung. Ordnungswidrige Flüge mit einer Drohne können eine Strafe von bis zu 50.000 Euro nach sich ziehen.
Drohnenflug ist in Hamburgs Naturschutzgebieten grundsätzlich verboten
Dabei sind die Bemühungen der Jäger in den Vier- und Marschlanden, die nachts um 3 Uhr aufstehen, um ehrenamtlich Kitze zu retten, sehr erfolgreich. Die Zahl der durch Mähwerke getöteten Rehkitze ist deutlich gesunken. Jäger wie Torsten Riecken und Gerd Großweischede, beide aus Kirchwerder, retteten aktuell innerhalb von vier Wochen 167 Kitze. Fast 1400 Hektar – den Großteil der Flächen, auf denen es den ersten Schnitt gab – haben sie und weitere Kitzretter zwischen Mitte Mai und Mitte Juni überflogen.
Etwa die Hälfte der überflogenen Felder befindet sich in Naturschutzgebieten wie den Kirchwerder Wiesen und dem Kiebitzbrack, schätzt Riecken. Bei ihrem illegalen Tun verlassen er und andere sich auf „ein stillschweigendes Abkommen zwischen dem Hegering Vier- und Marschlande und den zuständigen Behörden“. Bergedorfer Bezirksamt, Umweltbehörde und Nabu seien informiert.
Nabu befürwortet den Drohneneinsatz zur Rettung der Rehkitze
„Drohnen sind über Naturschutzgebieten extrem störend und deshalb dort generell verboten“, begründet David Kappenberg, Sprecher der Umweltbehörde, das grundsätzliche Flugverbot. Verbote, die den Naturschutz betreffen, seien häufig eine Abwägungsfrage, sprich: Es komme immer wieder vor, dass man sich für das kleinere Übel entscheidet.
Für Dr. Christian Gerbich, Naturschutzreferent des Nabu Hamburg, ist das Häckseln der Rehkitze allerdings das größere Übel, er befürwortet die Drohneneinsätze zu deren Rettung. „Sie sind ja eine Ausnahme und keine dauerhafte Störung, dauern nur einige Stunden im Jahr“, sagt er. „Drohnenflüge zum privaten Freizeitvergnügen haben eine unnötige Störwirkung auf den Lebensraum, den wir schützen wollen. Doch beim Natur- und Tierschutz machen Ausnahmen Sinn.“
Anschaffung der Drohnen wird vom Landwirtschaftsministerium gefördert
Es könne immer mal sinnvolle Ausnahmen geben, betont Gerbich, „beispielsweise auch bei Kartierungen von Biotopen und Gewässern mit Hilfe von Drohnen“. In Bremen würden zudem Wiesenvögelgelege in Naturschutzgebieten von Drohnen vor der Mahd aufgespürt, weiß Gerbich. „Das würde ich mir auch für Hamburg wünschen.“
Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilt auf seiner Internetseite mit, dass der Einsatz von Drohnen „die mit Abstand effektivste Möglichkeit ist, um Rehkitze zu orten und zu retten“. Um den Tierschutz zu stärken, stellte das Ministerium im Frühjahr erneut Mittel für den Erwerb von Drohnen zur Verfügung. Von den zwei Millionen Euro profitierte auch der Hegering Vier- und Marschlande, dessen 8500 Euro teures Fluggerät bezuschusst worden ist. Bereits 2022 und 2021 förderte das Landwirtschaftsministerium die Anschaffung von Drohnen mit Wärmebildkameras zur Rettung der Kitze. Im vergangenen Jahr seien 471 Drohnen mit Mitteln des Bundes gefördert worden, im Jahr davor sogar 707.
CDU fordert zeitweiliges Aufheben des Flugverbots in Naturschutzgebieten
Die CDU will nach Aussage der Bezirksabgeordneten Erika Garbers Rechtssicherheit für die Ehrenamtlichen schaffen. Das Verbot müsse neu überdacht werden. Da die Kitz-Rettung per Drohnenflug sehr erfolgreich funktioniere, schlägt die CDU vor, das Verbot zumindest zeitweise aufzuheben – etwa für die Dauer der ersten Mahd. „Dann sind die Kitze noch sehr klein und können nicht flüchten“, meint Erika Garbers.
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Riecken und seine Mitstreiter befürworten den CDU-Vorstoß: „Natürlich können wir Bemühungen zum Erlangen von Rechtssicherheit für uns nur befürworten. Das würde die ganze Sache deutlich vereinfachen.“ Nabu-Experte Gerbich versteht die Aufregung indes nicht: „Man kann ja bei der Umweltbehörde eine Ausnahme beantragen.“
Dazu Drohnenpilot Riecken: „Das wollen wir für das kommende Frühjahr auch machen, weil wir nun einschätzen können, wo wir überall innerhalb von vier Wochen nach Kitzen suchen werden.“ In diesem Frühjahr sei das kaum möglich gewesen, weil die Jäger immer wieder spontan und flexibel reagieren mussten.