Neuallermöhe. 18- und 19-Jährige sind im Stadtteilbeirat eher ungewöhnlich. Doch Emilie und Michelle wollen etwas in ihrem Quartier verändern.
Offen gesagt hat es den beiden sehr jungen Frauen bisher niemand. Doch Emilie Kumylin (18) und Michelle Lemmer (19) spürten vor zwei Jahren etwas argwöhnische Blicke bei ihrer ersten Sitzung im Stadtteilbeirat Neuallermöhe. Nach dem Motto: „Was wollen denn zwei so junge Menschen in diesem Gremium?“ Doch mittlerweile sind die mit Abstand jüngsten Vertreterinnen im Stadtteilbeirat fast etabliert, bringen sich und die Befindlichkeiten ihrer Generation ein: Emilie Kumylin und Michelle Lemmer setzen sich ehrenamtlich für ihren Stadtteil ein und tun vieles dafür, dass das Quartier noch ein wenig schöner wird.
Neuallermöhe genießt ja gemeinhin nicht das allerbeste Image: Kriminell ginge es dort zu, heißt es – vor allem was Drogen- und Bandenkriminalität anbetreffe. Abends auf die Straßen rund um den Fleetplatz könne sich keiner freiwillig wagen. Zudem gerät Neuallermöhe mit seinen knapp 24.000 Einwohnern durch den viel frequentierten Allermöher See immer dann in die Schlagzeilen, wenn jemand ertrinkt.
Wollen gewiss nicht nur chillen: Michelle und Emilie sprechen vor
Doch dieses Bild trifft längst nicht mehr zu, betonen Michelle Lemmer und Emilie Kumylin. Außerdem gebe es viele Ecken und Bereiche im Quartier, die sehr schön und einzigartig sind. Und Neuallermöhe hat sogar einen echten Schatz: junge Engagierte.
Die sportlichen Damen lieben zum Beispiel den Sportplatz 2000 mit seinem räumlich eng beinander liegenden Angebot für Fußballer, Tennisspieler, Basketballer, Gorodki-Fans und mehr. „So etwas hat kein anderer Stadtteil zu bieten.“ Der 18-jährigen Emilie Kumylin kann in dieser Hinsicht nicht widersprochen werden. Sie und ihre ein Jahr ältere Freundin – seit der sechsten Klasse lebt diese Freundschaft – kennen zudem aus ihrer gemeinsamem Schulzeit am Gymnasium Allermöhe das herrlich üppige Gelände der Grünen Mitte, um einen weiteren Pluspunkt der Gegend zu nennen.
Doch ist das unbedingt nur ein Pluspunkt oder gibt es hier Optimierungsbedarf? Für Michelle Lemmer schon: „Es fehlt grundsätzlich hier an Orten, wo junge Leute chillen können. Und in der Grünen Mitte fehlt einfach ein Ort mit Bänken, der Schutz vor Regen bietet.“ Viele Bänke seien zwar vorhanden, aber eben nur Open Air. Damit sich genau solche Dinge ändern, machen die beiden Freundinnen diese ehrenamtliche Arbeit.
Zwei junge Frauen als Vorbild für andere aus ihrem Stadtteil
„Jugendliche haben insgesamt wenig Mitspracherecht. Außerdem tut sich unserer Meinung nach in Neuallermöhe generell zu wenig“, meint Michelle wie auch Emilie, die ergänzt, „dass sich hier natürlich auch zu wenig junge Menschen für irgendwas engagieren“. Die beiden wollen das ändern und sind tatkräftig dabei.
