Hamburg. Block House, Tchibo und die Poké Bar machen mit. Doch die Regeln beinhalten viele Ausnahmen und stellen Händler vor Herausforderungen.

Wer sich einen schnellen Salat in der Mittagspause oder eine Portion Sushi nach Feierabend im Lokal um die Ecke besorgt, hat jetzt die Wahl: Seit Jahresbeginn können Verbraucher und Verbraucherinnen entscheiden, ob sie Außer-Haus-Speisen in einer Einweg- oder Mehrwegverpackung mitnehmen wollen. Das gilt auch für Kaffee „to go“ und andere Getränke. Der Bundestag hatte die sogenannte Mehrwegangebotspflicht für Gas­tronomen, Lieferdienste und Lebensmittelhändler, vor zwei Jahren beschlossen, um den Verpackungsmüll zu reduzieren.

Die neuen Vorschriften stellen auch die Unternehmen in Hamburg vor etliche Herausforderungen. „Das ist jetzt der Start, aber das Ganze ist noch nicht ausgegoren“, kritisiert Jens Stacklies, Vize-Präsident des Dehoga Hamburg und Chef der Stacklies-Gruppe. Unverständlich, kompliziert und nicht immer praktikabel seien die Regeln, bei denen zudem eine Reihe von Ausnahmen gelten – unter anderem für Pizza-Schachteln und Burgerverpackungen aus Pappe von McDonald’s & Co. „Wir brauchen eine einheitliche Lösung, bei der alle mitgenommen werden – vom Döner-Imbiss bis zum Sterne-Restaurant“, so Stacklies. Auch Umweltverbände haben Kritik geäußert und fordern eine weitreichendere Mehrweg-Verpflichtung.

Gastronomie Hamburg: Neues Mehrweg-System stellt Händler vor Herausforderungen

Einen Überblick, wie viele Betriebe in der Stadt inzwischen Alternativen zu Wegwerfverpackungen anbieten, gibt es nicht. Schon jetzt zeichnet sich ein Mehrweg-Flickenteppich ab, der bei Kunden für Verwirrung sorgt. Neben übergreifenden Systemen wie Rebowl, Relevo oder Vytal, bei denen das wiederverwendbare Geschirr meist über eine App gebucht und an unterschiedlichen Stellen zurückgegeben werden kann, bieten zahlreiche Unternehmen eigene Lösungen an.

Die Umweltbehörde setzt darauf, dass sich das Mehrweg-Angebot in den nächsten Monaten einspielt. Vorstöße können mit bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Aktuell gibt es nach Abendblatt-Informationen allerdings noch keine Kontrollen

Poké Bar bietet schon lange Mehrwegschalen an

Hinter dem Tresen stehen sie stapelweise: Mehrwegschalen in peppigem Türkisgrün mit kleinen Palmen bedruckt. Im Restaurant Poké Bar in der Hamburger Innenstadt ist schon lange Standard, was seit Jahresbeginn für die meisten Gastronomiebetriebe und Lebensmittelhändler mit Außer-Haus-Verkauf in Deutschland Pflicht ist. „Vor allem unsere Stammkunden aus den Büros nutzen unsere Mehrwegbehälter, wenn sie sich mittags eine Bowl bei uns holen“, sagen Maria Alberti-Moghaddam und Leslie Schwittay, die fünf Poké Bars in der Hansestadt betreiben.

17.000 ihrer Pfandschüsseln aus nachhaltigem Material sind inzwischen im Umlauf. Was steckt hinter der neuen Reglung zu Mehrwegalternativen für Speisen und Getränke? Was bedeutet es für die Verbraucher? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Welche neuen Vorschriften gelten?

Restaurants, Cafés, Kantinen, aber auch Bäckereien, Tankstellen Lebensmittelhändler, die über Essenstheken Speisen und Getränke zum Mitnehmen verkaufen, sind seit dem 1. Januar 2023 verpflichtet, auch Mehrwegbehälter für ihre Produkte anzubieten. Diese sogenannte Mehrwegangebotspflicht hatte der Bundestag 2021 im Rahmen einer Novelle des Verpackungsgesetzes beschlossen und soll Verpackungsmüll vermeiden. Einwegverpackungen sind zwar weiterhin erlaubt, aber die Betriebe müssen aktiv auf die Wahlmöglichkeit hinweisen. Und: Teurer dürfen Getränke oder Speisen durch Mehrwegbehälter nicht werden, es kann aber ein Pfand erhoben werden.

Wer muss Mehrwegbehälter anbieten?

Im Prinzip alle, die To-go-Speisen und Getränke verkaufen. Ausgenommen sind kleinere Restaurants und Geschäfte wie Imbisse und Kioske, in denen höchstens fünf Beschäftigte arbeiten und die gleichzeitig eine Ladenfläche von nicht mehr als 80 Quadratmetern haben. Noch scheint nicht klar, welche Anbieter welche Ausnahmeregeln geltend machen können. Verwirrung ist programmiert.

So können Supermärkte, die Salate und Snacks, die abgepackt geliefert werden, in Einwegplastikschalen ins Kühlregal stellen, für die eigene Salatbar müssen sie aber eine Alternative anbieten. Zudem gibt es Unterschiede bei den Verpackungsmaterialien. Bei Getränkebechern gilt die neue Pflicht für alle Materialien, bei Essensboxen nur für Plastikbehälter. Pappschachteln, die Pizzerien oder große Fast-Food-Ketten wie McDonald’s oder Burger King benutzen, fallen nicht darunter.

