Hamburg. Das neue Lichtwark-Heft widmet sich den detaillierten Tagebüchern eines jungen Gesellen, der vor 125 Jahren nach Süddeutschland ging.

Im Sommer 1897 verließ Julius Putfarken seine Heimat Kirchwerder und ging auf Wanderschaft. Was der 20-jährige Tischlergeselle in den folgenden Monaten erlebte, liegt schon mehr als 125 Jahre zurück, und doch lässt sich sein Leben detailliert nachvollziehen. Denn Julius Putfarken hat Tagebuch geschrieben. Und das nicht nur während seiner Wanderschaft, sondern fast sein ganzes Leben lang. Insgesamt 29 Bücher sind erhalten geblieben, die das Kultur- & Geschichtskontor 2014 im Nachlass von Putfarkens Enkels Werner Schröder vorgefunden hat. Dieser Sammlung widmet sich Noah Berger im neuen Lichtwark-Heft des Kultur- & Geschichtskontors (8 Euro; 80 Seiten; ISBN 978-3-942998-22-2). Der 22-Jährige arbeitete seit 2021 als Werkstudent in der Bergedorfer Geschichtswerkstatt. Für sein Masterstudium lebt er derzeit in Bamberg. Über die Wandertagebücher von Julius Putfarken hat er seine Bachelorarbeit in Hamburg geschrieben.

Lichtwark-Heft: Tagebuch beschreibt Wanderschaft und zwei Weltkriege

Mehrere Hundert Seiten hat Julius Putfarken mit der Beschreibung seines Lebens gefüllt. Und die Erlebnisse des Tischlers, der im Zeugnis seines Lehrmeisters als ordentlich fleißig, sehr arbeitsam und musterhaft beschrieben wird, gehen weit über ein reines Wander-Tagebuch hinaus – inklusive Kriegsgefangenschaft in Sibirien und Machtergreifung der Nationalsozialisten. „Man könnte ein ganzes Buch über das Leben des Vierländers füllen“, ist Noah Berger überzeugt. Da dieses Buch aber noch nicht geschrieben ist, liefert der 22-Jährige im Lichtwark-Heft eine kurze Zusammenfassung.

Eine Intarsie entsteht in der Tischlerwerkstatt.
Eine Intarsie entsteht in der Tischlerwerkstatt. © Kultur- & Geschichtskontor

Hermann Julius Putfarken wurde als eines von 15 Kindern in Kirchwerder geboren, allerdings überlebten viele seiner Geschwister das Kinder- und Jugendalter nicht. Seine Eltern Hein und Gertrud Putfarken betrieben einen Hof, auf dem ihr Sohn vor seiner Tischlerlehre als Pferdejunge arbeitete. Schon während seiner Lehre zeigte er großes Talent in der Intarsientischlerei, die ihn auch in Kontakt mit Heidelberg brachte.

Um sich dort in Sachen Intarsien weiterzubilden, verließt er seine Heimat Vierlanden und ging auf Wanderschaft gen Süden. Allerdings nicht mit Stock und Bündel, denn der Wanderzwang war schon 1810 aufgehoben worden. Viel mehr galt als Wanderschaft auch, in einer fremden Stadt fester Arbeit nachzugehen. Das sei ein Beispiel dafür, dass Traditionen sich verändern, Bräuche sich wandeln und die Gesellenwanderung zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitaus vielfältiger war, als viele vermutlich glauben, stellt Autor Noah Berger fest.

Mutter schickte Gemüse aus den Vierlanden nach Heidelberg

Dass ein Geselle lange in einem Betrieb blieb, war aber trotzdem eher die Ausnahme. Bei einer Kündigungsfrist von drei Tagen suchten viele Gesellen bei einem Konflikt schnell das Weite und in einem anderen Betrieb ihr Glück. Nicht so Julius Putfarken: Zwar verließ er die erste Arbeitsstelle in Heidelberg, weil sie ihm hingegen seiner Hoffnungen keine Weiterbildungschance bot. Zu hoch waren die Aufnahmeanforderungen des Intarsien-Meisters. Der Vierländer wechselte in eine andere Werkstatt, wo er beinahe bis zum Ende seiner Wanderschaft blieb. An der Heidelberger Gerwebeschule bildete er sich schließlich in Sachen Intarsien weiter und übte das Zeichnen.

Seine Heimat verhalft ihm in der Zeit zu einer zweiten Einnahmequelle: Gemeinsam mit seinem ersten Meister kaufte er in den Vierlanden alte Möbelstücke im norddeutschen Stil auf, die im Süden sehr beliebt geworden waren. Gemeinsam renovierten sie die Möbel und verkauften sie mit großem Gewinn. Und auch auf dem Teller durfte die Heimat nicht fehlen: So freute er sich stets über Vierländer Gemüse, das seine Mutter ihm per Paket schickte.

Selbst in Gefangenschaft in Sibirien schreibt er Tagebuch

Auch wenn die Arbeit viel Lebenszeit einnahm, füllt die reine Tätigkeit wenig Zeilen in seinen Tagebüchern. Vielmehr beschreibt Julius Putfarken seine Meister und Kollegen, berichtet von Arbeitszeiten und Gehalt, Freizeit und seinen Lebensumständen. So war das Jahr der Wanderschaft geprägt von Hoffnungen, aber auch großen Enttäuschungen: „Ja ein Kampf, und kein leichter ist es dies Leben in der Fremde für mich, bald bin ich voll der goldigsten Hoffnungen und vielleicht schon im nächsten Augenblick liegen sie zertrümmert am Boden. Noch immer wogen meine Gefühle, meine Aussichten, meine Zukunftspläne hin und her und ich weiß selbst nicht recht, wie ich mich da hindurchführe, dass ich Ruhe finde“, schreibt Julius Putfarken.

Julius Putfarken und Anna Elisabeth Harden.
Julius Putfarken und Anna Elisabeth Harden. © Kultur- & Geschichtskontor

Zurück in Kirchwerder leistet Julius Putfarken seine Militärzeit ab, kehrt zu seinem ehemaligen Meister Timmann zurück und heiratet im Oktober 1906 Anna Elisabeth Harden. Mit ihr lebt er am Kirchwerder Hausdeich und bekommt einen Sohn und eine Tochter. Im 1. Weltkrieg gerät er jedoch in Gefangenschaft und kehrt erst 1920 in die Heimat zurück. In der Zeit in Sibirien schreibt er weiterhin Tagebuch – oder viel mehr beschreibt er lose Zettel, die er nach seiner Freilassung in Bücher überträgt.

Als Meister der Intarsientischlerei hat er nach seiner Heimkehr gut zu tun. Er erlebt den Ausbruch und die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs, bevor er 1942 im Alter von 64 Jahren stirbt. Die letzten Sätze in seinem Tagebuch stammen dann nicht mehr von ihm selbst, sondern eines seiner Kinder hält den Tod des Vaters dort fest. „Seinen exakten Aufzeichnungen und lebhaften Beschreibungen nach zu urteilen, hätte Julius sich vermutlich darüber gefreut, dass viele Menschen an seinen Erlebnissen, an seiner Gesellenwanderung, teilhaben können“, resümiert Noah Berger.