An und für sich müsste ihr Mitspracherecht ohnehin höher sein. Denn junge Menschen in Neuallermöhe, also die unter 18-Jährigen, machen starke 22,7 Prozent der Bevölkerung aus – im Hamburger Durchschnitt ist der U18-Anteil mit 16,6 Prozent deutlich geringer. Und noch einen Motivationspunkt spricht Michelle Lemmer an: „Wir möchten mit unserem Engagement der Gesellschaft etwas zurückgeben.“
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Die 19-jährige Michelle Lemmer gehört bei dem (ohnehin jugendlich geprägten) Sportverein BFSV Atlantik 97 fest zum Vorstand, die etwas jüngere Kumylin berät das höchste Gremium im Verein. Dazu vertritt Lemmer die Jugend in Sachen Sport und Integration im Club, fungiert zudem als Ansprechpartnerin Prävention sexualisierte Gewalt (PSG) nach einer Fortbildung bei dem Verein Zornrot und als Volleyball-Trainerin eines Nachwuchsteams des VC Allermöhe. Überhaupt VCA: Das Führungstrio dieser Abteilung bei Atlantik um Lilli Kempf, Sebastian Büge und Niels Pape hat sowohl Michelle und Emilie darin bestärkt, sich in der Gremienarbeit stärker einzubringen.
Zuhören, wo es bei jungen Sportlerinnen Konflikte geben könnte
Sie setzen im Sportverein klare Leitplanken, geben aber auch Hilfestellungen. Da wäre zum einen die Wahrung des Ehrenkodex und von Verhaltensregeln wie fair zu spielen, vor und nach dem Sport beim Auf- und Abbau helfen, den Gegner und die eigenen Mannschaftskameraden niemals beleidigen. Das versuchen Kumylin und Lemmer speziell den 9- bis 15-Jährigen zu vermitteln. Sie hören sich aber auch die Probleme der Kids an: Wo gibt es Probleme mit Mitspielern oder Trainern, warum ist das so, wie kann es gelöst werden? Gibt es andernfalls Stress zuhause oder in der Schule?
Erleichtert wird ihr Tun eventuell dadurch, weil es im Nachwuchs beim VCA nur Mädchen gibt. „Die reden dann eher mit uns als die Fußballer. Allgemein wissen aber alle Jugendlichen, dass sie mit uns reden können“, weiß Michelle Lemmer, selbst übrigens noch in der Landesliga-Frauen-Mannschaft als Zuspielerin aktiv.
Noch werden zu viele Themen der „Alteingesessenen“ im Stadtteilbeirat besprochen
Das eine ist der Sportverein, das andere Komiteearbeit mit Lobbyisten. Für andere möglicherweise zu trocken, für Emilie Kumylin und Michelle Lemmer seit Januar 2021 genau richtig. „Gewissermaßen vertreten wir als Bewohner des Stadtteils ja auch unsere Interessen“, sagt Michelle Lemmer. Neben dem Stadtteilbeirat gibt es außerdem den Jugendstadtteilbeirat, an dem beide bis zuletzt regelmäßig einmal im Monat teilnahmen – Emilie Kumylin ist kürzlich aus dem Jugendgremium ausgestiegen. Dort im Jugendrat wiederum, das sei eine erfreuliche Entwicklung, gebe es fünf Anwärterinnen im Alter von 15 bis 17 Jahren, die die Arbeit des Jungerwachsenen-Duos irgendwann mal übernehmen wollen. Allesamt Mädchen – wo sind bloß die Neuallermöher Jungs hin? „Die finden wir einfach nicht“, sagt Michelle Lemmer und wirbt zukünftig für ein gemischteres Gremium.
Die beiden jungen Frauen haben klare Vorstellungen von ihrer Zukunft
„Wir sehen uns schon als junge Vertreterinnen eines jungen Stadtteils“, ist bei Emilie Kumylin auch Stolz herauszuhören. Doch das mit dem Einfluss darf laut Michelle Lemmer noch besser werden, „momentan“, so schätzt die 19-Jährige es ein, „werden mehr die Interessen der älteren Generation dort besprochen“. Anstatt jüngeren Themen wie Chill-Out-Flächen, Begabtenförderung oder Freizeitangeboten gehe es vermehrt um Baustellen-Management.
Auch auf ihrem weiteren Lebensweg wollen die jungen Neuallermöherinnen ihrer aktuellen Mission treu bleiben. Michelle Lemmer weiß, dass sie etwas in Richtung soziale Arbeit studieren möchte. Denn: „Das macht mir Spaß. Ich bin begabt, Kindern etwas beizubringen.“ Und Freundin Emilie wiederum tendiert in Richtung Sprachen oder Management und weiß: „Schon deshalb ist das, was ich momentan tue, wichtig.“