Hamburg. Ruhetag, gekürzte Speisekarte, Roboter: Mit diesen und anderen Ideen wollen Gastronomen die Krise überwinden. Einige Lokale geben auf.
Die Gastronomen in den Vier- und Marschlanden haben, wie im restlichen Teil der Republik auch, massive Probleme. Restaurantschließungen, eingeschränkte Öffnungszeiten oder verkleinerte Speisekarten sind unter anderem die Folgen von gestiegenen Preisen und Fachkräftemangel. Die Gastronomie steckt in einer Krise, deren Ende nicht in Sicht ist.
Während Gerüchte über bevorstehende Restaurantschließungen in den Vier- und Marschlanden die Runde machen, schaffen einige Gastronomen nun Tatsachen: Der Betreiber des mehr als 100 Jahre alten Dorfkrugs am Boberger Furtweg hat die Nase voll vom ständigen Personalmangel und 16-Stunden-Arbeitstagen und sucht bei Ebay einen Nachfolger.
Gastronomie in der Krise: Mittagstisch-Angebote lohnen sich nicht mehr
Das Norddeutsche Haus, Traditionslokal in Altengamme, schloss zum Jahresende seine Türen für immer – nachdem dort mindestens 376 Jahre lang Gäste bewirtet wurden. Der Hofladen Stender mit Café in Tatenberg schließt Ende Februar, weil sich der Betrieb nicht mehr rechnet.
Arne Meyer kennt die Situation der Branche sehr genau: Er betreibt zwei Restaurants (Wein- und Friesenstube in Ochsenwerder, Marschländer Elblounge in Spadenland) und ist der Ansprechpartner des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) für die Bergedorfer Gastronomen. In seiner Wein- und Friesenstube empfängt er derzeit nur Gesellschaften, die Elblounge ist montags bis mittwochs geschlossen.
„Wirtschaftlich betrachtet ist weniger manchmal mehr“, sagt Meyer. Mittagstisch-Angebote würden sich in der Gastronomie aufgrund extrem gestiegener Kosten nicht mehr lohnen. „Unsere Branche ist mit am meisten betroffen“, sagt der Gastronom und verweist auf gestiegene Löhne und Gehälter, hohe Energiekosten und starke Preisanstiege bei den Lebensmitteln/Rohstoffen.
Finanzielle Anreize lösen Personalproblem nicht
Schon vor mehr als drei Jahren, vor Beginn der Corona-Krise in Deutschland, sei es schwierig gewesen, Personal – Fachkräfte und Aushilfen – zu finden, „während der Pandemie ist der Markt nochmals deutlich dünner geworden“, sagt Meyer. Dabei würden viele Gastwirte, unter ihnen Meyer, „deutlich über Tarif zahlen“ und Begrüßungsgeld hinblättern.
Trotzdem böte das Geld vielen keinen Anreiz, meint Meyer: „Wer als Arbeitsloser vom Staat unterstützt wird und womöglich noch ein ‘Zusatzeinkommen’ hat, dem reicht das oft.“ Die Folge: Aufgrund zu wenig Personals müssen Gäste „manchmal fünf Minuten länger warten“. Meyer beschäftigt fünf Angestellte – drei Köche und zwei Servicekräfte, hinzu kommt ein Pool von 20 Aushilfen. Zum Vergleich: „2019, als wir die Elblounge eröffnet haben, waren es 15 Angestellte.“
Preise für manche Lebensmittel haben sich verdoppelt
Wie andere Gastwirte auch, habe er die Preise erhöht. „Weitere Preiserhöhungen sind nicht zu vermeiden, unter anderem, weil Bier im Einkauf deutlich teurer wird.“ Die Preise für manche Lebensmittel hätten sich mehr als verdoppelt, so war es etwa in der Vorweihnachtszeit bei Gänsekeulen.
Deshalb würden die Gastronomen inzwischen Speisen oft zu einem guten Drittel teurer verkaufen als noch vor einigen Monaten. „Aber eins zu eins können die deutlich gestiegenen Einkaufspreise in der Regel nicht weitergegeben werden.“ Da wäre bei den meisten Gästen eine Schmerzgrenze überschritten.
Für ein Frühstück to go 20 Euro bezahlt
Denn auch den Gastronomen ist klar, dass ihre Gäste ebenfalls mit immens gestiegenen Kosten zu kämpfen haben – die einen mehr, die anderen weniger. Meyer: „Bei den Gästen sitzt das Geld nicht mehr so locker wie vor Corona und Krieg und den wirtschaftlichen Folgen.“ Er habe selbst gestaunt, als er gerade in der Hamburger Innenstadt für zwei belegte Brötchen, einen Kaffee und zwei Mini-Kuchen zum Mitnehmen rund 20 Euro bezahlt habe.
Genau das ist der schmale Grat, auf dem die Restaurantbetreiber derzeit wandeln: Sie sind einerseits gezwungen, die Preise für ihre Speisen und Getränke deutlich anzuheben, dürfen aber auf der anderen Seite nicht zu viele Gäste vergraulen. „Wir tasten uns langsam voran – bei den Preisen und auch beim Personal“, sagt Meyer.
