Kirchwerder. Daniel Wendt aus Kirchwerder geht im Juni auf Wanderschaft. Was der 20-Jährige erwartet und an welche Regeln er sich halten muss.
Anfang Juni wird Daniel Wendt Kirchwerder verlassen. Mindestens drei Jahre und einen Tag wird der 20-Jährige seiner Heimat fernbleiben. Und trotzdem wird er keinen Blick zurückwerfen, wenn er die Grenze der Vierlande zu Fuß überschreitet. So will es die Tradition, denn der Bäckergeselle geht auf Wanderschaft.
Es ist nicht die einzige Tradition, die das (Arbeits-)leben des 20-Jährigen in den kommenden drei Jahren lenken wird: Bevor er auf der Walz seinen ersten Stopp einlegt, muss er mindestens 50 Kilometer von Kirchwerder entfernt sein. Diesen „Bannkreis“ wird er während der Zeit der Wanderschaft nicht betreten dürfen. Höchstens sechs Monate darf er an einem Ort bleiben. Und maximal drei Monate am Stück ohne Beschäftigung sein.
Bäckergeselle aus Kirchwerder geht mindestens drei Jahre auf Wanderschaft
Da hat Daniel Wendt aber auch keine Sorge. Schließlich werden in seinem Handwerk helfende Hände gebraucht. Er ist überzeugt, schnell eine Backstube zu finden: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass mich jeder nimmt“, sagt der Vierländer, der nach der neunten Klasse seine Schullaufbahn an der Stadtteilschule Kirchwerder beendete und eine Lehre bei der Bäckerei Bahn in Zollenspieker begann.
Um Arbeit zu finden, muss er einen Spruch bei der örtlichen Handwerkskammer aufsagen und bekommt dann einen Eintrag in sein Wanderbuch. Für die Arbeit in der Backstube gibt es einen Gesellenlohn oder auch Essen und Unterkunft. Aber auch einen Schlafsack wird Daniel Wendt dabei haben, um zur Not auch mal im Freien übernachten zu können. „Das könnte vor allem im Winter schon spannend werden“, sagt er.
Neue Handwerkstechniken und die Welt kennenlernen
Das er beruflich etwas mit seinen Händen schaffen möchte, sei für ihn früh klar gewesen, berichtet Daniel Wendt. Schließlich war auch schon Großvater Horst Handwerker, allerdings ein Zimmermann. „Leider habe ich Höhenangst, sonst wäre ich vielleicht auch Reetdachdecker geworden“, erklärt der 20-Jährige, der in der Ganztagsschule aber auch gerne Kurse belegte, in denen gekocht und gebacken wurde.
Nach einem dreiwöchigen Schulpraktikum bei der Backerei Bahn sei dann der Entschluss gereift, dort auch eine Ausbildung absolvieren zu wollen. Nach dreijähriger Lehr- und zweijähriger Gesellenzeit ist nun aber der Zeitpunkt für etwas Neues gekommen. Schließlich sei sein Chef mittlerweile 65 Jahre alt und wird den Job nicht ewig ausüben, weiß Daniel Wendt. Also machte er sich Gedanken, wie es beruflich weitergehen soll. In einer Fabrik wolle er keinesfalls landen, so viel stehe fest, erklärt der 20-Jährige. Auf die Walz zu gehen, erschien ihm daher eine gute Lösung zu sein. „So lerne ich neue Handwerkstechniken kennen und sehe etwas von der Welt“, erklärt er.
600 Handwerker sind auf der Walz, darunter aber nur elf Bäcker
Der Ursprung der Walz reicht bis ins späte Mittelalter zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog laut dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks Anfang der 1990er-Jahre wieder der erste Bäcker los. Insgesamt 600 junge Handwerker sollen derzeit unterwegs sein. Vor allem bei Tischlern und Zimmerern ist die Wanderschaft verbreitet. Doch alle Gewerke sind vertreten, wie Installateure, Schneider oder Fleischer. Bäckerinnen und Bäcker sind aber ganz klar in der Minderheit: Aktuell sollen sich elf junge Frauen und Männer auf der Walz befinden.
Dazu wird sich auch Daniel Wendt bald gesellen, der etwa fünf Minuten entfernt vom Hof Eggers aufgewachsen ist. Dort hatte er sich zuletzt für den Freundeskreis des historischen Hofes engagiert und ließ dabei auch sein großes Hobby einfließen: Das Mittelalter. So schlüpfte er in eine Ritterrüstung, trat als Pestdoktor – oder beim monatlichen Brotbacken auch als Mittelalterbäcker auf. Die Gewandung wird er im Juni gegen eine Kluft tauschen – so wie es üblich ist für Wandergesellen.
Handy und Laptop müssen zu Hause bleiben
Vom Schnitt ähnelt sie der auffälligen Kluft von Tischlern oder Zimmerern mit Schlapphut, Jackett und Schlaghose aus grobem Cord. Statt schwarz wird im Lebensmittelhandwerk allerdings ein helles Karomuster getragen. Die Kluft würde sich allerdings nicht für die Arbeit in der Backstube eigenen, weshalb er dafür noch zusätzlich Arbeitsklamotten einpacken müsse, weiß Daniel Wendt.
Die werden in ein Tuch, das sogenannte „Charlottenburger“ gewickelt und wie ein Bündel über der Schulter getragen. Darin enthalten ist das nötigste Hab und Gut: Zivilkleidung, Zahnbürste und für einen Bäcker ganz wichtig – ein Wecker. Handy, Laptop oder Tablet bleiben hingegen zu Hause. Kontakt zu Freunden und Familie wird gehalten, wenn ihn jemand telefonieren lässt oder geschrieben wird. „Es haben sich schon unzählige Leute angemeldet, die eine Postkarte bekommen möchten“, berichtet Daniel Wendt. Außerdem würde Mutter Sylvia ihm am liebsten einen Peilsender verpassen, scherzt der Vierländer.
Steinofenbrot im Schwarzwald oder Plunderteilchen in Paris?
Als grobe Richtung peilt Daniel Wendt zunächst Süddeutschland an. Danach vielleicht Österreich und Schweiz, Belgien, Frankreich oder auch Skandinavien. Er darf kein eigenes Fahrzeug besitzen und bewegt sich nur zu Fuß oder per Anhalter fort. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist grundsätzlich nicht verboten, aber dafür darf kein Geld ausgeben werden, weiß der Vierländer, der zur Vorbereitung nicht auf extra Training, sondern vor allem auf gute Wanderschuhe setzt. „Ich fahre jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Backstube, ich hoffe, das langt“, sagt er.
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Er freut sich darauf, die unterschiedlichen Landschaft fernab der norddeutschen Heimat kennenzulernen und vor allem auch, verschiedene Arbeitstechniken erlernen zu können. Schließlich gibt es in anderen Ländern bekanntlich nicht nur andere Sitten, sondern andere Geschmäcker: Im Schwarzwald werden viele deftige Sachen gebacken, wie auch Steinofenbrot. Österreicher und Franzosen hingegen mögen es lieber süß, werde viel mit Blätterteig gearbeitet oder auch Plunderteilchen gebacken, erklärt er Bäckergeselle. Kurz vor Beginn der Wanderschaft ist Daniel Wendt schon ein wenig aufgeregt, aber entspannt. „Es ist sowieso ungewiss, was am nächsten Tag passiert. Also lasse ich es einfach auf mich zukommen“, sagt er.