Wie läuft die Umsetzung in Hamburg?

Wenige Tage nach dem Inkrafttreten der Regelung ist das Bild in Hamburg noch recht uneinheitlich. Bei einer Abendblatt-Stichprobe in der Innenstadt hatten viele Unternehmen Mehrwegalternativen im Angebot. Eine Umfrage des Abendblatts im Bezirk Harburg und im Landkreis Harburg hatte ergeben, dass sich viele Betriebe noch nicht an die neuen Vorgaben halten. Bei der Hamburger Dehoga-Geschäftsstelle hieß es, bislang seien keine Probleme gemeldet worden.

Die Umweltbehörde hatte im vergangenen Jahr eine Informationskampagne gestartet. Zahlen, wie viele Betriebe bereits Mehrwegalternativen anbieten, gibt es nicht. Auf der Internetseite hamburg.de/einfachmehrweg können sich Verbraucher auf einer interaktiven Karte einen Überblick über die Angebote verschaffen. Erfasst werden allerdings nur die übergreifenden Mehrwegsysteme.

Welche Mehrweglösungen gibt es?

Das Gesetz verlangt erst mal nur, dass die Betreiber ihre eigenen Mehrwegverpackungen zurücknehmen. Das führt dazu, dass es schon jetzt sehr unterschiedliche Lösungen gibt – allerdings wird immer Pfand fällig. So können sich Kunden in Block-House-Restaurants Steaks und Salat schon seit Mitte 2021 in einen Pfandbehälter füllen lassen. Bislang sind 200 im Einsatz. Kaffeeröster Tchibo hat kurz vor Weihnachten ebenfalls einen eigenen Pfandbecher eingeführt. Auch McDonald’s hat angekündigt, ihr eigenes Mehrwegsystem mit wiederverwendbaren Verpackungen für Pfand anzubieten.

Dagegen arbeiten vor allem kleinere Betreiber mit größeren Mehrweganbietern zusammen. Der Vorteil für die Kunden: Man kauft einen To-go-Kaffee im Mehrwegbecher am Hamburger Hauptbahnhof und kann ihn in einem Berliner Café zurückgeben. Manche Systeme verlangen ein Pfandentgelt, andere arbeiten mit einem App-basierten Registrierungssystem. In Hamburg gibt es sechs solcher Systeme: Recup/Rebowl, Vytal, Relevo, Faircup, Recircle und Tiffin Loop.

Wie hygienisch ist das Mehrwegsystem?

Es gelten die allgemeinen Hygiene-Vorschriften. Das heißt: Die Behälter müssen für heiße Speisen und Getränke geeignet und sauber sein. Behälter aus Poolsystemen können auch ungespült zurückgegeben werden. Es ist zudem möglich, dass Kunden ihre eigenen Mehrwegdosen mitbringen und befüllen lassen.

Was sagen Hamburger Gastronomen?

„Das ist jetzt der Start, aber das Ganze ist noch nicht ausgegoren“, sagt Jens Stack­lies. Der Unternehmer ist Chef der Stack­lies-Gruppe, zu der unter anderem die Privatbrauerei Gröninger und die Fischauktionshalle gehören, und vertritt als stellvertretender Dehoga-Präsident etwa 6000 Gastronomiebetriebe in Hamburg. „Wir brauchen eine einheitliche Lösung, bei der alle mitgenommen werden – vom Döner-Imbiss bis zum Sterne-Restaurant.“ Aktuell werde unter Hochdruck an praktikablen Konzepten gearbeitet. „Dass wir das Problem mit dem Verpackungsmüll lösen müssen, ist keine Frage“, so Stacklies angesichts der wachsenden Nachfrage nach Mehrwegalternativen.

Was sagen die Umweltverbände?

Für den Umweltverband BUND geht die Reglung in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. „Wir fordern eine weitgehende Mehrwegpflicht“, heißt es beim Hamburger Landesverband. Wo das nicht möglich sei, müsse es ein hohes Pfand für Einwegbehälter geben, damit diese zurückgegeben und sortenrein recycelt werden. Auch aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe drohen die Regeln ins Leere zu laufen. Damit möglichst viele Menschen auf Mehrweg umsteigen, fordert der Verband eine Abgabe von mindestens 20 Cent auf Einweggeschirr.

Wie wird die neue Regelung kontrolliert?

Zuständig sind die Bundesländer. In Hamburg liegt die Verantwortung für die Kontrollen bei den Bezirksämtern. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 10.000 Euro. Noch allerdings gibt es eine Art Schonfrist. „Es werden noch keine Kontrollen durchgeführt. Wir setzen auf Aufklärung und Überzeugung“, sagt die Sprecherin der Umweltbehörde, Renate Pinzke. „Es wird sich über Angebot und Nachfrage regeln. Viele Kunden wollen weg vom Verpackungsmüll.“

Wie viel Müll entsteht durch Wegwerf-Verpackungen für To-go-Verpflegung?

Aktuelle Zahlen gibt es nicht. Eine Studie im Auftrag des Umweltverbands Nabu aus dem Jahr 2017 hatte ergeben, dass Einweggeschirr und To-go-Verpackungen in Deutschland mehr als 346.000 Tonnen Abfall erzeugt haben. Laut Bundesumweltministerium werden stündlich 320.000 Einwegbecher für Heißgetränke verbraucht, davon sind bis zu 140.000 Becher „to go“. Beobachter gehen davon aus, dass die Mengen während der Corona-Pandemie deutlich gestiegen sind.