Gaststätte Zum Alten Bahnhof jetzt mit Ruhetag
Der bürokratische Aufwand sei ein weiteres Thema, das den Gastronomen Sorgenfalten beschere: „Alles wird immer komplizierter und umfangreicher. Nun müssen wir auch noch Geschirr zum Ausleihen an die Kunden vorhalten. Das sind weitere Kosten, die gerade kleineren Betrieben Schwierigkeiten bereiten. Hier müsste es Unterstützung seitens des Staates geben.“
Karima Paetz, Pächterin der Gaststätte Zum alten Bahnhof in Curslack, hat aufgrund des akuten Personalmangels erstmals einen Ruhetag eingeführt – montags ist geschlossen. „Ich bin froh, dass meine vier Töchter mir aushelfen“, sagt die Gastwirtin, die noch eine weitere Teilzeitkraft beschäftigt. Die Preise habe auch sie erhöhen müssen, „aber mit Augenmaß – weniger, als eigentlich notwendig wäre, denn sonst bleiben die Stammkunden weg“. Bisher hätten die meisten Gäste Verständnis für die geringfügigen Preiserhöhungen gehabt. Es handle sich aber um einen extremen Spagat.
Altes Haus muss kräftig beheizt werden
Im Restaurant Achtern Diek am Kirchwerder Mühlendamm 75 (neben der Riepenburger Mühle) bewirten ausschließlich Familienmitglieder im Nebenerwerb – Vater, Mutter, Tochter und Sohn – die Gäste, berichtet Eigentümer Jaroslaw Stegmann, der polnische und internationale Speisen kocht. „Wir haben auch nur sonnabends und sonntags geöffnet, deshalb betreffen uns die Personalprobleme der Branche nicht.“
Ein weiterer Vorteil sei, dass das Haus der Familie gehöre und sie keine Pacht zahlen müsse. Finanziell bemerkbar würden sich hingegen die deutlich gestiegenen Preise für Heizöl machen: „Das ist ein altes Haus. Es zu beheizen, kostet uns viel Geld.“ Aufgrund der hohen Energie- und Lebensmittelkosten habe auch die Familie Stegmann die Preise „leicht erhöht“. Noch sei der Betrieb des Restaurants möglich, aber man müsse in diesen schwierigen Zeiten „schauen, was die Zukunft bringt“.
Lange Arbeitszeiten lassen an Grenzen stoßen
Anja Schwormstedt, Eigentümerin des Fährhauses Tatenberg, ist ebenfalls froh, dass sie keine Pacht zahlen muss. Trotzdem seien die Zeiten hart – „und man weiß nicht, was noch kommt“. Sie stoße manchmal aufgrund langer Arbeitszeiten an ihre Grenzen.
Die Küchenzeiten in den Wintermonaten hat sie nun verkürzt, weil es an Köchen mangelt. Zwar seien unter den acht Festangestellten und sieben Aushilfen drei Köche, doch „leider haben wir auch mal Krankheitsfälle – und dann wird es eng“. Sie könne drei weitere Mitarbeiter gebrauchen, sagt Anja Schwormstedt. Aufgrund der personellen Engpässe ist nun auch an jedem letzten Sonntag im Monat geschlossen, „es sei denn, dass es sich um einen Feiertag handelt“. Die Preise habe sie „moderat erhöht“, Scholle von der Karte genommen, obwohl der Fisch bei den Gästen beliebt sei. „Im Einkauf müsste ich nun fast den dreifachen Preis zahlen. Das ist nicht mehr machbar.“
Gastronomin blickt vorsichtig optimistisch in die Zukunft
Sie sei froh, dass sie viele treue Stammgäste habe, vornehmlich Senioren, betont die 56-Jährige, die das Haus in der vierten Generation betreibt. Neben dem Restaurant beherbergt es auch zehn Gästezimmer. Anja Schwormstedt blicke trotz aller Probleme vorsichtig optimistisch in die Zukunft: „Irgendwann muss die Situation ja besser werden.“
Arne Meyer schaut nun genau, an welchen Schrauben er noch drehen kann: „An welchen Tagen sind meine Restaurants besser besucht, an welchen schlechter? Welche Öffnungszeiten machen wirtschaftlich Sinn?“ Was nicht so oft bestellt wird, fliege auch schon mal von der Karte, „um die Arbeitsabläufe effektiver gestalten zu können“.
In der Elblounge servieren Roboter
Auch Technik spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, weiter am Markt bestehen zu können: In Meyers Elblounge sind bereits zwei Service-Roboter im Einsatz, um die Gäste zu bedienen. Sie ersetzen nicht zu bekommendes, menschliches Personal und kosten den Chef langfristig betrachtet weniger Geld.
Eine Cocktailmaschine im zweiten Obergeschoss ersetzt den Barkeeper. „Diese Technik vereinfacht die Abläufe ungemein“, sagt Meyer und fügt hinzu: „Ich habe aber auch keine Wahl. Ich muss darauf setzen, um auch künftig wirtschaftlich überleben zu können.“ Seine Kollegen würden „langsam aufwachen“, künftig werde es „deutlich mehr Roboter in Restaurants geben, auch solche, die den Fußboden reinigen“.